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zu sehen. Es machte mir den Eindruck, wie wenn in einem heimlichen verschlossenen Garten allerlei Freimaurerei getrieben würde und ich als ein Verhöhnter vor dem Tore stände. Dann stellte sich aber sogleich das Bewußtsein heraus, mich im Besitze eines Geheimnisses zu finden, welches die Mädchen stark berührte, und mit diesem Bewußtsein noch schneller eine vorläufige Beratschlagung, in welcher Weise das Geheimnis am vorteilhaftesten für meine Stellung zu dem schönen Geschlechte zu verwenden sei? Hier muß ich zu meiner Schande aufrichtig gestehen, daß ich sehr unbefangen die Wahl zwischen Verschwiegenheit und Verrat ganz in der Ordnung fand, ja nicht einmal darüber dachte und allein meinen Nutzen ins Auge faßte. Es fragte sich, ob ich mich durch offene Mitteilung mit einem Schlage in das erzwungene Vertrauen der Mädchen setzen oder durch ein schonendes allmähliches Merkenlassen ihre Gunst besser erwerben könne; denn wenn auch das, was ich wußte, nicht für sie gefährlich oder schädlich war und man ohnehin von jeder herangewachsenen Schönen bestimmt voraussetzen konnte, daß sie mit ihrem Erwählten in der Sitte keine Ausnahme machen werde, wo dann der Grad der Hingabe immer noch von dem persönlichen Charakter abhing, wie andere Dinge mehr im Leben so war doch das Bekanntwerden des einzelnen Falles verpönt und vielmehr das Gesetz beliebt Du sollst dich nicht erwischen lassen! wie bei anderen Dingen mehr, und ich entschloß mich, gelegentlich und mit guter Manier die eine und andere meiner Basen in meine Mitwissenschaft blicken zu lassen und durch ein vertrautes Verhältnis meine Ungeschicklichkeit aufzuwiegen, zumal ich nun schon merkte, daß ich dem gewohnten Krieg und Verkehr nicht gewachsen war. Ich dachte mir nun nicht anders, als die Liebe wäre das Geheimnis eines gemeinschaftlichen Ordens, in welchem voraus alle Frauen und Mädchen inbegriffen, der aber jedem Neuling, welcher sich ungeschickt anstelle, den Eintritt erschwere, und doch glaubte ich seiner schon vollkommen würdig und fähig zu sein.

      Indessen beschloß ich, als es darauf ankam, in die große Wohnstube zu gehen und mein nächstes Benehmen zu bedenken, welches mir keineswegs klar war, vorderhand gänzliche Verschwiegenheit zu üben, und dieser Entschluß kam mir so edel und großmütig vor, daß ich, ganz aufgebläht davon, wähnte, die Mädchen müßten mir meine Großmut auf der Stelle ansehen, als ich in die Stube trat. Ich erregte jedoch nicht die mindeste Aufmerksamkeit; wohl aber sah ich an einem der Fenster eine schlank aufgewachsene jungfräuliche Gestalt stehen, umgeben von meinen drei Basen. An ihren eigentümlichen Zügen und der veränderten und doch gleich lieblich gebliebenen Stimme erkannte ich sogleich Anna; sie sah fein und nobel aus, und ich blieb ganz ratlos und verblüfft stehen. Fein und bescheiden schaute sie in die Landschaft hinaus, und die Basen sprachen gedämpft, zierlich und vertraulich mit ihr, wie es die Weiber zu tun pflegen, wenn sie einen Besuch haben, der ihrer Gesellschaft zum Schmucke gereicht. Es ging so freundlich andächtig zu, als ob die vier hübschen Kinder geraden Weges aus einer Klosterschule kämen, und besonders die Töchter des Hauses schienen nicht die leiseste Erinnerung an den Ton des gestrigen Abends zu hegen. Unbefangen grüßten sie mich, als ich endlich bemerkt wurde, und stellten mich der Anna vor. Wir sahen auf den Boden und boten uns die Fingerspitzen, die sich kaum berührten, wobei sie, wie ich glaube, einen kleinen höflichen Knicks machte. Ich sagte ganz verlegen »Sie sind also wieder zurückgekehrt?« worauf sie erwiderte »Ja« – mit dem Tone eines Glöckchens, welches nicht recht weiß, ob es anfangen soll, Mittag oder Vesper zu läuten. Hierauf sah ich mich wieder aus dem Mädchenkreise herausversetzt, ohne zu wissen auf welche Weise, und machte mir eifrig mit einer Katze zu schaffen, indessen ich Anna verstohlen betrachtete. Sie war eine ganz andere Gestalt geworden, schmal und hoch, von einem schwarzen Seidenkleide umwallt, ihr Goldhaar lag schlicht und vornehm gebunden und ließ eine sorgfältige Toilette ahnen, während früher manche Löckchen sich auf eigne Hand gekräuselt und zwischen den Flechten hervorgeguckt hatten. Die Gesichtszüge waren in ihrer Eigentümlichkeit ganz gleichgeblieben, nur hielten sie sich nun viel ruhiger, und die armen, schönen blauen Augen hatten ihre Freiheit verloren und lagen in den Banden vornehm bewußter Sitte. Dies alles unterschied ich im Augenblick nicht genau, allein es machte zusammen einen solchen Eindruck auf mich, daß ich erschrak, als ich mich zum Frühstück, welches inzwischen aufgetragen war, neben sie setzen mußte; denn der Oheim hatte, da Anna aus Welschland kam, seine französischen Künste aus der eleganten Zeit des Pfarrhauses wieder zusammengelesen und zu mir gesagt: »Eh bien! monsieur le neveu! prenez place auprès de Mademoiselle votre cousine, s’il vous plaît, hé, parbleu! est-ce que vous n’avez pas bien dormi? vous faites une triste figure, il me paraît!