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als Du mit dem Engländer redetest. Ich lehnte an der Türe.«

      Der Lama seufzte. »Ich dachte, Du wärest ein Führer, mir geschenkt. Solches geschieht zuweilen – aber ich bin wohl nicht würdig. Du also kennst den Fluß nicht? –«

      »Nicht ich.« Kim lachte etwas verlegen. »Ich gehe mit, um auszuschauen nach – nach einem Roten Ochsen auf einem Grünen Feld, der mir helfen soll.« Nach Knabenart hatte Kim, wenn ein Bekannter einen Plan hatte, gleich einen für sich selbst zur Stelle; und wirklich hatte er auch ein Viertelstündchen lang ernsthaft in seinem Knabensinn über seines Vaters Prophezeiung nachgedacht.

      »Helfen zu was, Kind?«

      »Gott weiß, aber mein Vater sagte mir so. Ich hörte Deine Rede in dem Wunderhaus von all den neuen fremden Orten in den Bergen; und wenn einer, der so alt und so wenig … so gewohnt ist, die Wahrheit zu sprechen – auszieht, um eine solche Kleinigkeit wie einen Fluß zu suchen, so schien es mir, daß auch ich auf die Reise gehen müßte. Wenn es unser Schicksal ist, die Dinge zu finden, so werden wir sie finden – Du Deinen Fluß und ich meinen Ochsen – und die hohen Säulen und noch andere Dinge; die ich vergessen habe.«

      »Es sind keine Säulen, aber ein Rad, von dem ich frei werden wollte.«

      »Das ist alles einerlei. Vielleicht machen sie mich zum König,« sagte Kim, in heiterer Bereitschaft für alles.

      »Ich will Dich andere und bessere Wünsche lehren auf unserem Wege,« sprach würdevoll der Lama. »Laß uns nach Benares gehen.«

      »Nicht bei Nacht. Es streifen Diebe umher, warte bis es Tag ist.«

      »Aber ich habe keinen Platz zum Schlafen.« Der alle Mann, an die Ordnung seines Klosters gewöhnt, wenn er auch auf der Erde schlief, wie es die Regel war, begehrte doch in solchen Sachen etwas Wohlanständigkeil.

      »Wir werden in der Kashmir-Herberge gutes Quartier finden,« meinte Kim, über die Verlegenheit des Lama lachend. »Ich habe dort einen Freund. Komm!«

      Die heißen, vollen Bazare waren grell erleuchtet, als sie sich ihren Weg durch das Gedränge aller Rassen Ober-Indiens bahnten, und der Lama wandelte hindurch wie im Traum. Es war seine erste Erfahrung von einer großen, gewerbetreibenden Stadt. Die überfüllten Tramwagen mit den ewig kreischenden Bremsen erschreckten ihn. Halb geschoben, halb gezogen gelangte er an das hohe Gitter der Kashmir-Herberge, den ungeheuren quadratischen Platz gegenüber der Eisenbahnstation, umgeben vom gewölbten Kreuzgange, wo die Kamel-und Pferde-Karawanen bei der Rückkehr von Zentral-Asien einkehren. Hier waren Vertreter aller Stämme, angebundene Ponies und knieende Kamele versorgend, Ballen und Bündel auf-und abladend, Wasser zur Abendmahlzeit mit kreischenden Brunnenwinden heraufholend; vor den schreienden, wildäugigen Hengsten Gras aufhäufend, die knurrenden Karawanenhunde prügelnd, Kameltreiber bezahlend, neue Knechte anwerbend, schreiend, fluchend, streitend, feilschend auf dem vollgedrängten Platze. Die Kreuzgänge, durch drei oder vier gemauerte Stufen erhöht, bildeten den Zufluchtshafen in diesem stürmischen Meer. Die meisten der Gänge waren an Händler vermietet, so wie wir die Bogen eines Viaduktes vermieten. Die Plätze zwischen Säule und Säule waren mit Planken zu Kammern abgeteilt und diese durch schwere Holztüren mit plumpen Vorlegeschlössern von einheimischer Arbeit geschützt. Verschlossene Türen zeigten an, daß der Besitzer abwesend und einige roh – zuweilen sehr roh – gemalte oder mit Kalk geschmierte Striche sagten, wohin er gegangen. Ungefähr so:

      »Lutuf Ullah ist nach Kurdistan gereist.« Darunter vielleicht in groben Versen: »O, Allah, der Du leidest, daß Läuse auf dem Rock eines Kabuli leben, warum erlaubst Du, daß diese Laus Lutuf so lange lebt?«

      Kim, der den Lama zwischen aufgeregten Menschen und aufgeregten Tieren hindurch gängelte, hielt sich bis ans äußerste Ende seitwärts der Bogengänge nächst der Eisenbahnstation, wo Mahbub Ali, der Pferdehändler hauste, wenn er hereinkam von jenem geheimnisvollen Land, jenseits der Pässe des Nordens.

