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ausgehalten. Trotzdem füllten die Manieren und der Geist der Kaste, das adlige Behaben, der Stolz des Schlossedelmanns, die Kenntnis der Gesetze der Höflichkeit diese ganze Leere aus. Der Adel der Gefühle hatte in Angoulême viel mehr Tatsächlichkeit als in der Sphäre der Pariser Größen; es herrschte dort eine intransigente Anhänglichkeit an die Bourbonen, die durchaus achtbar war. Diese Gesellschaft konnte, wenn das Bild erlaubt ist, einem Silbergerät von alter Form verglichen werden, das vom Alter geschwärzt, aber gewichtig ist. Die Unbeweglichkeit ihrer politischen Meinungen war fast Treue zu nennen. Der Abstand zwischen ihr und dem Bürgertum, die Schwierigkeit, zu ihr zu gelangen, gaben ihr einen Anstrich von Erhabenheit und die Bedeutung, die der Konvention immer innewohnt. Jeder dieser Adligen hatte für die Einwohner seinen Preis, wie die Kauri bei den Negern von Bambara das Geld vertritt. Mehrere Frauen, denen Herr Châtelet geschmeichelt hatte und die in ihm überlegene Eigenschaften erkannten, die den Männern ihrer Gesellschaft fehlten, beruhigten den Ausstand der Eigenliebe: alle hofften sie, die Erbschaft der kaiserlichen Hoheit anzutreten. Die Fanatiker dachten, man würde den Eindringling bei Frau von Bargeton sehen, aber er würde in keinem andern Haus empfangen werden. Du Châtelet war mehreren Demütigungen ausgesetzt, aber er hofierte den Klerus und hielt sich dadurch in seiner Stellung. Alsdann schmeichelte er den Fehlern, die der Provinzboden in der Königin von Angoulême zur Entstehung gebracht hatte, brachte ihr alle neuen Bücher und las ihr die neu erschienenen Gedichte vor. Sie begeisterten sich zusammen an den Werken der jungen Dichterschule, sie aufrichtig, er aber langweilte sich, ertrug jedoch diese romantischen Dichter, für die er als Mann des Empire wenig Verständnis besaß. Frau von Bargeton, die über die Renaissance, die man dem Einfluss der Lilien verdankte, entzückt war, liebte Chateaubriand, weil er Victor Hugo ein göttliches Kind genannt hat. Sie war traurig, dass sie das Genie nur aus der Entfernung kannte, und sehnte sich nach Paris, wo die großen Männer lebten. Herr du Châtelet glaubte alsdann wunder was zu tun, als er ihr mitteilte, es gäbe in Angoulême ein anderes göttliches Kind, einen jungen Dichter, der, ohne es zu wissen, an Glanz die neu aufgegangenen Sterne am pariser literarischen Himmel überstrahlte. Ein künftiger großer Mann war in Houmeau geboren! Der Direktor des Lyzeums hatte dem Baron wunderbare Gedichte gezeigt. Es handelte sich fast noch um ein Kind, das arm und bescheiden war, um einen Chatterton ohne politische Niedertracht, ohne den wilden Hass gegen die sozial Hochgestellten, der den englischen Dichter stachelte, Pamphlete gegen seine Wohltäter zu schreiben. Frau von Bargeton hatte bisher fünf oder sechs Menschen, die ihre Neigung zu Kunst und Literatur teilten. Der eine, weil er die Geige kratzte, der andere, weil er das weiße Papier mehr oder weniger mit Tusche verschmierte, ein dritter in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Landwirtschaftsgesellschaft, der vierte im Zusammenhang mit einer Bass-Stimme, mit der er das Se fiato in corpo avete nach Art eines Jagdrufs sang; unter diesen grotesken Gestalten kam sie sich vor wie ein Hungriger bei einer Mahlzeit auf der Bühne, wo die Gerichte aus Pappe sind. So war ihre Freude in dem Augenblick, wo sie diese Nachricht empfing, nicht zu beschreiben. Sie wollte diesen Dichter, diesen Engel sehen! Sie war närrisch nach ihm, sie war begeistert, stundenlang sprach sie von ihm. Zwei Tage nachher hatte unser früherer diplomatischer Kurier mit Hilfe des Lyzeumsdirektors die Einführung Luciens bei Frau von Bargeton vermittelt.