« und zu Anna, mit einem komischen Kratzfuße, indem er mit seinem Waldhörnchen salutierte: »Veuillez accepter les services de ce pauvre jeune homme de la triste figure, Mademoiselle! souffrez, s’il vous plaît, qu’il fasse votre galant, pour que notre illustre maison revisse les beaux jours d’autrefois! allons parler français toute la compagnie!« Nun begann eine drollige Unterhaltung in französischen Brocken, welche sich auf die lustigste Weise kreuzten, indem niemand sich schämte, seine Schwerfälligkeit und Unkunde zu verraten, und der Scherz als eine Art Huldigung der Anna Gelegenheit geben sollte, ihre erworbene feine Bildung zu zeigen. Auch nahm sie bescheiden, aber sicher an dem seltsamen Gespräche teil und brachte ihre Reden mit artigem Akzente vor, geziert mit den Wendungen welscher Konversation als: En vérité! voilà qui est curieux! ah que c’est joliment dit! extrèmement, je vous dis! tenez! voyez! usf., wozwischen der Oheim, seine Geistlichkeit vergessend, einige diables! einfügte. Mir waren diese Formen keineswegs geläufig, und ich konnte meine Meinungen nur in strikter und nackter Übertragung vorbringen, dazu nicht in dem lieblichsten Akzente; daher sagte ich nur dann und wann oui und non oder je ne sais pas! Die einzige Redensart, welche mir zu Gebote stand, war Que voulez-vous que je fasse! und ich brachte diese Blüte mehrere Male an, ohne daß sie gerade paßte. Als hierüber gelacht wurde, machte mich dies trübselig und verstimmt, denn mit jedem Augenblicke, seit ich an das seidene Kleid Annas streifte, wurde es mir bänger, daß ich als gänzlich wertlos und unbedeutend zum Vorschein käme, während ich doch bisher überzeugt war, das Beste und Höchste schätzen und erstreben zu wollen und gerade dadurch selber einen nicht unerheblichen Wert in mir zu tragen. In der Theorie hatte ich schon die Welt erobert und auch verdient und besonders über Anna durchaus verfügt; da nun aber die Praxis begann, so beschlich mich gleich im Anfange eine verzagte Demut, welche ich ungefähr in folgende trotzige und gewaltige Rede zusammenfaßte: »Moi, j’aime assez la bonne et vénérable langue de mon pays, qui est heureusement la langue allemande, pour ne pas plaindre mon ignorance du français. Mais comme Mademoiselle ma cousine a le goût français et comme elle doit visiter l’église de notre village, c’est beaucoup a plaindre, qu’elle n’y trouvera point de ses orateurs vaudois, qui sont si élevés, élégants et savants. Aussi, que son déplaisir ne soit trop grand, je vous propose, Monsieur mon oncle, de remonter en chaire, nous ferons un petit mais élégant auditoire et vous nous ferez de beaux sermons français! Que voulez- que je fasse«, fügte ich etwas verlegen hinzu, als ich diese Rede so hastig und fließend als möglich gehalten hatte. Die Gesellschaft war sehr verwundert über diese langatmige Phrase und betrachtete mich als einen unvermuteten Teufelskerl von Franzosen, besonders da sie wegen der Schnelligkeit, mit der ich sprach, nichts davon verstanden hatten, außer dem Oheim, welcher vergnüglich lachte. Man ahnte freilich nicht, daß ich die Rede im stillen förmlich ausgedacht und daß ich keineswegs mit dieser Geläufigkeit fortzufahren imstande wäre. Anna war die einzige Person, welche alles verstanden, und sie sagte kein Wort hierauf und schien innerlich beleidigt zu sein, denn sie ward rot und sah verlegen vor sich nieder. Sie verstand nämlich, wie es sich später zeigte, keinen Spaß in bezug auf die waadtländischen Geistlichen, die sie in dem Anflug kirchlichen Wesens, den das junge Ding nebst dem Französischen davongetragen, sehr verehrte und deren Andenken für sie eine schöne und bewußtvolle Erinnerung war. Da ich bemerkte, daß die verkehrte Art, meine innere Mutlosigkeit zu äußern, fast einen üblen Eindruck gemacht, so flüchtete ich mich, sobald möglich, vom Tische hinweg. Es läutete nun das letzte Zeichen zur Kirche, und die ganze Familie rüstete sich zum Kirchgange. Anna zog feine glänzende Lederhandschuhe an, und die drei Mädchen des Hauses, welche bisher, obgleich städtisch gekleidet, wie die Landmädchen ohne Handschuhe zur Kirche gegangen, brachten nun ebenfalls deren gestrickte aus Seide oder Baumwolle zum Vorschein und putzten sich damit aus. Anna zeigte, als man zum Gehen bereit war, ein gesammeltes und andächtiges Wesen, sprach nicht mehr viel und sah vor sich nieder, und die übrigen Bäschen, welche von jeher lachend und fröhlich zur Kirche gegangen, gaben sich nun auch ein feierliches Ansehen, daß ich ganz aus der Verfassung kam und nicht wußte, wie ich mich gebärden

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