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      »Ich merke schon«, seufzte Rommerskirchen und setzte sich neben den Jungen auf die Treppenstufe, »wenn du einmal ins Reden kommst, wird deine Informationsflut zum reißenden Tsunami.«

      Der Junge grinste breit.

      »Hier oben unterm Dach haben Sie Handyempfang.«

      Rommerskirchen hob den Daumen. Als Jugendlicher brauchte man heute wirklich nicht mehr viele Worte.

      »Ich heiße übrigens Philip.« Er steckte betont lässig die Hände in die Potaschen.

      »Bene«, antwortete der Junge und streckte ihm altmodisch die Hand entgegen.

      »Va bene.« Rommerskirchen schüttelte ratlos die gereichte Hand. »Und du heißt?«

      Der Junge stutzte kurz, dann wiederholte er: »Bene. Eigentlich Benedikt, aber das ist den meisten zu lang.«

      Rommerskirchen schlug sich vor die Stirn.

      »Jetzt hab auch ich es kapiert. Eigentlich ganz klar.« Im Stockwerk unter ihnen hörte man den Makler mit der anderen Interessentin in den Flur treten.

      »Ich muss los.« Rommerskirchen erhob sich. »Vielleicht sieht man sich ja noch mal.«

      Bene nickte. »Viel Glück«, murmelte er und wünschte sich, dass dieser coole junge Mann bald hier wohnte.

      15

      Kati hatte bereits zum dritten Mal geklingelt, als Pater Remigius endlich die Tür öffnete. Er hatte sich einen dunkelblauen Frotteebademantel über den schlabberigen Pyjama geworfen. Seine nackten Füße steckten in ledernen Latschen, deren vordere Kanten an mehreren Stellen Löcher aufwiesen. Sein graues kurzes Haar war lang genug, um zerzaust vom Kopf abzustehen. Dass er krank war, sah Kati vor allem an den blauen Augen, die jeglichen Glanz verloren hatten.

      »Ach, Frau Küppers. Kommen Sie rein. Entschuldigung. Ich muss eingeschlafen sein.«

      Seine Stimme war nicht besser geworden und Kati hatte Mühe, ihn zu verstehen. Er gab die Tür frei in einen langen, schmalen, dunklen Flur.

      »Ich hab Ihnen etwas zum Essen mitgebracht.«

      Pater Remigius hob abwehrend die Hand. »Das ist sehr nett, aber …«

      Kati ließ den Pater in der Tür stehen und stellte den Topf in der penibel aufgeräumten Küche auf den Herd.

      »Mein Mann hat gekocht«, erklärte sie grinsend. »Also lassen Sie es sich schmecken. Wenn nicht jetzt, dann später.«

      Pater Remigius lächelte. Ihm fehlte die Kraft, sich zu wehren. Genauso, wie sich selbst etwas zu Essen zu machen.

      »Danke«, krächzte er.

      Mit einer Armbewegung deutete er auf den Flur. Kati folgte ihm ins Wohnzimmer, das eigentlich diese Bezeichnung nicht verdiente. Hier wurde nicht gewohnt, sondern gearbeitet. In den dunklen Regalen, die sich an den drei Wänden ohne Fenster vom Boden bis unter die Decke erstreckten, standen Bücher, akkurat Buchrücken an Buchrücken, als ob sich jemand die Mühe gemacht hätte, sie mit einem Lineal auszurichten. Keines tanzte aus der Reihe. Dennoch wirkten sie wie ein heilloses Durcheinander. Mitten im Raum stand ein gewaltiger massiver Schreibtisch, der im krassen Gegensatz zum sonstigen Erscheinungsbild der Wohnung stand. An seinen Rändern stapelten sich Bücher, teils aufgeschlagen, teils mit Zetteln versehen, die über die Buchseiten hinausragten, und auf der Schreibunterlage türmten sich Kladden, Schreibhefte und lose Blätter. Zwischen dem Durcheinander entdeckte Kati einen Köcher mit Stiften, eine Teekanne und einen großen Henkelbecher.

