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traf sie Henrik Hollstein, der offenbar auch zum Bäcker gehen wollte. Seine Tochter im Wagen vor sich her schiebend, grüßte er die Nachbarin und stellte dann lächelnd fest: »Sie haben sich gut erholt. Das freut mich.«

      »Ja, es geht mir schon viel besser. Ich muss samstags nun nicht mehr arbeiten. Das war wohl doch zu viel für mich. Und heute habe ich endlich meine – neuen – Wohnzimmermöbel bekommen. Das ist ein Grund zum Feiern. Möchten Sie vielleicht mitkommen und bei mir Kaffee trinken? Ich habe auch Milch für die Kleine.«

      Er lächelte und fragte sein Kind: »Na, Reni, was meinst du, wollen wir die Tante besuchen?«

      Die Kleine gab ein paar unverständliche Laute von sich, und da sie inzwischen vor dem Backwarenladen angekommen waren, kaufte Gitta Kuchen und Brot, Henrik ungefähr das gleiche.

      »Es ist hier bei mir noch nicht alles so, wie es sein soll«, entschuldigte sich Gitta ein wenig verlegen, nachdem sie bei Kaffee und Kuchen saßen. »Ich hatte noch nie einen eigenen Haushalt und muss mir noch viel besorgen.«

      Henrik, der seine Tochter auf dem Schoß zu sitzen hatte, schaute sie daraufhin so erstaunt an, dass sie in bitterem Tonfall hinzufügte: »Das wundert Sie, nicht wahr? Ich bin Ende zwanzig, verdiene mein Geld und habe es dennoch bisher nicht geschafft, mir Möbel zu kaufen.«

      »Sie haben sicher noch bei Ihren Eltern gewohnt.«

      »Nein, bei meinem Freund. Er war lange krank, und ich habe für ihn gesorgt und ihn gepflegt, bis er dann …«

      Als sie nicht weitersprach, vollendete er teilnahmsvoll: »Und dann ist er gestorben.«

      »Aber nein. Als er wieder gesund war, hat er mich gebeten, möglichst schnell auszuziehen, weil er eine andere kennengelernt hat, die er nun für immer und alle Zeit lieben würde. Doch das ist nun schon eine Weile her, und ich habe mich damit abgefunden.«

      »Dann sind wir ja Leidensgenossen«, erwiderte er verhalten. »Ich habe auch versucht, meiner Frau das Leben an meiner Seite leicht zu machen. Aber das hat ihr nicht gereicht. Familie ist nichts für sie. Eines Tages war sie weg. Da war Reni erst ein paar Monate alt.«

      »Und es hat ihr nichts ausgemacht, ihr Kind zu verlassen?«

      »Nein, anscheinend nicht. Sie wollte auch nie ein Kind, was ich allerdings nicht besonders ernst genommen habe. Ich dachte, sie ändert sich, wenn das Kleine erst da ist –, und wird es dann auch lieb haben. Aber so war es leider nicht.«

      »Vielleicht haben wir es zu gut gemeint.«

      »Ja, vielleicht«, bestätigte Henrik und fragte dann: »Darf ich Reni auf den Teppich setzen? Ich glaube, sie möchte sich ein bisschen bewegen.«

      »Ja, tun Sie das nur. Sonst wird ihr noch langweilig.«

      Er stellte die Kleine nun auf ihre noch ziemlich wackligen Beine, Reni tat an seinen Händen ein paar Schritte und erkundete anschließend auf allen vieren die ungewohnte Umgebung. Damit war sie eine Weile vollauf beschäftigt, bis sie zu Gitta krabbelte und sich an ihrem Hosenbein hochzog. Dabei quietschte sie vergnügt.

      »Darf ich sie mal nehmen?« Die junge Frau schaute Henrik bittend an.

      »Sie können es ja versuchen. Reni hat so ihre Eigenheiten und geht nicht zu jedem. Aber sie scheint Sie zu mögen.« Er wies lachend auf sein Töchterchen, das jetzt seinen Kopf an die Brust der Tante legte und überaus zufrieden aussah.

      »Ja, ich glaube, wir werden noch gute Freunde.« Gitta sah lächelnd auf die Kleine, und Henrik dachte: Sie ist nicht so hübsch wie Evelin, ist aber viel mütterlicher und fürsorglicher. Na, mal sehen, was draus wird. Vielleicht sehen wir uns von nun an öfter.

      Und da Gitta Wenzel ähnliche Gedanken hegte, kamen sie sich tatsächlich langsam näher, duzten sich irgendwann und waren doch zurückhaltend. Beide fürchteten sich vor einer erneuten Enttäuschung.

