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Verlorene Illusionen. Оноре де Бальзак
Читать онлайн.Название Verlorene Illusionen
Год выпуска 0
isbn 9783955014933
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ihr allein, arme Heloten der Provinz, für die die sozialen Entfernungen schwerer zu durchlaufen sind als für die Pariser – denn für die verkürzen sie sich von Tag zu Tag –, ihr, die ihr so schwer leidet unter den Gittern, hinter denen jede der verschiedenen Welten der Welt sich entsetzt und Racha! sagt, ihr allein versteht die Erschütterung, die Hirn und Herz Lucien Chardons in Aufregung brachte, als sein ehrwürdiger Direktor ihm sagte, die Tore des Hauses Bargeton sollten sich vor ihm öffnen! Der Ruhm hatte sie ihm aufgeschlossen! Er sollte in diesem Hause aufgenommen werden, dessen alte Giebel seinen Blick auf sich gezogen hatten, wenn er abends mit David auf der Beaulieu-Promenade gewesen war, wobei sie sich gesagt hatten, ihre Namen drängen vielleicht niemals zu diesen Ohren, die Wissenschaft und Kunst nur kannten, wenn sie nicht aus niedrigem Stande erwuchsen. Seine Schwester allein wurde in das Geheimnis eingeweiht. Als gute Wirtschafterin nahm die ahnungsvolle Eva einige Goldstücke aus dem Sekretär und kaufte Lucien beim besten Schuhmacher von Angoulême ein paar feine Schuhe und beim berühmtesten Schneider einen neuen Anzug. Sie versah sein bestes Hemd mit einer Spitzenkrause, die sie selbst wusch und fältete. Welche Freude, als sie ihn so gekleidet sah! Wie war sie stolz auf ihren Bruder! Wieviel Ratschläge hatte sie ihm zu geben! Es fielen ihr tausend Kleinigkeiten ein. Das angestrengte Nachdenken hatte Lucien zu der Gewohnheit gebracht, wenn er sich hinsetzte, immer gleich den Kopf aufzustützen, er zog sogar manchmal einen Tisch zu sich heran, um sich darauf zu stützen. Eva empfahl ihm dringend, sich in dem aristokratischen Heiligtum keinerlei ungenierten Bewegungen zu überlassen. Sie begleitete ihn bis zum Peterstor, ging fast bis zum Dom und sah ihm nach, wie er in die Rue de Beaulieu einbog, um zur Promenade zu gehen, wo ihn Herr du Châtelet erwartete. Das arme Mädchen blieb in großer Erregung zurück, wie wenn ein wichtiges Ereignis geschehen wäre. Lucien bei Frau von Bargeton, das war für Eva das Herannahen des Glücks. Das fromme Kind ahnte nicht, dass, wo der Ehrgeiz beginnt, die unschuldigen Gefühle verschwinden. Als Lucien in der Rue du Minage angelangt war, setzten ihn die äußern Dinge, die ihn umgaben, keineswegs in Erstaunen. Dieser Louvre, den seine Phantasie so vergrößert hatte, war ein Haus, das aus einer besondern mürben Steinart erbaut war, wie man sie in der Gegend findet, und das von der Zeit wie vergilbt aussah. Wie es von der Straße her ziemlich düster sich ausnahm, war es im Innern sehr einfach: es war da der in der Provinz übliche frostig-saubere Hof; eine nüchterne, fast mönchische, wohlerhaltene Architektur. Lucien stieg eine Treppe mit Geländer aus Kastanienholz hinan, deren Stufen nur bis zum ersten Stock aus Stein waren. Er durchschritt ein ärmliches Vorzimmer, einen großen, schlecht erleuchteten Saal und fand die Gebieterin in einem kleinen Salon, der mit geschnitzten Täfelungen im Geschmack des letzten Jahrhunderts bekleidet und in Grau gemalt war. Das Gesims über den Türen war grau in Grau. Ein alter roter Damaststoff, der schlecht dahin passte, bekleidete die Wände, die altmodisch geformten Möbel waren recht armselig mit rot und weiß karierten Überzügen bedeckt. Der Dichter sah Frau von Bargeton auf dem kleinen gesteppten Polster eines Kanapees sitzen, hinter einem runden Tisch mit grüner Decke. Es stand ein Leuchter mit zwei Kerzen darauf, deren Licht durch einen Schirm gemildert war.
Die Königin stand nicht auf. Sie bog sich sehr anmutig auf ihrem Platz dem Dichter entgegen und lächelte ihm zu, und er fand diese erregende Schlangenbewegung sehr vornehm. Die außerordentliche Schönheit Luciens, die Schüchternheit seines Benehmens, alles an ihm fesselte Frau von Bargeton. Der Poet war schon die Poesie. Der junge Mann betrachtete mit heimlichen Seitenblicken diese Frau, die ihm in Einklang mit ihrem Rufe zu stehen schien; sie enttäuschte keine der Vorstellungen, die er sich von der großen Dame gemacht hatte. Frau von Bargeton trug nach einer neuen Mode ein Barett mit Puffen aus schwarzem Samt. Dieser Kopfputz erinnert etwas ans Mittelalter, und das imponiert einem jungen Mann, dem es sozusagen die Frau erhöht. Dem Barett entquollen üppige rotblonde Haarmassen, deren schimmernde Locken vom Licht vergoldet waren. Die edle Dame hatte den blendenden Teint, mit dem eine Frau das angeblich Missliche dieser hochblonden Farbe wieder aufwiegt. Ihre grauen Augen funkelten, ihre Stirn, die schon kleine Fältchen zeigte, thronte weiß und kühn gemeißelt darüber; sie waren von perlmutterschimmernden Rändern umgeben, und auf beiden Seiten der Nase ließen zwei blaue Adern das lichte Weiß dieser zarten Umrahmung noch stärker hervortreten. Die Nase hatte eine bourbonische Krümmung, die den Schwung des ovalen Gesichts noch mehr hervorhob, indem sie gewissermaßen einen glänzenden Punkt bildete, worin das Hinreißende und Königliche der Condé zum Ausdruck kam. Die Haare bedeckten den Nacken nicht völlig. Das leicht zusammengenommene Gewand ließ einen schön gebauten Hals sehen, und das Auge erriet darunter eine Brust von schneeiger Weiße. Mit ihren schmalen, gepflegten, aber etwas trockenen Fingern wies Frau von Bargeton dem jungen Dichter mit freundlicher Geste den Stuhl an, der neben ihr stand. Herr du Châtelet setzte sich in einen Lehnstuhl. Lucien bemerkte jetzt, dass sie allein waren. Die Unterhaltung Frau von Bargetons machte den Dichter aus Houmeau trunken. Die drei Stunden, die er bei ihr verbrachte, waren für Lucien einer der Träume, denen man ewige Dauer wünscht. Er fand diese Frau mehr abgemagert als mager, eine Liebende ohne Liebe, zart trotz ihres starken Geistes, ihre Fehler, die von ihren Manieren noch unterstrichen wurden, gefielen ihm, denn die jungen Leute fangen damit an, dass sie die Überspanntheit lieben, diese Lüge der schönen Seelen. Er bemerkte nicht, wie welk und an den Backenknochen gerötet die