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daß sie nicht vermochte, sich etwa nach einem bequemen Wechselbrief umzusehen, sondern sie wickelte das Geld in vieles starkes Papier ein, umwand es mit vielen dicken Schnüren und wandte es seufzend und unter Tränen um und um, überall das heiße Siegelwachs aufträufelnd und höchst ungeschickt siegelnd und petschierend. Dann legte sie das schwere unbeholfene Paket in ihren Strickbeutel, nahm diesen auf den Arm und schlich damit auf Seitenwegen zur Post; denn sie wünschte um alles in der Welt nicht, daß jemand sie sähe, und zwar aus dem Grunde, weil sie, befragt, wo sie mit dem Gelde hinwolle, durchaus um eine Antwort verlegen gewesen wäre. Sie reichte, den seidenen Ridikül verschämt und zitternd abstreifend, den Pack durch das Schiebefensterchen, der Postbeamte besah die Adresse und dann die Frau, gab ihr den Empfangschein, und sie machte sich davon, als ob sie soviel Geld jemandem genommen anstatt gegeben hätte. Der linke Arm, auf welchem sie das Geld getragen, war ganz steif und ermüdet, und so kehrte sie auch körperlich angegriffen in ihre Behausung zurück und war froh, als sie dort war. Nichtsdestominder fühlte sie einen gewissen mütterlichen Stolz, als sie durch, so viele selbstzufriedene und prahlende Männer und Weiber hindurchging, welche unfehlbar ihren Gang scharf getadelt hätten und selbst eher dafür, daß sie den Knieriemen tüchtig handhabten, sich am liebsten von ihren Kindern gleich einen Erziehergehalt ausbezahlen ließen, anstatt irgend etwas Ungewöhnliches für sie zu opfern oder zu wagen.

      Mit Heinrich, als er das Geld empfing, begab sich jetzt etwas sehr Natürliches und doch wieder sehr Sonderbares. Er hatte seiner Mutter gerade um soviel Geld geschrieben, als seine Schulden betrugen, aus Gewissenhaftigkeit und Bescheidenheit mitten im Leichtsinn, und erst als die Summe unterwegs war, fiel ihm ein, daß er ja, wenn die Schulden bezahlt seien, abermals auf dem gleichen Punkte stehe wie vorher. Er nahm sich also vor, diesmal weltklug zu sein und, wie er es schon öfter bei anderen ganz ehrbaren Leuten gesehen, seinen Gläubigern einstweilen die Hälfte ihrer Forderungen zu tilgen, mit der anderen Hälfte aber dann gut hauszuhalten und ganz gewiß mit festem Willen den Anfang zu einem selbständigen Leben zu machen. Die Gläubiger waren alles solche, welche den entschieden und verständig angebrachten Antrag gern angenommen hätten, und auch der zweite Vorsatz war bei dem erweiterten Gesichtskreis und guten Willen keine Unmöglichkeit; vielmehr kam es nur auf frische Lust, gute Laune und einiges Glück an, das jeder Tag bringt, wenn der Mensch nur bereit ist, es zu haschen. Als aber die Gläubiger, die diesmal sich nicht aufsuchen ließen, erschienen und sich freuten, sich auch hier nicht getäuscht zu haben in der Ehrlichkeit der Jugend, da brachte es Heinrich nicht über sich, auch nur bei einem einzigen mit seinem Vorschlag herauszurücken; er befriedigte vielmehr einen jeden bei Heller und Pfennig, ohne zu zögern und zu seufzen, und dem letzten, welcher weniger eilig war und sich nicht sehen ließ, brachte er sein Guthaben ängstlich ins Haus beim ärgsten Regenwetter. Jetzt hatte er noch einige Taler in der Hand, welche er, ohne einen Groschen weniger auszugeben, aufbrauchte und zu Ende gehen sah. Dies geschah auch in kurzer Zeit, und eines Morgens, als er aufstand, erinnerte er sich, daß er nicht einen Pfennig mehr im Vermögen hatte. Obgleich er dies vorausgewußt, so war er doch ganz verblüfft darüber und noch, mehr, als er nun klar fühlte, daß er unmöglich jetzt von neuem borgen könne; denn teils wußte er nun bestimmt, daß er neue Schulden nicht mehr bezahlen könne, teils widerstrebte es ihm, nach Verlauf einiger Tage abermals bei denen anzuklopfen, die er soeben befriedigt hatte, kurz, auf einmal verließ ihn alle die Herrlichkeit, Weisheit und Gewandtheit, der Schleier fiel von der dürren Lage der Dinge, und er ergab sich ganz demütig und geduldig dem Gefühle der nackten Armut. Als der Mittag kam, ging er aus in alter Gewohnheit, verbarg sich aber vor allen Bekannten; er kehrte wieder in seine Wohnung, und als der Abend kam, war er doch höchlich verwundert, nichts gegessen zu haben an diesem Tage. Als aber der nächste Tag ebenso verlief und es ihn anfing tüchtig zu hungern, erinnerte er sich plötzlich der weisen Tischreden seiner Mutter, wenn er als kleiner Junge das Essen getadelt hatte und sie ihm dann vorhielt, wie er einst vielleicht froh sein würde, nur solches Essen zu haben. Das erste Gefühl, was er hiebei empfand, war ein Gefühl der Achtung vor der ordentlichen Regelmäßigkeit und Folgerichtigkeit der Dinge, wie alles so schön eintreffe; und in der Tat ist nichts so geeignet, den notwendigen und gründlichen Weltlauf recht einzuprägen, als wenn der Mensch hungert, weil er nichts gegessen hat, und nichts zu essen hat, weil er nichts besitzt, nichts besitzt, weil er sich nichts erworben hat. An diesen einfachen und unscheinbaren Gedankengang reihen sich dann von selbst alle weiteren Folgerungen und Untersuchungen, und Heinrich, indem er nun in seiner Einsamkeit vollständige Muße hatte und von keiner irdischen Nahrung beschwert war, überdachte sein Leben und seine Sünden, welche jedoch, da der Hunger ihn unmittelbar zum Mitleid mit sich selbst stimmte, mehr als die Sättigung, welche manche übermütige und geistreiche Askese hervorbringt, noch ziemlich glimpflich ausfielen. Im ganzen befand er sich nicht sehr trübselig; die Einsamkeit tat ihm eher wohl, und das Hungern verwunderte ihn immer aufs neue, während er in des Königs Gärten auf abgelegenen sonnigen Pfaden spazierte oder durch die belebte Stadt nach Hause ging; auch wunderte es ihn, daß ihm das niemand ansah und ihn niemand befragte, ob er gegessen habe? worauf er sich sogleich antwortete, daß dies sehr gesetzmäßig der Fall sei, da es niemanden was anginge und er sich auch nichts ansehen lasse, woran sich denn wieder weitere Gedanken knüpften. Am dritten Tage, als er begann, sich wirklich schwächer zu fahlen, und eine bedenkliche Mattigkeit in den Füßen sich kundgab, kam ihm dies erst lächerlich vor; dann aber begann er ängstlich zu werden, und als er sich zum dritten Mal ungegessen ins Bett legen mußte, ward es ihm höchst weinerlich und ärgerlich zu Mute, und er gedachte, durch den in seiner Schwäche rumorenden Leib gemahnt, sehnlich und bitterlich seiner Mutter, nicht besser als ein sechsjähriges Mädchen, das sich verlaufen hat. Wie er aber an die Geberin seines Lebens dachte, fiel ihm auch der höchste Schutzpatron und Oberviktualienmeister seiner Mutter, der liebe Gott, ein, und da Not beten lehrt, so betete er ohne weiteres Zögern, und zwar zum ersten Mal sozusagen in seinem Leben um das tägliche Brot. Denn bisher hatte er nur um Aushilfe in moralischen Dingen oder um Gerechtigkeit und gute Weltordnung gebeten in allerhand Angelegenheiten für andere Leute; in den letzten Jahren zum Beispiel, daß der liebe Gott den Polen helfen und den Kaiser von Rußland unschädlich machen möge oder daß er den Amerikanern über die Kalamität der Sklavenfrage auf eine gute Weise hinweghelfen möchte, damit die Republik und Hoffnung der Welt nicht in Gefahr käme, und dergleichen Dinge mehr. Jetzt aber widersetzte er sich nicht mehr, um seine Lebensnahrung zu beten; doch benahm er sich noch höchst manierlich und anständig dabei, indem er trotz seines bedenklichen Zustandes erst bei der Bitte für die Mutter anfing, dann einige andere edlere Punkte vorbrachte und dann erst mit der Eßfrage hervorrückte; jedoch nicht sowohl, um den lieben Gott hinter das Licht zu führen, als um zwangsweise den allgemeinen Anstand zu wahren, auch vor sich selbst.

