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      »Ich hatte nicht vermutet, daß Sie Amerikanerin sind, als ich das erstemal mit Ihnen sprach. Leute mit einem gütigen Charakter wie Sie sind drüben sehr selten. Und als ich Sie erst einmal besucht hatte, wußte ich, daß ich Sie wiedersehen müßte. Ich machte mir wegen meiner Torheit Vorwürfe, aber jeden Tag bezauberten Sie mich aufs neue.«

      »Das war nicht meine Absicht«, murmelte sie.

      »Es wird mir sehr schwer werden, die Besuche bei Ihnen aufzugeben«, sagte Scottie traurig, als er sich erhob und ihr die Hand reichte. »Leben Sie wohl, Mrs. Bonsor – es war für mich wie ein Leben in einer anderen Welt.«

      Sie nahm seine Hand, und es tat ihr eigentlich leid, daß diese Bekanntschaft, die ihr so angenehm gewesen war, schon enden sollte.

      »Leben Sie wohl, Mr. Scottie. Ich würde mich freuen, Sie wiederzusehen, aber –«

      »Ich verstehe vollkommen«, erwiderte Scottie höflich. »Was würde man von Ihnen denken, – was würden all diese feingeschniegelten Leute im Hotel dazu sagen.«

      Mrs. Crafton-Bonsor warf den Kopf zurück.

      »Wenn Sie glauben, daß ich mich im mindesten um die Meinung anderer Menschen kümmere«, entgegnete sie empört, »sind Sie im Irrtum. Sie kommen morgen zum Abendessen wieder zu mir.«

      Ihre Worte klangen wie ein Befehl, und ihre Miene war ein wenig hoheitsvoll. Scottie sagte nichts, er verabschiedete sich nur durch eine Verbeugung und entfernte sich schnell. Am Ende hätte sie ihre Absicht wieder geändert, wenn er noch geblieben wäre.

      Als er die Treppe hinunterging, versuchte er, sich die ganze Unterhaltung mit allen Einzelheiten ins Gedächtnis zurückzurufen.

      Er kannte viele Bücher, die man Gefangenen zum Lesen gab und die geschrieben waren, um sie wieder einem besseren Leben zugänglich zu machen. In diesen Bänden wurde jedesmal davon erzählt, daß der ehemalige Sträfling der Dame, deren wohlwollender Einfluß ihn bekehrt hatte, eine Art Dankrede hielt. Also ging er in die nächste Buchhandlung.

      »Haben Sie nicht irgendein Buch mit dem Titel ›Gerettet durch ein Kind‹ oder ›Nur ein Verbrecher‹?«

      »Nein«, sagte der junge Mann, »wir führen keine Kinderbücher.«

      »Das ist das richtige Wort«, erwiderte ›Vieraugen-Scottie‹.

       Inhaltsverzeichnis

      Andy erzählte Stella bei seinem nächsten Besuch, was er mit Scottie und Mrs. Crafton-Bonsor erlebt hatte.

      Er hatte seine Pflicht getan, Mrs. Crafton-Bonsor konnte jetzt nicht mehr im Zweifel, über den wahren Charakter ihres Freundes sein. Aber diese Warnung schien eine unerwartete Wirkung auf die Dame gehabt zu haben.

      »Vielleicht versucht sie, ihn zu bekehren«, meinte Stella und zwinkerte mit den Augen. »Schlechte Leute haben immer eine unwiderstehliche Anziehungskraft für romantische Damen. Ich will damit nicht sagen, daß Scottie ein schlechter Mensch oder Mrs. Bonsor besonders phantasievoll ist. Ich kann mich an sie erinnern. Sie kam mit ihrem großen Wagen und fuhr hier zwei schöne Fliederbüsche um. Scottie hat mir später ihren Namen genannt. Es ist doch schließlich auch nichts dabei, wenn er einmal mit ihr zusammen speist.«

      »Er ist mittags, zum Tee und zum Abendessen bei ihr«, protestierte Andy. »Soviel ich weiß, frühstückt er auch dort! Ich kümmere mich nicht um Scotties Abenteuer. Die Dame ist gewarnt, und damit ist meine Verantwortung zu Ende. Aber trotzdem …«

      »Vielleicht liebt er sie«, sagte sie lächelnd. »Sei nicht böse, aber Scottie ist mir schon immer ein wenig romantisch vorgekommen.«

      »Das kann ich nicht leugnen. Wenn ich nur an sein Alibi denke –«

      »Aber Andy! Übrigens wirst du mit der Dame zusammenkommen.«

      »Ich werde mit ihr zusammenkommen?« fragte Andy überrascht.

      Stella nickte feierlich.