      Ihr allein, arme Heloten der Provinz, für die die sozialen Entfernungen schwerer zu durchlaufen sind als für die Pariser – denn für die verkürzen sie sich von Tag zu Tag –, ihr, die ihr so schwer leidet unter den Gittern, hinter denen jede der verschiedenen Welten der Welt sich entsetzt und Racha! sagt, ihr allein versteht die Erschütterung, die Hirn und Herz Lucien Chardons in Aufregung brachte, als sein ehrwürdiger Direktor ihm sagte, die Tore des Hauses Bargeton sollten sich vor ihm öffnen! Der Ruhm hatte sie ihm aufgeschlossen! Er sollte in diesem Hause aufgenommen werden, dessen alte Giebel seinen Blick auf sich gezogen hatten, wenn er abends mit David auf der Beaulieu-Promenade gewesen war, wobei sie sich gesagt hatten, ihre Namen drängen vielleicht niemals zu diesen Ohren, die Wissenschaft und Kunst nur kannten, wenn sie nicht aus niedrigem Stande erwuchsen. Seine Schwester allein wurde in das Geheimnis eingeweiht. Als gute Wirtschafterin nahm die ahnungsvolle Eva einige Goldstücke aus dem Sekretär und kaufte Lucien beim besten Schuhmacher von Angoulême ein paar feine Schuhe und beim berühmtesten Schneider einen neuen Anzug. Sie versah sein bestes Hemd mit einer Spitzenkrause, die sie selbst wusch und fältete. Welche Freude, als sie ihn so gekleidet sah! Wie war sie stolz auf ihren Bruder! Wieviel Ratschläge hatte sie ihm zu geben! Es fielen ihr tausend Kleinigkeiten ein. Das angestrengte Nachdenken hatte Lucien zu der Gewohnheit gebracht, wenn er sich hinsetzte, immer gleich den Kopf aufzustützen, er zog sogar manchmal einen Tisch zu sich heran, um sich darauf zu stützen. Eva empfahl ihm dringend, sich in dem aristokratischen Heiligtum keinerlei ungenierten Bewegungen zu überlassen. Sie begleitete ihn bis zum Peterstor, ging fast bis zum Dom und sah ihm nach, wie er in die Rue de Beaulieu einbog, um zur Promenade zu gehen, wo ihn Herr du Châtelet erwartete. Das arme Mädchen blieb in großer Erregung zurück, wie wenn ein wichtiges Ereignis geschehen wäre. Lucien bei Frau von Bargeton, das war für Eva das Herannahen des Glücks. Das fromme Kind ahnte nicht, dass, wo der Ehrgeiz beginnt, die unschuldigen Gefühle verschwinden. Als Lucien in der Rue du Minage angelangt war, setzten ihn die äußern Dinge, die ihn umgaben, keineswegs in Erstaunen. Dieser Louvre, den seine Phantasie so vergrößert hatte, war ein Haus, das aus einer besondern mürben Steinart erbaut war, wie man sie in der Gegend findet, und das von der Zeit wie vergilbt aussah. Wie es von der Straße her ziemlich düster sich ausnahm, war es im Innern sehr einfach: es war da der in der Provinz übliche frostig-saubere Hof; eine nüchterne, fast mönchische, wohlerhaltene Architektur. Lucien stieg eine Treppe mit Geländer aus Kastanienholz hinan, deren Stufen nur bis zum ersten Stock aus Stein waren. Er durchschritt ein ärmliches Vorzimmer, einen großen, schlecht erleuchteten Saal und fand die Gebieterin in einem kleinen Salon, der mit geschnitzten Täfelungen im Geschmack des letzten Jahrhunderts bekleidet und in Grau gemalt war. Das Gesims über den Türen war grau in Grau. Ein alter roter Damaststoff, der schlecht dahin passte, bekleidete die Wände, die altmodisch geformten Möbel waren recht armselig mit rot und weiß karierten Überzügen bedeckt. Der Dichter sah Frau von Bargeton auf dem kleinen gesteppten Polster eines Kanapees sitzen, hinter einem runden Tisch mit grüner Decke. Es stand ein Leuchter mit zwei Kerzen darauf, deren Licht durch einen Schirm gemildert war.

      Die Königin stand nicht auf. Sie bog sich sehr anmutig auf ihrem Platz dem Dichter entgegen und lächelte ihm zu, und er fand diese erregende Schlangenbewegung sehr vornehm. Die außerordentliche Schönheit Luciens, die Schüchternheit seines Benehmens, alles an ihm fesselte Frau von Bargeton. Der Poet war schon die Poesie. Der junge Mann betrachtete mit heimlichen Seitenblicken diese Frau, die ihm in Einklang mit ihrem Rufe zu stehen schien; sie enttäuschte keine der Vorstellungen, die er sich von der großen Dame gemacht hatte. Frau von Bargeton trug nach einer neuen Mode ein Barett mit Puffen aus schwarzem Samt. Dieser Kopfputz erinnert etwas ans Mittelalter, und das imponiert einem jungen Mann, dem es sozusagen die Frau erhöht. Dem Barett entquollen üppige rotblonde Haarmassen, deren schimmernde Locken vom Licht vergoldet waren. Die edle Dame hatte den blendenden Teint, mit dem eine Frau das angeblich Missliche dieser hochblonden Farbe wieder aufwiegt. Ihre grauen Augen funkelten, ihre Stirn, die schon kleine Fältchen zeigte, thronte weiß und kühn gemeißelt darüber; sie waren von perlmutterschimmernden Rändern umgeben, und auf beiden Seiten der Nase ließen zwei blaue Adern das lichte Weiß dieser zarten Umrahmung noch stärker hervortreten. Die Nase hatte eine bourbonische Krümmung, die den Schwung des ovalen Gesichts noch mehr hervorhob, indem sie gewissermaßen einen glänzenden Punkt bildete, worin das Hinreißende und Königliche der Condé zum Ausdruck kam. Die Haare bedeckten den Nacken nicht völlig. Das leicht zusammengenommene Gewand ließ einen schön gebauten Hals sehen, und das Auge erriet darunter eine Brust von schneeiger Weiße. Mit ihren schmalen, gepflegten, aber etwas trockenen Fingern wies Frau von Bargeton dem jungen Dichter mit freundlicher Geste den Stuhl an, der neben ihr stand. Herr du Châtelet setzte sich in einen Lehnstuhl. Lucien bemerkte jetzt, dass sie allein waren. Die Unterhaltung Frau von Bargetons machte den Dichter aus Houmeau trunken. Die drei Stunden, die er bei ihr verbrachte, waren für Lucien einer der Träume, denen man ewige Dauer wünscht. Er fand diese Frau mehr abgemagert als mager, eine Liebende ohne Liebe, zart trotz ihres starken Geistes, ihre Fehler, die von ihren Manieren noch unterstrichen wurden, gefielen ihm, denn die jungen Leute fangen damit an, dass sie die Überspanntheit lieben, diese Lüge der schönen Seelen. Er bemerkte nicht, wie welk und an den Backenknochen gerötet die

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