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Jahre.

      «Haben Ihre sieben Freunde auch keine Handys?», durchbricht der jüngste Stiftungsrat mein hilfloses Schweigen. Betonungsmäßig hat er sich auf das Wörtchen sieben geworfen wie ein Rockstar in die ausgestreckten Arme eines frenetischen Publikums.

      «Nein», gestehe ich, «sie haben alle Smartphones. Und spätestens wenn die letzte österreichische Telefonzelle eingestampft sein wird, werde ich mir ein Smartphone kaufen müssen. Es ist leider nur eine Frage der Zeit, bis auch ich dem größten Gott huldigen werde, den diese Menschheit je angebetet hat. Aber ich fürchte diesen Moment. Ich fürchte mich davor, keine Wahl mehr zu haben und hineingestoßen zu werden in die gnadenlose Dichte seines allumfassenden ‹Liebesnetzes›.»

      Niemand reagiert, aber alle scheinen zu überlegen, was die Anführungszeichen bedeuten, die ich mit meinen Zeige- und Mittelfingern rund um das Wort «Liebesnetz» in die Luft gezeichnet habe. Genau vor solchen Momenten wollte mich mein Unterbewusstsein schon in der Unterführung warnen. Auf Menschen, die mich nicht kennen, können meine bombastischen Metaphern zweifellos zynisch wirken. Dabei ist mein Zynismus nur eine Patina auf einer Verzweiflung, die sich meiner Hilflosigkeit gegenüber den großen Umwälzungen verdankt, die unser Leben täglich schwieriger machen, obwohl sie genau das Gegenteil behaupten und vorgeben uns zu dienen.

      Die Juroren bemühen sich, mich nicht ständig anzusehen. Andererseits müssen sie mich ansehen. Sie brauchen ein Bild von mir. Sie müssen mich mit den anderen Kandidaten vergleichen.

      «In der Wohnung», nimmt der Präsident das Wort wieder an sich, «gibt es ein altes Festnetztelefon und einen Internetanschluss.»

      «Festnetztelefone finde ich wunderbar», lobe ich die alten Bakelitklumpen. In Wahrheit gilt das Lob dem Präsidenten. Indem er die Atmosphäre versachlicht, hilft er mir, die Wogen meiner immer wiederkehrenden Nervosität zu glätten. Hinter mir liegen acht Stunden Zugsfahrt, während der ich mich auf diese Gesprächsrunde vorbereitet habe. Ich las Biographien berühmter Schweizer Schriftsteller und weiß jetzt, dass Friedrich Dürrenmatt gerne Würste gegessen hat. Außerdem hätte er seine großartigen Krimis niemals freiwillig geschrieben. Ihre Entstehung verdankt sich dem nachdrücklichen Befehl seiner Frau. Setz dich hin und schreib endlich einmal etwas, das Geld bringt!

      Bis jetzt konnte ich dieses Spezialwissen nur teilweise verwerten. Mit ihren würdevoll hochgezogenen Schultern erinnern mich die Stiftungsräte an lebensgroße Pokerkarten. Schweizer Asse und Könige, die geduldig auf den besten Zeitpunkt warten, um sich auszuspielen. Sie tragen überwiegend dunkle, unaufdringliche, aber elegant und teuer wirkende Kleidungsstücke. Hier kostet eine einzelne Socke mehr als mein gesamtes Outfit. Der jüngste Stiftungsrat dürfte um die Vierzig sein. Die sechs anderen befinden sich altersmäßig schon in der der zweiten Halbzeit.

      «Warum finden Sie Festnetztelefone wunderbar?», bohrt die strenge Rätin nach.

      «Weil Festnetztelefone ihre Benützer nicht ständig verfolgen.»

      «Und Sie meinen», bleibt sie am Ball, «wenn ich Sie richtig verstehe, dass Handys die Menschen verfolgen?»

      «Ja.»

      «Aber bei einem Verkehrsunfall rettet der schnelle Handy-Anruf mitunter Menschenleben», erklärt der jüngste Stiftungsrat.

      «Das ist zweifellos ein immenser Vorteil», gestehe ich. «Das Mobiltelefon kann äußerst hilfreich sein. Andererseits beunruhigt mich das Ausmaß der Entzauberung, die von ihm ausgeht. Rilke sagt: ‹Ich will immer warnen und wehren, bleibt fern, die Dinge singen hör ich so gern.› In meiner Wahrnehmung zerstört das Handy genau diese befreiende Distanz zu den Dingen. Es verflechtet seine Benutzer mit einer flirrenden Oberfläche, in der die unterschiedlichsten Bedeutungen gleichgeschaltet werden und die Achtsamkeit für das Besondere verloren geht. Ich aber brauche nichts so dringend wie meine Achtsamkeit. Sie ist mein Seismograph, mit dem ich Freunde und besondere Momente erkennen kann. Außerdem hilft sie mir Fettnäpfe zu entdecken, sodass ich wenigstens nur in jeden zweiten steige.»