      Kim hatte während seines jungen Lebens mit Mahbub schon mancherlei zu tun gehabt – hauptsächlich zwischen seinem zehnten und dreizehnten Jahre; und der große stämmige Afghane, der seinen Bart scharlachrot färbte (denn er war ältlich und wollte seine grauen Haare nicht zeigen). Kannte des Knaben Wert, was das Stadtgeschwätz betraf. Zuweilen gab er Kim den Auftrag, einen Mann, der durchaus nichts mit Pferden zu tun hatte, zu beobachten, ihm den ganzen Tag zu folgen und von jedem Menschen, mit dem er sprach, zu berichten. Kim machte am Abend seinen Bericht und Mahbub lauschte ohne Wort und Bewegung. Es handelte sich um irgend eine Intrigue. Kim wußte das, aber er wußte auch, daß ihr Wert darauf beruhte, daß er zu keinem Menschen außer Mahbub davon redete. Mahbub gab ihm dafür wundervolle Mahlzeiten, ganz heiß aus der Garküche in der Ecke der Herberge, und einmal sogar acht Anna in Gold.

      »Er ist da,« sprach Kim, ein bösartiges Kamel auf die Nase knuffend. »Heda, Mahbub Ali!« Er hielt vor einem dunklen Bogen und schlüpfte hinter den erschrockenen Lama.

      Der Pferdehändler, der seinen hohen gestickten Bokhaiiot-Gürtel gelöst hatte, lag, träge an einer immensen silbernen Hookah (Wasserpfeife) ziehend, auf einem Paar Satteltaschen aus Seidenteppichen. Er wendete bei dem Ruf ein wenig den Kopf, und da er nur die hohe schweigende Gestalt sah, lachte er halblaut in seinen Bart.

      »Allah! Ein Lama! Ein Roter Lama! Es ist weit von Lahore zu den Pässen, was willst Du hier?«

      Der Lama hielt mechanisch die Bettelschale hin.

      »Gottes Verdammnis über alle Ungläubigen!« rief Mahbub. »Ich gebe keinem lausigen Tibetaner etwas. Bettle bei meinen Baltis da drüben hinter den Kamelen; die wissen vielleicht Deinen Segen zu würdigen. He! Pferdejungen, hier ist ein Landsmann von Euch, fragt, ob er hungrig ist.«

      Ein glattköpfiger, gebeugter Balti, der mit den Pferden herunter gekommen und angeblich eine Art degradierter Buddhist war, grinste dem Priester entgegen und bat in tiefen Kehllauten den Heiligen, sich an das Feuer der Pferdejungen zu setzen.

      »Gehe,« sagte Kim, ihn leicht fortschiebend, und der Lama schritt dahin und ließ Kim an der Kante des Kreuzganges zurück.

      »Geh,« sagte auch Mahbub Ali, zu seiner Hookah zurückkehrend. »Kleiner Hindu, mach’ Dich fort, Verdammnis auf alle Ungläubigen! Bettle bei den Leuten meiner Gefolgschaft, die Deines Glaubens sind.«

      »Maharaj,« jammerte Kim, sich der Hindu Anrede bedienend und sich höchlich amüsierend, »mein Vater ist tot, meine Mutter ist tot, mein Magen ist leer.«

      »Bettle bei meinen Pferdejungen, sage ich. Es müssen auch Kinder unter meinen Leuten sein.«

      »O, Mahbub Ali, bin ich denn ein Hindu?« sagte Kim auf englisch.

      Der Händler gab kein Zeichen des Erstaunens. Er blinzelte nur unter seinen zottigen Brauen.

      »Kleiner Allerweltsfreund,« sagte er, »was soll das bedeuten?«

      »Nichts. Ich bin jetzt der Schüler dieses heiligen Mannes, und wir pilgern zusammen nach Benares, sagte er. Er ist ganz verrückt und ich habe die Stadt Lahore satt. Ich sehne mich nach anderer Luft und Wasser.«

      »Aber für wen arbeitest Du? Warum kommst Du zu mir?« Die Stimme war rauh vor Argwohn. »Zu wem sonst sollte ich gehen? Ich habe kein Geld. Ohne Geld ist schlecht reisen. Du wirst den Offizieren viele Pferde verkaufen. Es sind sehr feine Pferde diese neuen, ich sah sie mir an. Gib mir eine Rupie, Mabbub Ali, ich will Dir einen Schuldschein geben und bezahlen, wenn ich zu meinem Reichtum komme.

      »Hm,« machte Mahbub Ali, nach kurzem Bedenken. »Du hast mich noch nie belogen. Rufe den Lama – und ziehe Dich zurück in die Dunkelheit.«

      »O, wir reden eine Sprache,« lachte Kim.

      »Wir gehen nach Benares,« sprach der Lama, sobald er verstand, wo hinaus Mahbub Alis Fragen zielten. »Ich und der Knabe. Ich, um einen gewissen Fluß zu suchen.«

      »Mag sein – aber der Knabe?«

      »Er ist mein Schüler. Er ward mir gesendet, so glaube ich, um mich zu dem Strom zu leiten. Unter einer Kanone saß ich, als er plötzlich zu mir trat. So etwas ist wohl Glücklichen, denen Führung gewährt

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