      »Scottie hat mir geschrieben und angefragt, ob er sie einmal zum Essen mitbringen dürfe, und ich habe zugestimmt. Ich beschrieb sie meinem Vater, und er schüttelte sich vor Entsetzen. Ich glaube, er wird heute abend irgendeine Verabredung vorschützen. Deshalb ist es um so wichtiger, daß du hier bist.«

      »Soll das heißen, daß Scottie die Frechheit hatte, sich mit seiner Juwelendame hier zum Abendessen einzuladen?« fragte er entsetzt.

      Es mußte wohl so sein, denn am Abend machte Andrew Macleod die Bekanntschaft der Frau, die er vor Scottie hatte warnen lassen.

      Mrs. Crafton-Bonsor trug ein enganliegendes, pflaumenfarbenes Samtkleid, das gefährlich tief ausgeschnitten war. Andy war sehr erstaunt bei ihrem Anblick.

      Noch nie hatte er so viel kostbaren Schmuck an einer einzigen Frau gesehen. Von dem Diadem in ihren roten Haaren bis zu den Agraffen ihrer Schuhe war sie einfach überwältigend. Wenn ein Radscha in seiner vollen Staatskleidung mit all seinen Juwelen neben ihr gestanden hätte, wäre er von ihr ohne Schwierigkeiten in den Schatten gestellt worden.

      Scottie war sehr guter Laune. Sein Stolz war so aufrichtig und echt, daß Andy lächeln mußte.

      »Darf ich Sie meiner Freundin, Mrs. Crafton-Bonsor, vorstellen? Dies ist Doktor Macleod, Mirabel.« – ›Mirabel!‹ wiederholte Andy für sich. Er war sprachlos. – »Doktor Macleod und ich haben manchen Streit, ich möchte fast sagen – Kampf, miteinander ausgefochten. Auf seine Veranlassung hin wurden Sie vor mir gewarnt. Das war ja auch ganz in der Ordnung.«

      Er nahm Andys Hand und schüttelte sie kräftig.

      Mrs. Bonsor aber sah Andy nur kühl an.

      »Darf ich Sie auch mit Miss Nelson bekannt machen, Mirabel?«

      »Sehr erfreut«, sagte Mrs. Bonsor ohne große Begeisterung. »Jeder Freund des Professors ist auch mein Freund.« Dabei schaute sie Andy an.

      Es war ein etwas steifer und förmlicher Anfang, und Stella hatte doch gehofft, daß es ein vergnügter Abend werden würde. Während des Essens kam ihr plötzlich zum Bewußtsein, daß Mrs. Crafton-Bonsor eifersüchtig auf sie war. Inzwischen hatte diese Dame ihren früheren Argwohn und Widerwillen gegen Andy überwunden und plauderte liebenswürdig mit ihm. Dadurch wiederum wurde Scottie von Eifersucht geplagt. Der sonst so nüchterne Mann, dessen Bescheidenheit sein größter Vorzug war, trug heute zwei große Brillantringe. Andy sah nicht zu genau hin, er wußte, daß Scottie keine gestohlenen Juwelen trug, die in der Presse genau beschrieben worden waren.

      »Jawohl, nächste Woche werde ich wieder in meine Heimat zurückfahren«, sagte Mrs. Crafton-Bonsor und sah dabei Scottie an. »Es war netter, als ich vermuten konnte, aber ich muß mich doch auch einmal wieder in meinem Heim in Santa Barbara umsehen. Die Rasenflächen sind allein so groß wie der ganze Ort hier. Ich habe dem Professor eine Fotografie gezeigt, er war ganz begeistert davon. Wenn man ein so herrliches Besitztum hat, muß man es natürlich auch ausnützen.« Wieder schaute sie Scottie an, doch der betrachtete das Tischtuch und sah in dem Augenblick so bescheiden aus, daß Andy beinahe laut aufgelacht hätte.

      »Ich hoffe, daß Ihnen die Reise nicht zu einsam wird«, meinte Andy. »Sie werden unseren Freund, den Professor, sicher sehr vermissen?«

      »O ja.« Mrs. Bonsor räusperte sich.

      Scottie sah auf.

      »Ich habe eigentlich daran gedacht, auch einmal wieder nach Amerika zu gehen und mich dort umzusehen«, sagte er, und diesmal schaute Mrs. Bonsor bescheiden lächelnd vor sich hin.

      »Stanhope und ich …« begann sie.

      »Stanhope – wer ist denn Stanhope?« fragte Andy erstaunt. Aber es war nicht mehr nötig, auf Antwort zu warten, er begegnete den bittenden Blicken Scotties.

      »Stanhope

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