      Dem Pater war es spürbar unangenehm, dass er ihr keinen freien Stuhl anbieten konnte. Er seufzte und bedeutete Kati, in einem der drei Sessel Platz zu nehmen, die ihr stiefmütterliches Dasein zwischen Schreibtisch und Fensterfront fristeten und dem Aussehen nach selten genutzt wurden.

      »Tee?«, fragte Pater Remigius, als Kati sich gesetzt hatte.

      »Nein, danke. Bitte machen Sie sich keine unnötige Mühe, Pater.«

      Der Mönch holte Teekanne und Tasse vom Schreibtisch und stellte sie auf das Beistelltischchen neben den Sessel, der Kati gegenüberstand. Dann sank er erschöpft ins Leder.

      »Was für ein Grauen.«

      Kati nickte stumm und knetete die Hände in ihrem Schoß. Wer hatte ihrem Dienstherrn die schreckliche Nachricht mitgeteilt? Das wäre ihr Part gewesen. Sie schämte sich. Rücksichtnahme auf die gesundheitliche Verfassung des Geistlichen war nur eine Schutzbehauptung, die ihr Gewissen nicht gelten ließ.

      Pater Remigius beugte sich vor, tätschelte ihre Hand und lächelte milde. Kati hatte immer schon den Verdacht, dass er Gedanken lesen konnte. Er goss Tee in die Tasse und wärmte an ihr seine knochigen Finger.

      »Ich habe das Generalvikariat noch nicht verständigt. Bin ja krank. Nächste Woche reicht. So lange machen Sie weiter wie gewohnt.« Er schaute Kati an und stellte den Becher zur Seite, ohne getrunken zu haben. Eine unangenehme Pause entstand.

      »Ich kann die Gedanken nicht denken«, flüsterte der Pater schließlich und schüttelte den Kopf. »Gift im Messwein! Kaplan Overath nicht mehr unter uns. Galt der Anschlag wirklich ihm? … Oder mir? … Oder der Amtskirche?« Wieder schüttelte er den Kopf. »In Rom vielleicht. Meinetwegen auch in Berlin. Oder möglicherweise in Köln. Aber in Niederbroich? Ungeheuerlich.«

      Die ruhige Atmosphäre und das schwindende Licht lösten bei Kati die Tränen. Stumm kullerten sie über ihre Wangen und tropften in ihren Schoß. Pater Remigius tätschelte ihr erneut die Hand.

      »Einer von uns?« Er schluckte hörbar. »Eine von hier? Ich kann es nicht denken. Sollte ich den Menschen wirklich kennen, der zu einer solchen Tat fähig ist?«

      Kati kramte in ihrer Hosentasche nach Taschentüchern und wurde schließlich fündig. Sie putzte sich ausgiebig die Nase und wischte die Tränen von den Wangen, bis sie genug Mut gesammelt hatte.

      »Die Polizei verdächtigt mich«, brachte sie schließlich heraus und hörte sich fast so heiser an wie der Pater.

      Dieser nickte.

      »Sie haben nicht viel Zeit. Spätestens Montag muss ich Köln informieren. Dann liegt es nicht mehr in meiner Hand, ob Sie vorübergehend beurlaubt werden«, flüsterte er, blickte auf seine Pantoffeln und zuckte hilflos mit den Schultern.

      Kati schaute den Priester mit großen Augen an und sah seinen Schmerz. Als er sie wieder ansah, flackerte in seinem Blick grimmige Entschlossenheit auf. »Finden Sie den Mörder, Frau Küppers. Je schneller, desto besser.«

      16

      Sie hatte sich in ihr Zimmer geschlichen, Mütze, Handschuhe und Jacke aufs Bett geschmissen und hundert Sit-ups gemacht, bis ihr der Schweiß auf die Stirn trat und sie sich besser fühlte. Diesen Augenblick nach der Anstrengung genoss sie besonders, wenn sie sich endlich wohlfühlte in ihrem Körper. Dann lag sie auf dem Boden, Arme und Beine weit von sich gestreckt, wie die Studie des Menschen von Michelangelo, und träumte sich weg. In ein Leben mit einem gutaussehenden Mann an ihrer Seite und wohlerzogenen glücklichen Kindern. Gemeinsam trieben sie Sport und lachten dabei, bis …

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