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Die acht Gesichter am Biwasee: Japanische Liebesgeschichten. Max Dauthendey
Читать онлайн.Название Die acht Gesichter am Biwasee: Japanische Liebesgeschichten
Год выпуска 0
isbn 4064066115777
Автор произведения Max Dauthendey
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Hanake verweigerte sich trotzdem. Und da es gerade die hundertste Nacht war, in der sie den Göttern abgedient hatte, floh sie mitten in der Nacht samt ihrer Magd durch eine Hintertür aus dem Yoshiwarahause, ließ ihre Kleidung und ihren Schmuck zurück und eilte in ihren Alltagskleidern aus dem Yoshiwara. Verhüllt und unbemerkt, entkam sie im Gedränge der vielhundertköpfigen Menge. Sie trug nichts bei sich als einen kleinen Vogel in einem winzigen Käfig.
Eines der Mädchen in dem Yoshiwara hatte ihr eine Stunde vor der Flucht den Vogel verkauft, eben als der amerikanische Offizier in das Haus trat. Im Schreck der Flucht hatte Hanake den Vogelkäfig krampfhaft in der Hand behalten, ohne ihn loszulassen.
Der Vogel war ein Nachtigallenmännchen und saß verblüfft in dem kleinen Käfig, denn er war eben erst von seinem Weibchen, mit dem er einen andern Käfig geteilt hatte, getrennt worden.
Die beiden Frauen wollten den Vogel unterwegs füttern, aber er fraß nicht. Sie reisten beide mit dem wunderlichen Vogel in der Nacht mit dem nächsten Zug nach dem Biwasee und kamen am nächsten Mittag wieder in Hanakes Haus am See an.
Die Magd öffnete die Fenster und ließ frische Luft durch die Kammern streichen. Es war Herbst geworden, und mit jedem Luftzug flogen welke Blätter von den Uferbäumen herein.
Das Seewasser zeigte nicht mehr die blaue Sommerfarbe, es war tiefgrün. Die Sonne stand schräg und warf gespenstige Schatten. Das lebhafte Schilf war abgemäht, und die Stoppeln standen lautlos und tot.
Aber Hanake wurde von der Herbstwelt nicht traurig gestimmt. Das Leben im Yoshiwara ging noch in lauten Bildern durch ihr Blut. Sie war täglich hundertmal bewundert worden, hatte hundertmal gefallen, hatte hunderttausendmal lachen müssen, ohne lachen zu wollen, war hundertmal umarmt worden, ohne eine Umarmung zu ersehnen. Die Bewunderung war ihrem Körper zur Gewohnheit geworden. Hanake wußte jetzt fast nicht mehr, warum sie einst aus diesem Hause hier am See fortgegangen war. Sie hatte den Tag mit dem Prinzen beinah ganz vergessen, sie hatte kaum noch den Abend mit dem Geliebten in Erinnerung. Sie hörte nur noch den Schuß im Ohr und sah sich noch im Boot auf dem Schoße ihres Geliebten liegen, wenn sie wollte. Aber sie konnte sich nicht mehr des Gesichts ihres toten Geliebten erinnern, nicht mehr seine Stimme erinnernd zurückrufen. Die Hunderte von Gesichtern und Stimmen, die im Yoshiwara Hanake bewunderten, hatten das Gesicht und die Stimme des Geliebten aus ihrer Erinnerung verdrängt. Hanake war auch darüber nicht traurig, nur verwundert.
Es wurde Abend. Die Magd hatte das Haus bestellt. Da bemerkte Hanake das kleine halbtote Nachtigallenmännchen im Käfig und dachte: «Ich will dich fliegen lassen, kleiner Vogelmann. Vielleicht fliegst du zurück ins Yoshiwara nach Tokio zu deinem Weibchen.»
Sie öffnete den Käfig. Da schoß der kleine Vogel heraus. Aber anstatt aus dem offenen Fenster zu fliegen, warf er sich wie ein Wütender in Hanakes Frisur und riß wie wahnsinnig geworden mit den beiden kleinen Krallenfüßen in den Haaren des erschrockenen Mädchens und fiel dann wie tot an Hanake herunter auf die Diele.
Hanake zitterte vor Schreck und sank in die Knie. Sie verstand, daß das Vogelmännchen, das sie von dem Weibchen getrennt hatte, sich an ihr rächen wollte und vor wütender Aufregung gestorben war.
Hanake hielt die Finger an ihr schmerzendes Haar. Aber es war, als sei der Liebesschmerz des Vogels in ihr Herz gedrungen und habe auch in ihrer Seele wieder alle Liebeserinnerungen geweckt.
In der Ferne auf dem See tauchten drei Segel auf. Sie zogen der Seelinie entlang, langsam, und verschwanden. Hanake erkannte, als sie vom See weg auf die weiße Wand ihres Zimmers sah, plötzlich wieder in der Erinnerung das Gesicht ihres Geliebten. Sie schauderte vor Entzücken.
