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würden sie und Susan sicherlich über ihre eigene Dummheit lachen, aber jetzt flossen nur Tränen der Dankbarkeit. Jem lag tatsächlich schlafend und wohlbehalten dort in der Ecke im Sessel, seinen abgenutzten Teddybären fest im Arm und quer über seinen Füßen Krabbe, der ihm längst verziehen hatte. Jems rote Locken fielen auf das Kissen herab. Er schien gerade süß zu träumen, so daß Anne beschloß, ihn schlafen zu lassen. Doch plötzlich öffnete er die Augen und schaute ihr mitten ins Gesicht.

      „Jem, mein Liebling“, sagte Anne mit noch ganz zittriger Stimme, „warum liegst du denn nicht in deinem Bett? Wir, wir haben uns schon ein wenig Sorgen gemacht… wir konnten dich nicht finden, aber wir sind nicht auf die Idee gekommen, hier nachzusehen …“ Sie streichelte ihm übers Haar.

      „Ich hab mich hier hingelegt, damit ich sehen kann, wenn ihr nach Hause kommt, du und Daddy“, murmelte Jem verschlafen. „Da bin ich dann wohl eingenickt.“

      Seine Mutter hob ihn auf und trug ihn in sein Bett. Es tat so gut, ihn zu küssen und die Bettdecke um ihn herum festzustopfen. ‚Wie schön war es, geliebt zu werden!‘ dachte Jem. Was war schon so eine blöde tätowierte Schlange dagegen! Mama war so lieb, die liebste Mama auf der ganzen Welt. Berties Mutter dagegen war oft so gemein, er hatte selbst gesehen, wie sie ihm wegen jeder Kleinigkeit eine Ohrfeige verpaßte.

      „Mami“, flüsterte er schläfrig, „mach dir keine Sorgen, im nächsten Frühling bring ich dir wieder Maiblumen, jeden Frühling. Du kannst dich auf mich verlassen.“

      „Ja, ich weiß, mein Liebling“, sagte Anne und machte das Licht aus.

      „Also, nachdem sich jetzt alles wieder beruhigt hat, können wir wohl aufatmen und uns wieder zu Bett begeben“, sagte Tante Mary Maria mit ziemlich boshaftem Unterton. Sie hatte die ganze Szene von der Tür aus beobachtet.

      „Wie dumm von mir, daß ich an den Fensterplatz nicht gedacht habe“, meinte Anne, der die Erleichterung anzusehen war. „Da haben wir uns ganz schön lächerlich gemacht, und Gilbert wird uns bestimmt noch oft daran erinnern. Susan, bitte ruf doch Mr. Flagg an und sag ihm, daß wir Jem gefunden haben.“

      „Na, der wird was zu lachen haben“, meinte auch Susan froh. „Aber das macht mir nichts aus, Hauptsache, Jem ist wohlauf.“ Sie marschierte zum Telefon und wählte die Nummer.

      „Ich könnte eine Tasse Tee vertragen“, seufzte Tante Mary Maria nach einer Weile und umhüllte sich mit ihren Drachen.

      „Kommt sofort“, versprach Susan, die ihr Telefonat schon beendet hatte. „Der wird uns allen guttun. Als ich Carter Flagg sagte, daß es Jem gutgeht, meinte er nur ‚Gott sei Dank‘. Ich werd mich in Zukunft hüten, über seine Preise zu schimpfen. Und was halten Sie von einem Hähnchen morgen, liebe Frau Doktor? Als kleiner Festschmaus sozusagen. Und Jem kriegt zum Frühstück seine Lieblingsbrötchen.“

      Wieder klingelte das Telefon, diesmal war es Gilbert, der Anne erklärte, er müsse ein schwerverbranntes Baby ins städtische Krankenhaus fahren und könne wohl erst am Morgen zurückkommen.

      Dann kam Susan mit einem Tablett ins Zimmer und gab jedem eine Tasse in die Hand. Bevor Anne schließlich zu Bett ging, schaute sie noch einmal aus dem Fenster und sandte einen dankbaren Gutenachtgruß hinaus. Vom Meer wehte eine kühle Brise. Obwohl sie noch etwas mitgenommen war, konnte Anne jetzt sogar über die ganze Aufregung von vorhin und über Tante Mary Marias an den Haaren herbeigezogene Vermutungen lachen. Ihr Kind war wohlauf. Währenddessen kämpfte Gilbert um das Leben eines anderen Kindes. Anne betete zu Gott, er möge diesem unschuldigen Kind und seiner Mutter beistehen.

      Die Stille der Nacht breitete sich langsam in Ingleside aus, und alle fielen in tiefen Schlummer.

      Kapitel 7

      Mrs. Parker war eine hochgewachsene, gutmütige und immer fröhliche Frau. Sie lachte Walter mit breitem Grinsen an, wohingegen er nur ein klägliches Lächeln zustande brachte. Er war sich nicht ganz sicher, ob er Mrs. Parker mit ihrer Fröhlichkeit nun mochte oder nicht. Irgendwie war alles an ihr zuviel des Guten. Dr. Parker dagegen konnte er gut leiden. Er und Papa waren Freunde, während seine Mutter – so schien es ihm jedenfalls – nicht unbedingt scharf war auf Mrs. Parkers Besuche.

