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»Du sagst aber auch erst zu Mittag guten Morgen, so lange dauert es bei dir!«

      »Ist besser, als vor Eifer mit der Nase in die Suppenschüssel fallen,« gab dann wohl der Bruder zurück. Da lachte die Schwester, und die beiden waren wieder die allerbesten Freunde; langes Bösesein kannten sie nicht.

      »Jetzt wird die Türe aufgemacht,« schrie Marianne Sonntag plötzlich. »Vater Wunderlich ist's, der sagt uns, ob der Junge wirklich kommt.« Sie schnellte auf und raste über den Platz nach dem kleinen Haus hinüber, aus dem jetzt ein alter Herr trat. Jobst rannte der Freundin nach, Ulrich aber blieb sitzen, er dachte gelassen: »Sie werden schon herüber kommen.«

      Sie kamen auch wirklich, denn Herr Matthias Wunderlich wollte in die Kirche gehen. Das Füchslein hing an seinem Arm und schwatzte: »Vater Wunderlich, ist das wahr, kommt ein Junge aus Oberheudorf zu dir, und ist das der, von dem mein Onkel Doktor sagt, er wäre ein kleiner Held, weil er einmal im Winter bei Gewitter – – –«

      »Aber Füchslein,« rief Jobst lachend, »bei einem Schneesturm war es doch.«

      »Ach ja, das meine ich doch auch,« sagte Marianne verlegen. Sie redete nämlich mitunter wirklich so geschwind, daß etwas anderes herauskam, als sie sagen wollte.

      Der Organist hatte es aber doch verstanden, und just am Fuße der Treppe, so daß Ulli die Antwort hören konnte, erwiderte er freundlich: »Ich weiß schon, was du meinst, Mädel. Ja, das ist der Junge, der einmal, um Medizin für seine kranke Pflegemutter zu holen, den weiten Weg von Oberheudorf bis hierher gelaufen ist; er wäre ja damals beinahe im Schnee umgekommen!«

      »Und was will er hier, warum kommt er her?« rief das Füchslein und hielt den alten Mann fest, der gerade den riesigen Schlüssel in das Schloß der Kirchtüre stecken wollte.

      »Lernen soll er hier, auf das Gymnasium gehen.«

      »Ein Junge aus 'nem Dorf auf das Gymnasium?« schrie Jobst und sah so hochmütig drein, als wäre Gymnasiastsein die höchste Würde.

      »Warum nicht, wenn er gut lernt?« Vater Wunderlich schaute Jobst von Hellfeld mit seinen klaren, guten Augen ernst an. »Dieser Friede, der zu mir kommt, ist ein armer Waisenjunge, und wenn man den auf das Gymnasium schickt, muß er doch schon ein besonders fleißiger Bube sein!«

      »Ich bin schrecklich neugierig auf ihn,« versicherte das Füchslein eifrig, »o so neugierig! Wann kommt er denn, und wie heißt er weiter, und warum kommt er gerade zu dir, Vater Wunderlich, und wie sieht er aus?«

      »Wie er aussieht, wirst du ja sehen. Zu mir kommt er, weil der Lehrer in Oberheudorf mich kennt; der bat mich auch, den Jungen wenigstens auf ein halbes Jahr zu nehmen, bis er sich etwas an die Stadt gewöhnt hat.«

      »Wenn – – wenn – – er sich aber draußen nicht die Schuhe abstreicht?« fragte Füchslein ganz ängstlich.

      Fräulein Wunderlich war nämlich als sehr ordnungsliebend bekannt, und fast jedes Kind, das in das Haus kam, hatte schon tüchtige Schelte bekommen wegen unsauberer Schuhe, nasser Regenschirme und dergleichen. Einen Schmutztaps auf den weißgescheuerten Treppen konnte das Fräulein nicht vertragen. Und dabei kamen viele Kinder in das Haus, denn der Organist Wunderlich war ein sehr gesuchter Musiklehrer.

      »Dann wird sie wohl schelten,« sagte der alte Mann und seufzte ein klein wenig bei des Füchsleins ängstlicher Frage. »Aber nun laß mich los, Kind, ich muß in die Kirche gehen, meine Orgel verlangt nach mir.«

      »Ach bitte, bitte,« flehte Marianne und hielt den Organisten ganz fest, »sage mir noch, liebster, bester Vater Wunderlich, wird wirklich über die Oberheudorfer Kinder ein Buch geschrieben?«

      Der alte Herr lachte: »Ja, man sagt so, Kind. Die Oberheudorfer meinen, ihre Kinder machten so viele dumme und lustige Streiche, daß man gleich ein paar Bücher davon schreiben könnte. Und wahr ist's ja: wie mein künftiger Pflegesohn zu seiner Pflegemutter gekommen ist, und daß man ihn hierher schickt auf das Gymnasium, das sind lauter lustige und auch ein bißchen ernsthafte Geschichten.«