Sie wollte das Gesicht des Geliebten mit ihren Augen auf der weißen Wand festhalten. Aber die Gesichtszüge verschwanden, und die Erinnerung erlahmte wieder, und Hanake wurde verstört und tief traurig.
«Kleiner Vogel», seufzte Hanake, «zeige mir den Weg zu meinem Geliebten!»
Der kleine Vogelkörper zuckte plötzlich auf der Diele zusammen und flatterte taumelnd an die Papierwand. Dort stand in einer Nische neben einer Blumenvase ein winziger Lackkasten. Der um sich schlagende Vogel warf das Lackkästchen aus der Nische. Die winzige perlmutterbeschlagene Schublade des Kästchens fiel heraus, und der Vogel stürzte dann tot zur Diele. Aus der offenen Schublade aber flatterten im Windzug ein paar Seidenpapiere zu Hanake hin.
Zwischen den Seidenpapieren lagen kleine Stückchen des platten Schaumgoldes, womit die Japaner ihr Briefpapier schmücken. Aber Hanake verstand auch den tödlichen Wert, den das Schaumgold für den Lebensmüden hat. Rasch entschlossen, legte sie sich ein paar Blättchen des dünngefalzten Rauschgoldes auf die Lippen, tat ein paar Atemzüge und hüllte ihr Gesicht in die Ärmel ihres Kleides. Dann sank sie erstickt auf die Diele am offenen Fenster hin.
Den Nachtregen regnen hören in Karasaki
Kiri war der einzige Sohn der «Wolke vor dem Mond», – so hieß seine Mutter. Sein Vater war Fischer, und außer einem Kahn und den Fischfanggeräten und einer kleinen, struppigen Strandhütte besaßen Kiris Eltern nichts.
«Doch wir sind reicher», sagte Kiri immer, «reicher als die Reisfelderbesitzer in den Bergen am Biwasee, reicher als die Kaufleute von Ozu. Unser Besitz ist größer als die Hauptstadt Kioto. Denn uns Fischersleuten gehört der ganze Biwasee und alles was darin ist; der Biwasee ist unser Königreich.»
In Karasaki verspotteten die Mädchen den Kiri, der stets den Biwasee als sein Eigentum aufzählte, wenn man von Geld und Vermögen sprach; und sie nannten ihn den Fischkönig von Karasaki.
Aber immer am ersten April, wenn alle Häuser eine Bambusstange aufs Dach oder vor die Tür stellten und der Hausvater meterlange Papierfische an der Stangenspitze befestigte, so viel Fische, wie ihm seine Frau in der Ehe Knaben geboren hatte, dann war immer Kiris trostlosester Tag gewesen. Auf ihrer Strandhütte zappelte nur ein einziger Fisch, während drinnen über den Dächern von Karasaki Hunderte von Fischen wie Fahnen die Luft füllten. Kiri fand sein Vaterhaus dann sehr traurig; und das Wort Fischkönig, das ihn sonst gar nicht ärgerte, schien am ersten April gar nicht auf Kiri zu passen. So lange er Knabe war, hatte er sich an diesem Tag versteckt und sich fern von Kindern gehalten, weil er sich für seinen Vater und seine Mutter schämte, die ihn als einziges Kind im Hause hatten und am großen Fischfesttage nur einen einzigen Fisch auf der Bambusstange vor der Haustür waagrecht im Winde flattern ließen.
Kiri war jetzt siebzehn Jahre und dachte ans Heiraten. Zwei Mädchen kamen für ihn in Betracht: eine kleine Teehaustänzerin, die nicht mehr jung war, aber etwas Geld beiseite gelegt hatte, da sie einmal sehr schön gewesen und gewisse Liebesumarmungen besser verstanden hatte als andere Teehausmädchen. Sie hieß «Perlmutterfüßchen» und war Kiri besonders von seiner Mutter und von seinem Vater dringend zur Ehe empfohlen.
Die andere war eine Traumerscheinung, ein Mädchen, von dem er immer träumte, wenn er den Nachtregen über Karasaki regnen hörte.
Diese Auserwählte war sein persönliches Geheimnis. Kein Bewohner von Karasaki hatte sie je gesehen. Keiner der Menschen, die rings um den Biwasee wohnen, war ihr je begegnet. Nur Kiri allein wußte, wie sie aussah; aber weder seinem Vater noch seiner Mutter, «der Wolke vor dem Mond», erzählte er jemals von diesem Mädchen. Jetzt im März, im Vorfrühling, lag Kiri in einer Nacht allein draußen auf dem See, hatte eine Kienfackel am Kiel des Bootes befestigt, das große Netz ausgeworfen und ruderte langsam, vom rötlichen Feuerschein umgeben, über das Wasser, das schwarz wie Nachtluft war, und das ihm vertraut war wie die Diele seiner Elternhütte. In dieser Nacht rauschte der See nicht, und soviel Kiri auch horchte, kein Fisch rührte sich und schnellte auf. Es war, als sei der See drunten