      *

      Gitta verbrachte Weihnachten, Silvester und Neujahr bei ihren Eltern – und wäre doch am liebsten bereits nach zwei Tagen wieder nach Hause gefahren, dorthin, wo ein einsamer Mann mit einem kleinen Mädchen vielleicht auf sie wartete. Aber sie wollte sich nicht aufdrängen. Und vielleicht versöhnte sich Henrik Hollstein auch wieder mit seiner Ehefrau, vielleicht hatte diese doch Sehnsucht nach ihrem Kind.

      An beides war selbstverständlich gar nicht zu denken. Evelin schickte lediglich ein Päckchen mit den üblichen Weihnachts- und Neujahrsgrüßen und einem Strickanzug, der Reni schon viel zu klein war. Henrik schüttelte darüber nur verärgert den Kopf und schenkte den Babyanzug einer alleinerziehenden Mutter, die ein vier Monate altes Kind hatte.

      Er holte die Oma für ein paar Tage zu sich, die ihm das Kochen abnahm und Plätzchen gebacken hatte. Er selbst hatte – mit Renis ›Hilfe‹ – den Tannenbaum geschmückt und fühlte sich alles in allem recht wohl. Seine Frau vermisste er nicht mehr, wohl aber Gitta Wenzel. Irgendwie hatte sie sich mit ihrer stillen und bescheidenen Art in sein Herz und das seiner Tochter geschlichen.

      Am zweiten Januar beendete die Oma ihren Besuch, um sich, wie Henrik mit gutmütigem Spott erklärte, ihrer verwöhnten Katze zu widmen, die während der Feiertage von einer Nachbarin betreut worden war.

      Nachdem er die Großmutter zu ihrer Wohnung gebracht hatte, spürte er die Einsamkeit wie etwas Bedrückendes, bis Gitta sich einen Tag später telefonisch meldete und ihnen ein schönes neues Jahr wünschte. Und dann sagte sie noch, dass sie wieder daheim wäre.

      »Wir wünschen dir auch alles Gute für das neue Jahr«, antwortete Henrik erfreut. »Magst du vielleicht herkommen, mit Reni ein bisschen schmusen und mit mir ein Glas Glühwein trinken?«

      »Ja, gern«, entgegnete sie und versprach, in wenigen Minuten bei ihnen vor der Tür zu stehen.

      Und als sie schließlich vor ihm stand, mit Schneeflocken im braunen Haar und strahlenden Augen, fand er sie niedlicher als je zuvor, legte einen Arm um ihre Schultern, drückte sie kurz an sich und küsste sie auf die Wange.

      »Was hast du denn da?«, erkundigte er sich anschließend und deutete auf den kleinen, mit buntem Papier eingepackten und mit roter Schleife versehenen Karton, den sie in der Hand hielt.

      »Da ist etwas für Reni zum Spielen drin.«

      »Du sollst uns doch nichts schenken.«

      »Es ist ja auch nicht viel.« Gitta hatte unterdessen mit Henrik zusammen das Wohnzimmer betreten, wo die Kleine in ihrem Laufgitter saß und an einem abwaschbaren Bilderbuch knabberte. Beim Anblick der Tante stand sie sofort auf und wollte auf den Arm genommen werden.

      Gitta tat ihr den Gefallen und setzte sich mit ihr auf die Couch, wo Reni dann die Schachtel auspacken durfte. Die bunte Raupe aus Stoff schien ihr zu gefallen. Sie plapperte jedenfalls aufgeregt. Und da sie bereits laufen konnte, stolzierte sie mit dem Spielzeug in der Hand im Zimmer herum und setzte sich schließlich auf den Teppich, um es genauer zu untersuchen.

      Henrik hatte inzwischen Glühwein gekocht und diesen in zwei Gläser gefüllt. Und während das Kind mit der Raupe spielte, saßen die Erwachsenen beieinander, tranken den Wein und meinten bei sich, dass es schon lange nicht mehr so harmonisch in ihrem Leben gewesen war. Es war fast so, als würden sie zusammengehören.

      Die kleine Irene schien jedenfalls dieser Meinung zu sein. Für sie war Gitta Wenzel der Ersatz für die Mutter. Das erste Wort, das sie sprach, war zwar ›Papa‹, das zweite jedoch ›Itta‹. Und damit meinte sie die Tante, die sie mitunter von der Kindertagesstätte abholte, sie fütterte und neu windelte, die mit ihr spielte und immer da war, wenn der Papa keine Zeit für sein Kind hatte.

      So vergingen die nächsten Monate. Henrik wurde während dieser Zeit von seiner Frau geschieden. Bei der Gelegenheit besuchte sie ihn und das Kind für einige Stunden, um alles Notwendige zu besprechen, und überließ ihm großzügig die Möbel, den Hausrat und das Kind sowieso.

      Und damit war dieses Kapitel seines Lebens wohl als beendet anzusehen. Er selbst wusste nicht, ob er aufatmen oder sich Vorwürfe machen sollte. Vielleicht hätte er

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