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gegen ihren Liebhaber. Sie habe solche beständig für ein sehr gutes Mädchen gehalten und zweifle nicht, sie müsse durch irgend einen Schurken verführt worden sein, der unendlich viel strafbarer wäre, als das Mädchen, und der sie höchst vermutlich durch ein Eheversprechen oder ein anderes dergleichen heimtückisches Verfahren zu seinem Willen verleitet habe. Dies Betragen des Fräuleins machte Jungfer Deborah höchst bestürzt; denn dies wohlerzogene Frauenzimmer öffnete selten ihre Lippen, weder gegen ihren Herrn noch seine Schwester, sie habe denn vorher ihre Meinung ergründet, mit welcher dann ihre Aeußerungen allemal völlig übereinstimmend waren. Hier hatte sie indessen gedacht könne sie mit Sicherheit den ersten Ton angeben; und der scharfsinnige Leser wird sie vermutlich nicht dabei eines Mangels an entsprechender Vorsicht beschuldigen, sondern vielmehr bewundern, mit welch unglaublicher Schnelligkeit sie den Ton veränderte, als sie merkte, sie habe nicht die rechte Modulation getroffen.

      »Nein, gnädiges Fräulein,« sagte dieses geschickte und wirklich sehr staatskundige Frauenzimmer, »das muß ich gestehen, ich kann den Mut des Mädchens nicht genug bewundern, so wenig als 'R Gnaden, und wie 'R Gnaden sagen, wenn sie betrogen ist, von 'm Schurken von Kerl, so muß man das arme Mensch bedauern; und gewiß genug, wie 'R Gnaden sagen, das Mädchen hat mir immer geschienen wie ein gut, ehrlich, bescheiden Mädel, und nicht breitthuerisch mit ihrem Gesicht wie wohl andre schnippsche Flirtgen in unsrer Nachbarschaft.«

      »Sie hat recht, Deborah,« sagte Fräulein Brigitte, »wäre das Mädchen eins von den eiteln Schlumpen gewesen, deren wir nur zu viel im Kirchspiel haben, so hätt' ich meinen Bruder wegen seiner Gelindigkeit gegen sie selbst getadelt. Ich sah neulich zwei Pachterstöchter in der Kirche mit bloßem Busen; gewiß, ich ärgerte mich erschrecklich darüber! Wenn die Menscher Lockspeise für die Kerls auswerfen, so mögen sie auch wieder leiden, was recht ist. Solche Kreaturen hass' ich; und es wäre viel besser für sie gewesen, wenn die Blattern ihnen dicke Säume ins Gesicht genähet hätten. Aber das muß ich bekennen, an Hannchen hab' ich niemals ein solches üppiges Betragen wahrgenommen. Ich bin überzeugt, ein listiger Schuft muß sie betrogen haben, vielleicht hat er gar Gewalt gebraucht, und ich bedaure das arme Mädchen von ganzem Herzen!«

      Jungfer Deborah gab allen diesen Meinungen Beifall, und der Dialog endigte mit allgemeinem und bitterem Schmälen auf Schönheit und mit mitleidsvollem Bedauern aller ehrlichen bescheidenen Mädchen, welche durch die gottlosen Künste ränkevoller Mannspersonen verführt werden.

      Enthält Materien, welche des Lesers Erstaunen erregen werden.

      Hannchen ging wieder nach Hause, ganz vergnügt über die Aufnahme, die ihr von Herrn Alwerth widerfahren war, dessen ihr erwiesene Güte sie mit bestem Fleiß öffentlich bekannt machte; teils vielleicht als ein Opfer, das sie ihrer eigenen Eitelkeit brachte, und teils aus der klüglichern Absicht, ihre Nachbarn mit sich auszusöhnen und ihr Gerede zum Schweigen zu bringen.

