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verwickelte Abwechslung von Wiesen und Gebüschen bis dahin folgen konnte, wo er sich ins Meer ergoß, wovon ein breiter Arm und eine jenseits gelegene Insel den Prospekt begrenzten.

      Zur Rechten dieses Thales öffnete sich ein anderes von geringerer Breite, geziert mit verschiedenen Dörfern und eingeschlossen von einem der Türme einer alten verfallenen Abtei, welcher mit Eibisch bewachsen war, und von einem Teile der Front, die noch ganz dastand.

      Die Szene zur Linken zeigte einen schönen Park von unebenem Grunde, der mit einer so großen Mannigfaltigkeit von Hügeln, Grasplätzen, Wäldchen und Gewässern abwechselte, als man es nur immer von dem vortrefflichsten Geschmacke eines Erbauers erwarten kann, dessen Bescheidenheit es fühlt, daß die Kunst nur die Hebamme der Natur sein muß. Hinter diesen erhob sich der Boden allmählich zu einer Erhöhung von wilden Gebirgen, deren Spitzen bis über die Wolken hinausragten.

      Es war jetzt um die Mitte des Monats Mai und der Morgen vorzüglich heiter, als Herr Alwerth hinaus auf die Terrasse ging, wo der werdende Tag von Minute zu Minute seinem Auge den Prospekt mehr beleuchtete, den wir vorhin beschrieben haben. Und nach vorausgesendeten Strömen Lichts, welche am blauen Firmament gleich einer Schar von Herolden heraufzogen, den folgenden Pomp anzukünden, erschien im vollen Glanze ihrer majestätischen Pracht die Sonne, über deren Herrlichkeit nur ein Wesen in dieser niedern Schöpfung den Vorzug haben konnte, und dieses stellte Herr Alwerth selbst vor; ein Mensch voll Mild' und Güte, begriffen im Nachsinnen, wie er sich seinem Schöpfer gefälliger machen und einen Mitgeschöpfen das meiste Gute erweisen könne.

      Lieber Leser, vorgesehn! Unbedachtsamerweise habe ich Sie an Alwerths Höhe hinaufgeleitet und weiß nun nicht wie ich Sie wieder herunterbringen soll, ohne das Genick zu brechen. Doch wagen wir es miteinander herunterzuglitschen; denn Fräulein Brittjen zieht an ihrer Schelle und Herr Alwerth wird zum Frühstück gerufen, wobei ich zugegen sein muß, und wenn's Ihnen beliebt, soll mir Ihre Gesellschaft sehr angenehm sein.

      Nachdem die gewöhnlichen Höflichkeitsbezeugungen zwischen Herrn Alwerth und Fräulein Brigitten vorüber und der Thee eingeschenkt worden, ließ er Jungfer Wilkens rufen und sagte seiner Schwester, er habe für sie ein Geschenk; wofür sie ihm dankte, weil sie wohl denken mochte, es wäre ein Kleid oder sonst ein Schmuck für ihre Person. In der That machte er ihr dergleichen Geschenke sehr oft, und sie, aus Gefälligkeit für ihn, verwandte viele Zeit darauf, sich zu putzen. Ich sage, aus Gefälligkeit für ihn, weil sie beständig die größeste Verachtung gegen den Kleiderputz und solche Frauenzimmer bezeigte, die daraus ihr Studium machten.

      Allein, wenn ihre Erwartung darauf ging, wie sehr sah sie sich getäuscht, als Jungfer Wilkins, zufolge dem von ihrem Herrn erhaltenen Befehle, das kleine Kind zum Vorschein brachte. Starke Ueberraschungen, wie man bemerkt hat, machen gerne stumm; und das war Fräulein Brigitte so lang, bis ihr Bruder zu reden begann und ihr die ganze Begebenheit erzählte, welche wir aber nicht wiederholen, weil sie der Leser schon weiß.

      Fräulein Brittjen hatte beständig für das, was die Damen Tugend zu nennen geruhen, eine so große Achtung geäußert, und sich selbst in ihrer eigenen Aufführung so streng bewiesen, daß man erwarten konnte, besonders die Wilkins, sie würde bei dieser Gelegenheit sich mit vieler Bitterkeit herausgelassen und dafür gestimmt haben, das Kind, als ein unreines Tier, alsofort aus dem Hause zu schaffen; es ergab sich aber gerade das Gegenteil; sie nahm die Sache vielmehr von der mildherzigen Seite, ließ einiges Mitleid mit dem armen hilflosen kleinen Geschöpfe blicken, und pries die Barmherzigkeit ihres Bruders in dem, was er gethan hatte.

      Vielleicht setzt der Leser dies Betragen auf Rechnung der Nachgiebigkeit gegen Herrn Alwerth, wenn wir ihm berichtet haben, daß dieser gute Mann seine Erzählung damit geschlossen, daß er den Vorsatz gestand, für dieses Kind ebenso zu sorgen und es ebenso zu erziehen, als ob es sein eigenes wäre; denn die Wahrheit zu gestehen, sie war immer bereit, ihrem Bruder gefällig zu leben, und bestritt seine Meinung niemals, oder doch wenigstens nur höchst selten; zuweilen machte sie wohl freilich eine oder die andre Anmerkung, wie zum Beispiel: Mannspersonen wären doch immer starrköpfig und müßten ihren Willen haben; ihr Unglück sei's, daß sie nicht reich genug wäre, nach ihrem eigenen Gefallen zu leben; – aber so etwas sagte sie immer nur mit leiser Stimme und ging damit nie weiter, als höchstens zu dem, was man zwischen den Zähnen murmeln nennt.