      «Warum steigen Sie überhaupt hinein, wenn Sie den Fettnapf doch schon entdeckt haben?», will die sehr strenge Rätin wissen.

      «Weil ich ein typischer Nachkriegs-Österreicher bin. Und dieser Typus kauft Abfangjäger, von denen er intuitiv weiß, dass sie schrottreif sind. Das ist aber nur der erste Teil des Selbstbetrugs. Der typische Österreicher meiner Generation spürt nämlich auch, dass die großartigen Gegengeschäfte, die man ihm vor dem Kauf verspricht, sich nach dem Kauf als Luftschlösser entpuppen werden. Dennoch kauft er. Er würde sogar dann noch kaufen, wenn er sich die Teile selbst zusammenbauen müsste, obwohl er keine Ahnung hat vom Flugzeugbau.»

      «Warum tut er das?», erweitert die sehr strenge Rätin ihre Frage.

      «Weil ihm erfolgreich suggeriert wurde und wird, dass er die Kriegsschuld seiner Mütter und Väter noch immer zu tilgen hat. Dafür muss er bis in eine unabsehbare Zukunft hinein bezahlen. Mit schlechtem Gewissen, Demut, Duckmäuserei und viel, viel Geld. Auch und gerade dann, wenn er ganz offensichtlich übervorteilt wird.»

      «Wer suggeriert den Österreichern ihre Schuld?», kreist die Sekretärin weiter um dieses Thema.

      «Der Zeitgeist», antworte ich.

      «Und dieser Zeitgeist», nimmt die Direktorin das Hegelwort auf, «hat auch Ihnen persönlich suggeriert, dass Sie in jeden zweiten Fettnapf zu steigen haben?»

      «Ja», gebe ich zu, «für einen Österreicher ist das gar keine schlechte Quote. Dass ich überhaupt schreibe ist ja schon der Inbegriff von Feigheit. Eigentlich wollte ich Maler werden. Aber mein Vater, der ein Kriegs-Österreicher war und selbst gemalt hat, hat mich aus diesem Terrain verdrängt. Und gehorsam wie ich war, habe ich mich auch verdrängen lassen.»

      «Wie hat er Sie denn verdrängt?», fordert der Kassier eine Präzisierung.

      «Er hat mir alle Bilder und Zeichnungen weggenommen, die ich als Jugendlicher gemalt habe», entberge ich dieses private Geheimnis. «Er hat sie alle konfisziert und so versteckt, dass ich sie nicht mehr finden konnte.»

      «Warum?», fragt er weiter.

      «Das habe ich meine Mutter auch gefragt», antworte ich. «Sie hat mir seine Übergriffe damit erklärt, dass es in ihm arbeitet. Mit dieser Formulierung konnte ich lange Zeit nichts anfangen. Also habe ich immer wieder nachgefragt, was das ist, das in meinem Vater arbeitet. Irgendwann hat meine Mutter endlich Farbe bekannt und gesagt, der Krieg. Hitler hat meinen Vater noch als Siebzehnjährigen an die Front nach Afrika geschickt. Dort hat er als einziger seines Bataillons überlebt. Nach seiner Rückkehr war er nur noch äußerlich ein Mensch. In seinem Inneren ist er lebenslang ein Soldat geblieben und hat weiter gekämpft.»

      «Wogegen genau?», wirft die strenge Rätin konzentriert ein.

      «Gegen die Idee», antworte ich, «dass das Leben auch schön sein kann. Mein Vater hat nichts so sehr bekämpft wie die Lebensfreude in all ihren Erscheinungsformen.»

      «Warum?»

      «Weil Lebensfreude in seiner Erfahrung die größtmögliche Lüge war. Wo immer sich Anzeichen dieser Lüge gezeigt haben, ist der Krieger in ihm erwacht. Und dieser Krieger war unerbittlich. Besonders gegenüber seiner Frau und seinem Sohn. Er hat mir das Malen ausgetrieben. Im Geheimen habe ich dann angefangen zu schreiben. Das war leichter vor ihm zu verbergen.»

      «Also ist Schreiben nur eine Notlösung für Sie?», fragt die Direktorin.

      «Am Anfang war es das bestimmt», gebe ich zu. «Als junger Mensch bin ich stundenlang vor den Prachtbildbänden in unserer Bibliothek gesessen … Picasso, Beckmann, Ensor, Matisse und Wölfli … Ich habe mich auf ihre Bilder gestürzt wie auf Rettungsinseln. Ihre Werke waren meine Verstecke und gleichzeitig eine Verheißung.»

      «Verstecken Sie sich noch immer vor Ihrem Vater?», fragt der Präsident.

      «Ja und nein», antworte ich, «er ist vor zwei Jahren gestorben.»

      Der Präsident hebt seinen Kopf noch eine Spur höher, dann fährt er fort.

      «Haben

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