      Jedoch betete er nicht etwa laut, sondern es war mehr ein stilles Zusammenfassen seiner Gedanken, und er dachte das Gebet nur, und trotzdem war es ihm ganz seltsam zu Mute, sich wieder einmal persönlich an Gott zu wenden, welchen er zwar nicht vergessen oder aufgegeben, aber etwas auf sich beruhen gelassen und unter ihm einstweilen alle ewige Weltordnung und Vorsehung gedacht hatte.

      Am Morgen stand er in aller Frühe auf und pfiff, so gut es mit seiner immer ängstlicher schnappenden Lunge gehen mochte, munter ein Liedchen; es war ihm, als ob jetzt eine gute Mahlzeit alsogleich vor der Tür sein müsse, denn weiter als an eine solche dachte er nicht mehr. Zugleich ergriff er unwillkürlich ein stattliches und höchst inhaltreiches Buch, das da zunächst bestaubt auf einer Tischecke lag, ging damit zu einem Büchertrödler, dem er schon manches Buch abgekauft hatte, und trug einige Augenblicke darauf mehrere nagelneue blanke Guldenstücke davon, welche der gute Jude freundlich aus seinem ledernen Beutelchen geklaubt. Heinrich hatte die lieblichen Münzen nur beim Übergang aus des Juden Tasche in die seinige flüchtig blinken gesehen; aber dies Blinken machte auf ihn in seiner Leibesschwäche vollkommen den Eindruck wie der Sonnenaufblitz eines unmittelbaren allernächsten Wunders. Er gewann auch unmittelbar durch diesen bloßen Eindruck einige Lebensgeister, so daß er, obgleich es nun schon der vierte Fasttag war, sich vornahm, doch nicht vor Mittag zu Tische zu gehen, sondern seinen wunderlichen Zustand noch recht erbaulich auszugenießen. Er begab sich also wieder in den Schatten eines lieblichen Wäldchens, setzte sich auf eine Bank und zog unverweilt die schönen Gulden hervor, sie nunmehr in aller Behaglichkeit betrachtend. Es war ihm, als ob er niemals Geld besessen hätte, als ob es eine Ewigkeit her wäre, seit er in der Gesellschaft von Menschen gewesen und sich gleich ihnen genährt, und so ein hinfälliges

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