      Die Parkers wohnten in Lowbridge, sechs Meilen von Glen entfernt. Walter sollte nun zwei Wochen dort verbringen, aber er hatte so seine Zweifel, ob ihm das Spaß machen würde. Er war schrecklich gern in Avonlea und freute sich riesig, wenn er bei Kenneth Ford im alten ‚Traumhaus‘ übernachten durfte, aber Lowbridge, bei fremden Leuten, das war etwas ganz anderes. Doch es schien beschlossene Sache zu sein. Aus irgendeinem Grund, der Walter verborgen blieb, waren Papa und Mama auch noch froh über diese Abmachung. Wollten sie etwa ihre Kinder loswerden? fragte sich Walter besorgt und traurig zugleich. Jem war schon vor zwei Tagen nach Avonlea gebracht worden; und Susan tat so merkwürdig geheimnisvoll, als sie davon sprach, die Zwillinge zu Mrs. Marshall Elliott zu bringen, ‚wenn die Zeit gekommen ist‘. Welche Zeit denn? Tante Mary Maria wirkte auch so bedrückt, und er hatte gehört, wie sie sagte, sie wünschte, es wäre schon alles heil überstanden. Walter konnte sich keinen Reim darauf machen. Auf jeden Fall lag etwas in der Luft in Ingleside.

      „Ich bringe ihn morgen vorbei“, sagte Gilbert jetzt.

      „Unsere Kinder werden sich freuen“, erwiderte Mrs. Parker.

      „Das ist wirklich sehr nett von Ihnen“ bedankte sich Anne und brachte ihren Gast zur Tür.

      „Sehr zuvorkommend von Mrs. Parker, uns Walter abzunehmen“, bemerkte Tante Mary Maria, nachdem die Parkers gegangen waren. „Sie hat mir gesagt, sie fände Gefallen an ihm. Komisch, an was die Leute oft so Gefallen finden. Na ja, vielleicht gelingt es mir wenigstens die kommenden zwei Wochen, ins Badezimmer zu gehen, ohne auf einen toten Fisch zu treten.“ Sie rümpfte die Nase.

      „Ein toter Fisch, igitt! Du meinst doch nicht etwa —“ ekelte sich Anne.

      „O doch, Anne, ich meine immer das, was ich sage! Bist du schon einmal barfuß auf einen toten Fisch getreten?“

      „N – nein… aber wie…“, stotterte Anne überrascht.

      „Walter hat gestern abend eine Forelle gefangen und in die Badewanne gelegt, liebe Frau Doktor“, klärte Susan sie mit bedeutungsvoller Miene auf. „Es wäre ja auch weiter nichts dabei gewesen, wenn sie da drin geblieben wäre, aber irgendwie ist sie entwischt und verendet. Wenn man natürlich barfuß durch die Gegend läuft…“ Sie warf einen bösen Seitenblick auf Tante Mary.

      „Also, ich werde mich hüten, Streit anzufangen“, sagte die, stand auf und verließ das Zimmer.

      „Also, ich werde mich hüten, mich von ihr schikanieren zu lassen“, echote Susan daraufhin.

      „Susan, sie geht mir ja auch ein bißchen auf die Nerven“, gestand Anne, „aber bald ist alles vorbei, und du mußt zugeben, daß es wirklich eklig sein muß, auf einen toten Fisch zu treten…“ Sie gluckste unterdrückt.

      „Aber ein toter Fisch ist immer noch besser als ein lebendiger, Mama, der zappelt wenigstens nicht so unter den Füßen“, bemerkte Di ernsthaft.

      Susan und Anne mußten nun doch kichern, und damit war die Angelegenheit erledigt.

      Am Abend machte sich Anne Gedanken, ob Walter sich in Lowbridge wirklich wohl fühlen würde. „Er ist so ein empfindsames und phantasievolles Kind“, sagte sie nachdenklich zu Gilbert, während sie ihr Haar bürstete.

      „Ja, und wie“, stimmte Gilbert zu, der ziemlich müde war, nachdem er – um Susan zu zitieren – an diesem Tag drei Babys zur Welt gebracht hatte. „Ich finde, er ist viel zu ängstlich. Es wird ihm guttun, wenn er die Parker-Bande ein paar Tage um sich hat. Du wirst sehen, wenn er zurückkommt, ist er wie umgewandelt.“

      Anne schwieg. Wahrscheinlich hatte Gilbert recht. Aber Walter fühlte sich einsam, wenn Jem nicht bei ihm war; andererseits hatte sie noch gut in Erinnerung, wie es nach Shirleys Geburt zugegangen war. Man sollte Susan wirklich nicht überfordern, besonders, wo es auch noch Tante Mary Maria zu ertragen galt, deren zweiwöchiger Besuch sich mittlerweile auf vier Wochen ausgedehnt hatte.

      Walter lag währenddessen wach im

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