      Allein obgleich diese letztere Absicht, wenn sie solche wirklich hatte, vernünftig genug scheinen mag, so entsprach doch der Erfolg keineswegs ihrer Erwartung; denn obgleich, als sie vor den Friedensrichter geladen ward, die allgemeine Vermutung dahin ging, sie würde nach einem Zucht- oder Spinnhause wandern müssen; – und einige junge Dirnen ausriefen: »das wär' ihr schon recht!« und sich mit dem Gedanken kitzelten, wie es Hannchen lassen würde, wenn sie in einem seidnen Kleide Hanf klopfte; – so gab's doch viele, welche anfingen, ihren Zustand zu bedauern: als es aber bekannt wurde, auf was Weise Herr Alwerth die Sache aufgenommen hatte, da kehrte sich das Gerede durchaus gegen sie. Die eine sagte: »ja, ja, Mamsell hat von Glück zu sagen, wahrhaftig!« Eine zweite schrie: »da sieht man's! Gunst geht über Kunst!« Und eine dritte: »ja, das kommt von ihrer Gelehrsamkeit!« Jedermann machte diese oder jene hämische Anmerkung, und alle stichelten auf die Parteilichkeit des Richters.

      Das Betragen dieser Leute mag dem Leser unbesonnen und undankbar scheinen, wenn er an die Gewalt und Wohlthätigkeit des Herrn Alwerths denkt; allein, was seine Gewalt betrifft, so bediente er sich derselben niemals; und seine Wohlthätigkeit die übte er dermaßen, daß er dadurch alle seine Nachbarn gegen sich aufbrachte: denn es ist ein allen großen Männern wohlbekanntes Geheimnis, daß sie durch erwiesene Dienstleistung nicht immer einen Freund gewinnen, aber gewiß sich manche Feinde machen.

      Indessen ward Hannchen durch die Vorsorge und Güte des Herrn Alwerth an einen Ort geführt, wo sie die bösen Zungen nicht weiter erreichen konnten; und als die Bosheit ihre Wut nicht länger an Hannchen auslassen konnte, fing sie an, einen andern Gegenstand ihrer Verleumdung zu suchen, und dies war kein geringerer, als Herr Alwerth selbst; denn es ging bald ein Geflüster umher, daß er selber der Vater des Findlings sei. Diese Mutmaßung vertrug sich nach der allgemeinen Meinung so wohl mit seinem Betragen, daß sie durchgängig Beifall fand; und das Geschrei gegen seine Sanftmut begann eine andere Wendung zu nehmen und verwandelte sich in Beschuldigung und Beschwerden über die Grausamkeit gegen die arme Dirne. Sehr ernsthafte gute Weiber schmälten auf solche Männer, welche erst Kinder zeugten und sie dann verleugneten. Auch fehlte es nicht an einigen, welche nach Hannchens Abreise zu verstehen gaben, sie wäre hinweggedräuet worden aus einer Absicht, die zu schwarz wäre, um sie zu nennen; und diese ließen sich nicht selten verlauten, die ganze Sache wäre einer richterlichen Untersuchung wohl wert, und gewisse Leute sollten mit Gewalt angehalten werden, das Mädchen wieder ans Tageslicht zu bringen.

      Diese Verleumdungen hätten vermutlich für eine Person von einem zweideutigern und verdächtigern Charakter als Herrn Alwerth seiner war, böse Folgen hervorbringen können, (wenigstens würden sie Unruhen und Mißvergnügen veranlaßt haben) allein in diesem Falle thaten sie keine solche Wirkung; und weil er sie herzlich verachtete, so dienten sie bloß zum unschuldigen Zeitvertreib für die guten Plauderschwestern in der Nachbarschaft.

      Nach diesem Orte (mag sein, welcher er will) wollen wir ihr eine glückliche Reise wünschen, und für jetzt sowohl von ihr als dem kleinen Findling, ihrem Kinde, Abschied nehmen, weil wir dem Leser Sachen von größerer Wichtigkeit mitzuteilen haben.

      Fußnoten

      1 So oft dies Wort in unsern Schriften vorkommt, bezeichnet es Personen ohne Tugend und Verstand unter allen Ständen, und zuweilen werden dadurch viele vom höchsten Range gemeint.

      Alwerths Gastfreundschaft;

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