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begann und mein Oheim mich anstieß. Zugleich bewegte sich der Hafer vor uns, er flüsterte »Was Teufel ist denn da los?« und es erschien eine riesenhafte Bauernkatze, welche uns ansah und davonschlich. In großem Zorne rief der geistliche Herr »Du vermaledeite Bestie, was hast denn du hier zu schaffen? Da sieht man, wo die jungen Hasen hinkommen! Wart, ich will dir jagen helfen!« und er schleuderte ihr einen mächtigen Stein nach. Sie sprang wieder mitten in den Hafer hinein, indessen die Hunde an uns vorüberbrausten und mein zorniger Oheim ganz verblüfft sagte »Da! nun haben wir den Hasen nicht gesehen!« Die Hunde waren ebenfalls im Haferfelde verschwunden, auch war es still geworden, und wir bemerkten nur, daß fünfzig Schritte von uns eine große Bewegung darin herrschte, und zugleich sahen wir dort sechs vergnügte Hundeschwänze über den Halmen wedeln. »Sie haben entweder die Katze oder ein armes junges Häschen!« rief mein Führer. Wir begaben uns nach der Stelle und entdeckten beides. Die Katze hatte das zarte Tierchen erschnappt, nicht ahnend, daß es sechs Hunde hinter sich habe, und diese zerrissen sie in selbem Augenblicke samt ihrem Opfer. Wir hatten genug zu tun, mit unseren Stöcken den Knäuel auseinanderzutreiben. Mein Oheim war verdrießlich über den Verlust des Hasen, und er tröstete sich nur mit dem Tode der unbefugt jagdliebenden Katze.

      »Genug für heute«, sagte er und steckte das Häschen in seine weite Rocktasche, »da wir einmal unwillkürliche Wilddiebe sind, so wollen wir das Ding morgen braten! Nun laß uns noch da vornenhin gehen, wo du das Hochgebirge sehen kannst, dem du jetzt ein bißchen ferner gerückt bist.«

      Am entgegengesetzten Rande des hohen Feldes, wo die Föhren sich lichteten, sah man über zuerst grüne, dann immer blauer werdende Bergrücken hin nach dem Gebirge im Süden, welches in seiner ganzen Ausdehnung von Ost nach West vor uns lag, von den Appenzeller Kuppen bis zu den Berner Alpen, aber so fern, daß man nur den hohen Schnee sah in schwachem Rosenlichte; der Jura lag zu tief, und der See bei meiner Stadt lag vollends in der Tiefe unsichtbar begraben. Dieser ferne, weite Kranz kam mir ganz fremd vor, da ich das Gebirge bisher nur in größerer Nähe und massenhafter, aber auch vereinzelter gesehen hatte.

      Dadurch wurde ich auch auf den Charakter der mich umgebenden Landschaft aufmerksamer. Dieselbe war schon mehr in der Art, wie ich mir deutsches Gebirge vorstelle, grün, felsig und bebaut, in kleinerm Maßstabe, aber immer poetisch. Eine Menge Täler und Einschnitte, von Gewässern durchzogen, versprachen eine reiche Zuflucht für fortwährende Streifereien, vorzüglich war es ein rechtes Waldland. Die Formen waren eben nicht malerisch, meistens sogar monoton, und doch waren die Gegenstände groß und schön durch ihr Dasein, durch ihre Bedeutung, durch den Kontrast, in welchem sie zueinander standen, und erst in den Über- und Durchgängen gab es eine Menge malerischer Anblicke, welche gesucht sein wollten, indessen das reichste Detail an Bäumen und Steinen bei jedem Schritte entgegensprang. Kurz, es war nicht eine raffinierte schöne Gegend, deren Hauptzüge in einem Tage erschöpft sind, sondern eine solide Landschaft, welche bei anscheinender Härte und Schroffheit tief und lebendig war. Dieser und jener Berg lag gleich einem Walrosse träg und einförmig da, aber wenn man in ihn hineinging, so bot er alle Wunder der Phantasie so reichlich, daß einem die Wahl schwer wurde.

      Indessen wir auf einem andern Wege nach Hause kehrten, wechselten die reizenden Bilder vor meinen Augen bis in die Schatten der Nacht hinein und schlossen mit dem hellsten Mondscheine, der auf Mühle, Pfarrhaus und auf dem Wasser flimmerte, als wir anlangten. Die jungen Leute jagten sich auf dem Platze unter den Eschen umher und drängten einander in das Flüßchen, die Töchter sangen im Garten, die Muhme rief aus dem Fenster, ich wäre ein Landstreicher, den man den ganzen Tag nie gesehen hätte, und mein Oheim sagte, wir wollten das Häschen lieber heute noch braten, es werde ein trefflicher Nachtbissen sein!

