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zu lösen, welches von größtem Einflusse auf unsere deutsche Kunstentwicklung sein kann. Es war in der Tat längst nicht mehr auszuhalten, immer von der freien und für sich bestehenden Welt des Schönen, welche durch keine Realität, durch keine Tendenz getrübt werden dürfe, sprechen und räsonieren zu hören, während man mit der gröbsten Inkonsequenz doch immer Menschen, Tiere, Himmel, Sterne, Wald, Feld und Flur und lauter solche trivial wirkliche Dinge zum Ausdrucke gebrauchte. Du hast hier einen gewaltigen Schritt vorwärts getan von noch nicht zu bestimmender Tragweite. Denn was ist das Schöne? Eine reine Idee, dargestellt mit Zweckmäßigkeit, Klarheit, gelungener Absicht! Diese Million Striche und Strichelchen, zart und geistreich oder fest und markig, wie sie sind, in einer Landschaft auf materielle Weise placiert, würden allerdings ein sogenanntes Bild im alten Sinne ausmachen und so der hergebrachten gröbsten Tendenz frönen! Wohlan! du hast dich kurz entschlossen und alles Gegenständliche hinausgeworfen! Diese fleißigen Schraffierungen sind Schraffierungen an sich, in der vollkommensten Freiheit des Schönen schwebend, dies ist der Fleiß, die Zweckmäßigkeit, die Klarheit an sich, in der holdesten, reizendsten Abstraktion! Und diese Verknotungen, aus denen du dich auf so treffliche Weise gezogen hast, sind sie nicht der triumphierende Beweis, wie Logik und Kunstmäßigkeit erst im Wesenlosen recht ihre Siege feiern, im Nichts sich Leidenschaften und Verfinsterungen gebären und sie glänzend überwinden? Aus Nichts hat Gott die Welt geschaffen! Sie ist ein krankhafter Abszeß dieses Nichts, ein Abfall Gottes von sich selbst. Das Schöne, das Poetische, das Göttliche besteht eben darin, daß wir uns aus diesem materiellen Geschwür wieder ins Nichts zurückabstrahieren, nur dies kann eine Kunst sein! – Aber mein Lob muß sogleich einen Tadel gebären, oder vielmehr die Aufforderung zu weiterm energischen Fortschritt! In diesem reformatorischen Versuch liegt noch immer ein Thema vor, welches an etwas erinnert, auch wirst du nicht umhinkönnen, um dem herrlichen Gewebe einen Stützpunkt zu geben, dasselbe durch einige verlängerte Fäden an den listen dieser Föhren zu befestigen, sonst fürchtet man jeden Augenblick, es durch seine eigene Schwere herabsinken zu sehen. Hiedurch aber knüpft es sich wiederum an die abscheulichste Realität! Nein, grüner Heinrich! nicht also! nicht hier bleibe stehen! Die Striche, indem sie bald sternförmig, bald in der Wellenlinie, bald rosettenartig, bald geviereckt, bald radienartig, strahlenförmig sich gestalten, bilden ein noch viel zu materielles Muster, welches an Tapeten oder bedruckten Kattun erinnert. Fort damit! Fange oben in der Ecke an und setze einzeln nebeneinander Strich für Strich, eine Zeile unter die andere; von zehn zu zehn mache durch einen verlängerten Strich eine Unterabteilung, von hundert zu hundert eine wackere Oberabteilung, von tausend zu tausend einen Abschluß durch einen tüchtigen Sparren. Solches Dezimalsystem ist vollkommene Zweckmäßigkeit und Logik, das Hinsetzen der einzelnen Striche aber der in vollkommener Tendenzfreiheit in reinem Dasein sich ergehende Fleiß. Zugleich wird dadurch ein höherer Zweck erreicht. Hier in diesem Versuche zeigt sich immer noch ein gewisses Können; ein Unerfahrener, Nichtkünstler hätte diese Gruselei nimmer zustande gebracht. Das Können aber ist von zu leibhafter Schwere und verursacht tausend Trübungen und Ungleichheiten zwischen den Wollenden; es bringt die tendenziöse Kritik hervor und steht der reinen Absicht fort und fort feindlich entgegen. Das moderne Epos zeigt uns die richtige Bahn! In ihm zeigen uns begeisterte Seher, wie durch dünnere oder dickere Bände hindurch die unbefleckte, unschuldige, himmlisch reine Absicht geführt werden kann, ohne je auf die finsteren Mächte irdischen Könnens zu stoßen! Eine goldschnittheitere ewige Gleichheit herrscht zwischen der Brüderschaft der Wollenden! Mühelos und ohne Kummer teilen sie einige tausend Zeilen in Gesänge und Strophen ab; der wahre Fleiß an sich freut sich seines Daseins, kein schlackenbeschwerter Könnender stört die Harmonie der Wollenden. Und weit entfernt, daß der Bund der Wollenden etwa eine einförmige, langweilige Schar darstellte, birgt er vielmehr die reizendste Mannigfaltigkeit in sich und kommt auf den verschiedensten Wegen zum Ziele. Hauptsächlich teilt er sich in drei große Heerlager; das eine dieser Heerlager will, das heißt arbeitet, ohne etwas gelernt zu haben; das zweite wendet mit eiserner Ausdauer das Gelernte, aber nicht Begriffene an; das dritte endlich arbeitet und will, ohne das Gelernte und Begriffene auf sich selber anzuwenden, und alle drei Heerzüge vereinen sich an einem friedlichen Ziele. Wer kann ermessen, wie nahe die Zeit ist, wo auch die Dichtung die zu schweren Wortzeilen wegwirft, zu jenem Dezimalsystem der leichtbeschwingten Striche greift und mit der bildenden Kunst in einer äußeren Form sich vermählt? Alsdann wird der reine Schöpfer- und Dichtergeist, welcher in jedem Bürger schlummert, durch keine Schranke mehr gehemmt, zutage treten, und wo sich zwei Städtebewohner träfen, wäre der Gruß hörbar: ›Dichter?‹ – ›Dichter!‹ oder ›Künstler?‹ – ›Künstler!‹ Ein zusammengesetzter Senat geprüfter Buchbinder und Rahmenvergolder würde in wöchentlichen olympischen Spielen massenhaft die Würde des Prachteinbandes und des goldenen Rahmens erteilen, nachdem sie sich eidlich verpflichtet, während der Dauer ihres Richteramtes selbst keine Epen und keine Bilder zu machen, und ganze Kohorten wissenschaftlich wie ästhetisch verbildeter Verleger würden die gekrönten Epen in stündlich folgenden Auflagen von je einem Exemplare über ganz Deutschland hin so tiefsinnig verlegen, daß sie kein Teufel wiederfinden könnte!«

