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Leute aus ...«

      »Und Louise?« fragte ihn Benassis.

      Butifer versank in Nachdenken.

      »He, mein Junge,« sagte Genestas, »lern' lesen und schreiben, komm in mein Regiment, setz' dich auf ein Pferd und werde Karabinier! Wenn einmal zum Aufsitzen geblasen wird und es in einen wirklichen Krieg geht, sollst du sehen, dass der liebe Gott dich erschaffen hat, um inmitten der Kanonen, Kugeln und Schlachten zu leben, und du wirst General werden.«

      »Ja, wenn Napoleon zurückgekommen wäre,« antwortete Butifer.

      »Du kennst doch unsere Abmachungen?« sagte der Arzt zu ihm. »Bei der zweiten Übertretung hast du mir versprochen, wolltest du Soldat werden. Ich gebe dir sechs Monate zum Lesen- und Schreibenlernen, dann werde ich einen Familiensohn ausfindig machen, als dessen Stellvertreter du einrückst.«

      Butifer blickte in die Berge.

      »Oh, du wirst nicht in die Alpen gehen!« rief Benassis. »Ein Mann wie du, ein Ehrenmann voller guter Eigenschaften, muss seinem Vaterlande dienen, eine Brigade befehligen, und nicht mit einer Gämse abstürzen. Das Leben, das du führst, bringt dich geradewegs ins Bagno. Deine übermäßigen Arbeiten zwingen dich zu langen Ruhepausen; auf die Dauer wirst du die Gewohnheiten eines müßigen Lebens annehmen, das jede Vorstellung von Ordnung in dir zerstören, das dich daran gewöhnen würde, deine Kraft zu missbrauchen und dir selber Recht zu verschaffen; und ich will dich trotz deines Widerstrebens auf den guten Weg bringen.«

      »Ich soll also vor Langeweile und Kummer verrecken! Ich erstick', wenn ich in einer Stadt bin. Ich kann's nicht länger als einen Tag in Grenoble aushalten, wenn ich Louise dorthin bringe ...«

      »Wir alle haben Neigungen, die wir entweder bekämpfen oder zu unseresgleichen Nutzen und Frommen anzuwenden lernen müssen. Aber es ist spät, ich hab's eilig. Du sollst morgen zu mir kommen und mir deine Flinte bringen, dann wollen wir von alledem plaudern, mein Kind. Leb wohl. Verkauf deine Gämse in Grenoble.«

      Die beiden Reiter entfernten sich.

      »Das nenne ich einen Mann,« sagte Genestas.

      »Ein Mensch auf üblem Wege,« antwortete Benassis. »Doch, was tun? Sie haben ihn gehört. Ist's nicht jammervoll, solch schöne Eigenschaften verlorengehen zu sehen? Angenommen, der Feind überzöge Frankreich mit Krieg, so würde Butifer an der Spitze von hundert jungen Leuten in der Maurienne einen Monat lang eine Division aufhalten; in Friedenszeiten aber kann er seine Energie nur in Situationen entfalten, wo den Gesetzen Trotz geboten wird. Er muss irgendwelche Kraft zu besiegen haben. Wenn er sein Leben nicht wagt, kämpft er mit der Gesellschaft und hilft den Schmugglern. Dieser Leichtfuß fährt allein auf einem kleinen Boote über den Rhone, um Schuhe nach Savoyen zu bringen; rettet sich schwer bepackt auf eine unzugängliche Bergspitze, wo er zwei Tage, von Brotrinden lebend, bleiben kann. Kurz, er liebt die Gefahr wie ein anderer den Schlaf liebt. Durch den vielfachen Genuss der Freuden, welche außergewöhnliche Sensationen erregen, hat er sich außerhalb des gewöhnlichen Lebens gestellt. Ich, ich will nicht, dass ein solcher Mensch, indem er ganz allmählich auf eine schiefe Ebene gerät, ein Räuber wird und auf dem Schafott stirbt. Doch, sehen Sie, Rittmeister, wie sich unser Flecken präsentiert?«

      Von weitem erblickte Genestas einen großen, runden, mit Bäumen bepflanzten Platz, in dessen Mitte sich ein von Pappeln umstandener Springbrunnen befand. Seine Einfriedigung war durch Böschungen bezeichnet, auf denen sich drei Reihen verschiedener Baumarten erhoben: erst Akazien, dann japanische Firnisbäume und oben auf der Bekrönung kleine Ulmen.