       Inhaltsverzeichnis

      Der nächste junge Tag ließ mich von allen Seiten mit dem Rufe Maler! begrüßen. Guten Morgen, Maler! Haben der Herr Maler wohl geruht? Maler, zum Frühstück! hieß es, und das Völklein handhabte diesen Titel mit derjenigen gutmütig spottenden Freude, welche es immer empfindet, wenn es für einen neuen Ankömmling, den es nicht recht anzugreifen wußte, endlich eine geläufige Bezeichnung gefunden hat. Ich ließ mir jedoch den angewiesenen Rang trefflich munden und nahm mir im stillen vor, denselben nie mehr aufzugeben. Ich brachte aus Pflichtgefühl die erste Morgenstunde noch über meinen Schulbüchern zu, mich selbst unterrichtend; aber mit dem grauen Löschpapier dieser melancholischen Werke kam die Ode und die Beklemmung der Vergangenheit wieder heran; jenseits des Tales lag der Wald in silbergrauem Duft, die Terrassen hoben sich merklich voneinander los, ihre laubigen Umrisse, von der Morgensonne bestreift, waren hellgrün, jede bedeutende Baumgruppe zeichnete sich groß und schön in dem zusammenhaltenden Dufte und schien ein Spielwerk für die nachahmende Hand zu sein; meine Schulstunde wollte aber nicht vorübergehen, obschon ich längst nicht mehr aufmerkte.

      Ungeduldig ging ich, ein Lehrbuch der Physik in der Hand, hin und her und durch mehrere Zimmer, bis ich in einem derselben die weltliche Bibliothek des Hauses entdeckte; ein breiter alter Strohhut, wie ihn die Mädchen zur Feldarbeit brauchen, hing darüber und verbarg sie beinahe ganz. Wie ich denselben aber wegnahm, sah ich eine kleine Schar guter Franzbände mit goldenem Rücken, ich zog einen Quartband hervor, blies den dichten Staub davon und schlug die Geßnerschen Werke auf, in dickem Schreibpapier, mit einer Menge Vignetten und Bildern geschmückt. Überall, wo ich blätterte, war von Natur, Landschaft, Wald und Flur die Rede, die Radierungen, von Geßners Hand mit Liebe und Begeisterung gemacht, entsprachen diesem Inhalte, ich sah meine Neigung hier den Hauptinhalt eines großen, schönen und ehrwürdigen Buches bilden. Als ich aber auf den Brief über die Landschaftsmalerei geriet, worin der Verfasser einem jungen Manne guten Rat erteilt, las ich denselben überrascht vom Anfang bis zum Ende durch. Die unschuldige Naivetät dieser Abhandlung war mir ganz faßlich; die Stelle, wo geraten wird, mannigfaltig gebrochene Feld- und Bachsteine auf das Zimmer zu tragen und darnach Felsenstudien zu machen, entsprach meinem noch halbkindischen Wesen und leuchtete mir ungemein in den Kopf. Ich liebte sogleich diesen Mann und machte ihn zu meinem Propheten. Nach mehr Büchern von ihm suchend, fand ich ein kleines Bändchen, nicht von ihm, aber seine Biographie enthaltend. Auch dieses las ich auf der Stelle ganz durch. Er war ebenfalls ein hoffnungsloser Schüler gewesen, indessen er auf eigene Faust schrieb und künstlerischen Beschäftigungen nachhing. Es war in dem Werklein viel von Genie und eigener Bahn und solchen Dingen die Rede, von Leichtsinn, Drangsal und endlicher Verklärung, Ruhm und Glück. Ich schlug es still und gedankenvoll zu, dachte zwar nicht sehr tief, war jedoch, wenn auch nicht klar bewußt, für die Bande geworben.

      Es ist bei der besten Erziehung nicht zu verhüten, daß dieser folgenreiche und gefährliche Augenblick nicht über empfängliche junge Häupter komme, unbemerkt von aller Umgebung, und wohl nur wenigen ist es vergönnt, daß sie erst das leidige Wort Genie kennenlernen, nachdem sie unbefangen und arglos bereits ei gesundes Stück Leben, Lernen, Schaffen und Gelingen hinter sich haben. Ja, es ist überhaupt die Frage, ob nicht zu dem bescheidensten Gelingen eine dichte Unterlage von bewußten Vorsätzen und allem Apparate genialer Grübelei gehöre, und der Unterschied möchte oft nur darin bestehen, daß das wirkliche Genie diesen Apparat nicht sehen läßt, sondern vorweg verbrennt, während das bloß vermeintliche ihn mit großem Aufwande hervorkehrt und um seine mageren Gestaltungen wirft wie einen Theatermantel.

      Den berückenden Trank schöpfte ich jedoch nicht aus einem anspruchsvollen und blendenden Zauberbecher, sondern aus einer bescheidenen lieblichen Hirtenschale; denn bei allen Redensarten war dies Geßnersche Wesen durchaus einfacher und unschuldiger Natur und führte mich für einmal nur mit etwas mehr Bewußtsein unter grünen Baumschatten und an stille Waldquellen.

      In der Biographie machte ich auch die Bekanntschaft mit dem alten Sulzer, welcher in Berlin des jungen Geßner Gönner gewesen; wie ich nun unter den Büchern einige stattliche Bände der »Theorie der schönen Künste« wahrnahm, nahm ich sie als in mein neuentdecktes Gebiet gehörig in Beschlag. Dies Buch muß seinerzeit eine gewaltige Verbreitung gefunden haben, da man es fast in allen alten Bücherschränken findet und es auf allen Auktionen spukt und für wenig Geld erstanden werden kann. Wie ich die enzyklopädische Einrichtung desselben bemerkte, schlug ich flugs den Artikel Landschaftsmalerei

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