      Was sie unterdessen dem Kinde schenkte, das ließ sie die arme unbekannte Mutter im vollgerüttelten Maße entgelten, die sie eine unverschämte Schlumpe, liederliche Vettel, Allmannsmetze, üppiges Nickel hieß, und ihr alle die Benennungen beilegte, womit tugendbegabte Zungen niemals ermangeln, solche Weiber und Mädchen zu stäupen, die ihrem Geschlechte eine Schande sind.

      Nun ward eine Beratschlagung angestellt, wie man es machen sollte, die Mutter ausfindig zu machen. Erst ward eine Untersuchung über die Aufführung der Mägde im Hause angestellt, die aber Jungfer Wilkins alle für unschuldig erklärte, und zwar nicht ohne gute Gründe; denn sie selbst hatte sie ausgesucht, und, nebenher gesagt, möchte es vielleicht sehr schwer gewesen sein, ein solches zweites Nest von Vogelscheuchen zusammenzubringen.

      Der nächste Schritt war, unter den Kirchspielkindern ein Examen anzustellen, und dieses ward Jungfer Wilkins aufgetragen, welche dies Examen besten Fleißes anstellen und des Nachmittags ihren Bericht erstatten sollte.

      Nachdem die Sachen solchergestalt eingeleitet waren, begab sich Alwerth nach seiner Schreibstube, wie's seine Gewohnheit war, und ließ das Kind bei seiner Schwester, welche, auf sein Verlangen, es über sich genommen hatte, dafür zu sorgen.

      Enthält einige wenige Alltagsmaterien, nebst einer sehr seltenen Beobachtung darüber.

      Als ihr Herr das Zimmer verlassen hatte, sagte Jungfer Wilkins keine Silbe und erwartete, daß Fräulein Brigitte ihr Stichwort brächte; denn auf das, was in Gegenwart ihres Herrn gesagt worden, baute kluge Hausjungfer nicht das geringste, weil sie oft erfahren hatte, daß die Gesinnung des Fräuleins in Gegenwart ihres Bruders gewaltig von demjenigen verschieden gewesen, was sie in seiner Abwesenheit hatte verlauten lassen. Fräulein Brittjen ließ sie indessen nicht lange in dieser zweifelhaften Lage schwanken; denn, nachdem sie einige Zeit das Kind, so wie es schlafend auf Jungfer Deborahs Schoße lag, ernsthaft angesehen hatte, konnte sich das gutmütige Fräulein nicht enthalten ihm einen herzlichen Kuß zu geben, und zugleich zu beteuren, sie habe ein außerordentliches Wohlgefallen an seiner Schönheit und Unschuld. Jungfer Deborah merkte dies nicht so bald, als sie mit ebenso warmem Entzücken zu küssen und zu drücken begann, wie wohl zuweilen eine Braut, in den Jahren des Verstandes, bei ihrem jugendlichen, flinken Bräutigam anwandelt, und rief dabei mit kreischender Stimme: »O das teure, liebe Kindchen! das teure, süße, scharmante Knäbchen! Ja, das muß wahr sein, e'n so feines Bübchen ist's, als ihn nur ein Bildhauer malen kann.«

      Diese Ausrufungen dauerten fort, bis sie vom Fräulein unterbrochen wurden, welche jetzt zur Ausführung des Auftrages schritt, den sie von ihrem Bruder erhalten hatte, und Befehl gab, alles Benötigte für das Kind zu besorgen, und ein sehr gutes Zimmer im Hause zur Kinderstube anwies. Ihre Verordnungen waren wirklich so mildgebig, daß sie nicht mehr hätte thun können, wär's auch ihr eigenes Kind gewesen. Doch, damit die tugendsamen Leserinnen sie nicht verdammen mögen, als habe sie die Sorgfalt für ein schandgebornes Kind zu weit getrieben, mit welchem Barmherzigkeit zu haben die Gesetze für Religionslosigkeit erklären: so halten wir es für schicklich, anzumerken, daß sie das Ganze mit folgenden Worten beschloß: »Weil es einmal so ihres Bruders Grille wäre, die Krabbe als sein eignes Kind zu halten, so müßte man das junge Herrchen ja wohl mit großer Zärtlichkeit behandeln; sie für ihr Teil könne nicht umhin, zu glauben, man gäbe dadurch der Liederlichkeit Vorschub; sie kenne den Steifsinn des Mannes aber zu gut, um sich seinen lächerlichen Einfällen zu widersetzen.«

      Mit Betrachtungen dieses Schlages begleitete sie, wie wir bereits zu verstehen gegeben haben, jede nachgiebige Handlung gegen ihres Bruders Neigungen; und sicherlich konnte nichts mehr beitragen, das Verdienst ihrer Gefälligkeit zu erhöhen, als eine Erklärung, daß sie die Thorheit und Widersinnigkeit dieser Neigungen recht gut einsähe, denen sie sich unterwürfe. Schweigender Gehorsam zeigt keine Gewalt über den Willen, und kann eben daher leicht sein und ohne Kampf

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