      »Das ist der Platz, wo unser Jahrmarkt abgehalten wird,« sagte Benassis. »Dann fängt da die Hauptstraße an mit den beiden schönen Häusern, von denen ich Ihnen erzählt habe, dem des Friedensrichters und dem des Notars.«

      Sie ritten nun in eine breite, ziemlich sorgfältig mit großen Kieseln gepflasterte Straße ein; jede ihrer Seiten wurde von etwa hundert neuen Häusern gebildet, die fast alle durch Gärten voneinander getrennt waren. Die Kirche, deren Portal eine hübsche Perspektive bildete, schloss diese Straße ab, in deren Mitte neuerdings zwei andere angelegt worden waren, an denen sich bereits mehrere Häuser erhoben. Die auf dem Kirchplatze gelegene Bürgermeisterei erhob sich dem Pfarrhaus gegenüber. Je tiefer Benassis in den Ort hineinritt, desto mehr Frauen, Kinder und Männer, deren Tagewerk beendigt war, kamen vor ihre Türen; die einen nahmen vor ihm die Mützen ab, die anderen sagten ihm guten Tag, die kleinen Kinder schrieen und sprangen um sein Pferd herum, wie wenn die Güte des Tieres ihnen ebenso bekannt wäre wie die des Herrn. Es herrschte eine stille Fröhlichkeit, die, ähnlich allen tiefen Gefühlen, ihre besondere Schamhaftigkeit und ihre mitteilsame Anziehungskraft besaß. Als Genestas sah, welchen Empfang man dem Arzte bereitete, dachte er, dass dieser am Vorabend zu bescheiden in der Art und Weise gewesen sei, in der er ihm die Zuneigung der Bewohner des Bezirkes zu ihm geschildert hatte. Das war gewiss das mildeste der Königtümer, das, dessen Ehrentitel in den Herzen der Untertanen geschrieben stehen, ein wahres Königtum übrigens. Wie mächtig auch der Ruhm oder die Macht strahlen, deren sich ein Mensch erfreut, seine Seele hat sich bald ein richtiges Urteil über die Gefühle gebildet, die ihm jede äußere Tätigkeit verschafft; und er wird sich schnell klar über seine tatsächliche Nichtigkeit, indem er keine Veränderung, nichts Neues, nichts Größeres in der Ausübung seiner physischen Fähigkeiten entdeckt. Gehörte ihnen auch die Welt, so sind die Könige doch dazu verdammt wie die übrigen Menschen in einem kleinen Kreise zu leben, dessen Gesetzen sie unterworfen sind, und ihr Glück hängt von persönlichen Eindrücken ab, die sie dort haben. Benassis aber stieß überall im Bezirke nur auf Gehorsam und Freundschaft.

      Der Napoleon des Volkes

      Kommen Sie denn endlich, Monsieur!« sagte Jacquotte. »Die Herren erwarten Sie schon hübsch lange. 's ist immer das gleiche. Immer, wenn's gut werden soll, sorgen Sie dafür, dass mein Essen missrät. Jetzt ist alles zu Mus verkocht ...«

      »Nun, wir sind ja da,« antwortete Benassis lächelnd.

      Die beiden Reiter stiegen vom Pferde und wandten sich nach dem Salon, wo sich die vom Doktor eingeladenen Personen aufhielten.

      »Meine Herren,« sagte er, Genestas bei der Hand nehmend, »ich habe die Ehre, Ihnen Monsieur Bluteau, Rittmeister des in Grenoble garnisonierenden Kavallerieregimentes, vorzustellen, einen alten Soldaten, der mir versprochen hat, einige Zeit unter uns zu verweilen.«

      Sich dann an Genestas wendend, zeigte er ihm einen großen, hageren, grauhaarigen Mann in schwarzem Anzug.

      »Dieser Herr«, sagte er zu ihm, »ist Monsieur Dufau, der Friedensrichter, von dem ich Ihnen bereits erzählt habe, und der so wacker am Gedeihen der Gemeinde mitgeholfen hat. Und dies,« fuhr er fort, ihm einen mageren, blassen, gleichfalls schwarzgekleideten jungen Mann von mittlerer Figur vorstellend, der eine Brille trug, »ist Monsieur Tonnelet, Monsieur Graviers Schwiegersohn, der erste Notar, der sich im Flecken niedergelassen hat.«

      Sich dann zu einem großen, halb bäurisch, halb bürgerlichen Manne mit plumpem, finnigem aber recht gutmütigem Gesichte wendend, sagte er fortfahrend:

      »Der Herr ist mein würdiger Beigeordneter, Monsieur Cambon, der Holzhändler, dem ich das wohlwollende Vertrauen verdanke, das mir die Einwohner entgegenbringen. Er ist einer der Schöpfer der von Ihnen bewunderten Fahrstraße. – Ich hab' nicht nötig,« fuhr Benassis, auf den Pfarrer zeigend, fort, »Ihnen zu sagen, welchen Beruf der Herr ausübt, Sie sehen in ihm einen Mann, den zu lieben niemand umhin kann.«

      Des Priesters Gesicht nahm die Aufmerksamkeit des Offiziers durch den Ausdruck einer moralischen Schönheit in Anspruch, deren Zauber unwiderstehlich war. Auf den ersten Blick konnte Monsieur Janviers Antlitz unangenehm erscheinen, so viele strenge und schroffe Linie waren daraufgeschrieben. Seine kleine Figur, seine Magerkeit, seine Haltung kündigten eine große physische Schwäche an; seine immer ruhige Physiognomie aber bezeugte den tiefen inneren Frieden des Christen und die Kraft, welche Seelenkeuschheit erzeugt. Seine Augen, die den Himmel zurückzustrahlen schienen, verrieten die unerschöpfliche Glut der Nächstenliebe, die sein Herz verzehrte. Seine wenigen und natürlichen Gebärden waren die eines bescheidenen Mannes; seine

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