      »Ach, ich verhungere schon vor Neugier auf den Jungen,« rief das Füchslein, »wäre er doch erst da!«

      »Abwarten und Tee trinken, sagte meine Mutter schon.« Vater Wunderlich hatte nun wirklich die Kirchentüre aufgeschlossen. Er befreite sich von Mariannes Händchen, nickte den Kindern freundlich zu und trat in die Kirche. Sonst schlüpften die drei ihm gerne nach und lauschten still auf einer Bank den schönen Klängen der Orgel; heute waren sie, besonders das Füchslein, zu ungeduldig. »Ich muß essen,« sagte das Mädel seufzend; »wenn ich warten muß, fährt's mir allemal in den Magen.«

      Die Buben waren damit einverstanden, ihr Vesperbrot zu verzehren. Hunger hatten sie immer, und ob der von der Neugierde oder von der Ungeduld kam, war ihnen gleichgültig, Hunger ist Hunger.

      Während alle drei schmausten, redete das Füchslein wieder von dem Oberheudorfer Jungen. In dem Hause der Sonntags – es war ein altes, wohlhabendes Kaufmannshaus – diente ein Mädchen, das aus Berenbach bei Oberheudorf stammte. Diese Katerliese – sie hieß Katharina Luise und wurde von den Kindern einfach Katerliese genannt – hatte viel von dem freundlichen Dorf erzählt, von den Bergen, Wäldern und Tälern der Heimat; ihrer Meinung nach gab es nichts Schöneres auf der Welt als Berenbach und Oberheudorf. Sie pflegte zu sagen: »Die Oberheudorfer sind was Besonderes; was wo anders eine Dummheit ist, wird bei ihnen eine lustige Geschichte.«

      »Katerliese sagt,« begann Marianne gerade wieder zwischen Kauen und Schlucken, »in Oberheudorf – –«

      »Nun sei schon damit still,« schrie Jobst von Hellfeld plötzlich, »du redest immer nur von Oberheudorf, und wie es meinen Kaninchen geht, danach fragst du nicht.«

      Das Füchslein lachte, schlang den Arm um den Freund und sagte neckend: »Tu doch nicht so, bist ja auch neugierig; aber erzähl', ist der neue Stall schon fertig?«

      Während die Kinder draußen auf der Kirchentreppe im Sonnenschein saßen und von den Kaninchen, Ullis Schildkröten, Oberheudorf und der Schule, die am Mittwoch beginnen sollte, plauderten, saß drinnen Herr Wunderlich an seiner Orgel und spielte leise; nur mit halben Gedanken war er beim Spiel. Dem freundlichen alten Manne war das Herz ein bißchen schwer. Als sein Verwandter, der Lehrer von Oberheudorf, ihn gefragt, ob er wohl für einige Zeit einen Buben in sein Haus aufnehmen wollte, hatte er gleich zugesagt. Was er von diesem Friede hörte, gefiel ihm sehr; er dachte, der würde ein recht guter, kleiner Hausgenosse sein. Ein braver, fleißiger Junge sollte dieser Friede sein, ein armes Waisenkind, dem sie im Dorf alle herzlich die Freistelle am Gymnasium in Feldburg gönnten, ihm und seiner braven Pflegemutter. So gern Herr Wunderlich ja gesagt hatte, so ungern tat es nachher seine Schwester; die seufzte von früh bis abends: »Der Junge wird uns eine rechte Last sein.«

      Hörte sie jetzt von einer Bubendummheit, dann sagte sie gewiß: »So was wird der Friede auch anstellen!« Kamen mit Lärm und Geschrei die Gymnasiasten über den Johannesplan, dann seufzte sie: »Bald wird in unserem Haus auch solcher Lärm sein!«

      Das Fräulein war eigentlich nicht böse, nur sehr heftig und leicht erzürnt, auch wollte sie immer recht behalten. Weil sie nun von Anfang an gesagt hatte, ein Bube passe nicht in ihr stilles Haus, darum sagte sie das jetzt täglich, früh, mittags und abends. »Hoffentlich geht es gut aus,« seufzte Herr Wunderlich an seiner Orgel. »Ich wollte beinahe, der Junge bliebe in Oberheudorf.«

Traumfriedes Abschied.

       Inhaltsverzeichnis

      Just um die gleiche Zeit, da die drei Kinder auf der Kirchentreppe von Feldburg von dem Oberheudorfer Jungen sprachen, der zu Vater Wunderlich kommen sollte, ging dieser Bube in seinem Heimatort von Haus zu Haus, um Abschied zu nehmen. Traumfriede nannte man den schlanken, blonden Jungen im kleinen Dorf zum Unterschied

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