      »Lieber Mann, was befällt dich, wo willst du hin?« rief Rosalie, die wie die anderen mit offenem Munde dagestanden und abwechselnd bald den über und über bekritzelten Rahmen, bald den Redner betrachtet hatte, indessen Heinrich, mit Rot begossen, dann bleich werdend, in der unglückseligsten Laune verharrte. »Laßt es gut sein!« sagte Erikson, »dieser Witz, dieses Geschwätz sei für einmal mein gerührter Abschied von Deutschland! Von nun an wollen wir dergleichen hinter uns werfen und uns eines wohlangewandten Lebens befleißen!« Dann nahm er mit ernsterm Blicke Heinrich bei der Hand, führte ihn hinter einen großen Karton und sagte leise zu ihm »Lys läßt dich freundlichst grüßen; der Arzt hat ihm geraten, nun sogleich nach dem Süden zu gehen und sich dort wenigstens zwei Jahre aufzuhalten. Er wird nach Palermo und dort genesend in sich gehen; die Krankheit scheint doch etwas an ihm geändert zu haben. Dein Gekritzel da auf dem Rahmen zeigt mir, daß du dich übel befindest und nicht mit dir einig bist; sieh, wie du aus der verfluchten Spinnwebe herauskommst, die du da angelegt hast, und wenn du dich mit dem Ding, mit der Kunst oder deren Richtung irgend getäuscht fändest, so besinne dich nicht lange und stelle die Segel anders! Ich bin im gleichen Falle und muß erst jetzt sehen, wie ich noch etwas Tüchtiges hantieren werde, daß einige nützliche Bewegung von mir ausgeht!«

      Heinrich ward sehr beklemmt und erwiderte nichts als »Wann geht Ferdinand fort?« – »ln den nächsten Tagen«, sagte Erikson, »er wünscht indes, daß ihr euch für jetzt nicht sehet; überhaupt laßt uns alle drei aufs Geratewohl auseinandergehen, ernst und doch leicht, und es der Zukunft überlassen, was sie aus jedem machen und ob sie uns wieder zusammenführen wird! Ein dreifaches stilles Gedenken mag um so treuer in uns leben; du besonders bist uns beiden anderen lieb, wie ein kleiner Benjamin, und es nimmt uns höchlich wunder, was aus dir, welcher soviel jünger ist als wir, eigentlich sich noch hervorspinnen wird.«

      Als sie wieder hinter ihrer Kulisse hervorgetreten, wurde rasch Abschied genommen. Erikson und der Gottesmacher drückten ihm kräftig die Hand; Rosalie, welche mit feinem Sinne wohl ahnte, daß Heinrich etwas fehlte, dämpfte mit zartem Gefühl den muntern Glanz des Glückes in ihren Augen, als sie ihm die Hand reichte und freundlich lächelte, und Agnes, welche sich zugleich herandrängte, schoß vollends einen warmen, dunklen Blick in seine Augen, und zwischen ihren schwarzen Wimpern schimmerte es wie silberner Tau. Er fühlte, daß das wundersame Wesen ihm mit wenigem viel sagen möchte, daß sie dem Vertrauten jener schmerzlichen Freudentage ihre tiefbewegte Verwunderung über sich selbst, Über den Lauf der Welt verschweigen mußte. Selbst verwundert stand Heinrich einen Augenblick zwischen zwei reizvollen Weibern, dann sah er sich allein und schaute in dem grauen, zum Teil düstern, zum Teil mit grellem Lichte durchstrahlten Raum herum, in welchem soeben sich kräftige und schöne, glücklich gepaarte Menschengestalten bewegt hatten.

      Er sah auf die Tür, durch welche sie verschwunden und welche mit ihrer weißgestrichenen Fläche vor seinen Augen schwirrte und flimmerte wie eine Leinwand, von welcher mit einem Zuge ein lebendiges Gemälde weggewischt worden. Er sah durch das hohe Fenster, dessen untere Hälfte verhüllt war, in die leere Luft hinaus, das freundliche Stück blauen Himmels schien anderswohin niederzublicken auf rüstig bewegtes Menschengewimmel; sein Blick irrte hierauf über die umherstehenden anspruchsvollen Arbeiten hin, welche grau in grau, als wesenlose Fiktionen von Bäumen und Steinen,

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