ТОП просматриваемых книг сайта:
Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch)
Год выпуска 0
isbn 9788075835543
Автор произведения Franz Werfel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Pastor Aram sprang von seinem Spähersitz hinab. Von allen Seiten schollen die Axthiebe der Holzfäller aus den dunklen Schluchten. Tomasians Vater begann weithin hörbar mit dem Bau in der Stadtmulde. Gabriel Bagradian hatte angesichts der irregeführten Saptiehs der ganzen Mannschaft und Reserve den Tag für die Errichtung der Laubhütten freigegeben. Der Pastor fühlte, daß auch für ihn die Stunde der Tat gekommen war. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Mochte sie hinter seiner höchsten Pflicht zurückbleiben, auch auf diesem minderwertigeren Boden war es nicht leicht, die Prüfung zu bestehen. Der Zweifel und die lähmenden Anwandlungen des Schuldgefühls mußten für immer überwunden werden. Wenn er sich auch nicht als Heiliger des Herrn erwiesen hatte, so konnte er noch immer als Soldat Christi gelten und Tüchtiges leisten. Mit großen Sprüngen legte er den beträchtlichen Weg ins Lager zurück, um keine Minute seiner Pflicht zu versäumen. Dort herrschte ein unbeschreiblicher Arbeitstrubel. Lange Züge von Packeseln nickten vorbei, die mächtige Bürden von Eichen-, Buchenlaub und Nadelzweigen trugen. In Schubkarren wurden schwere Steine für die notwendigen Unterbauten herangerollt. Vater Tomasians Gehilfen maßen mit dem langen Meßband die Straßen aus und steckten den Raum der einzelnen Hütten ab. Schon stand da und dort bereits das schwanke Gerüst einer Wohnstätte. Die Familien wetteiferten miteinander in Geschwindigkeit. Nicht nur die starken Männer und Frauen arbeiteten, sondern auch die Kinder und die Uralten. Der Bau der öffentlichen Gebäude war schon in überraschendem Fortschritt begriffen, der Lazarettschuppen unter Bedros Altounis Aufsicht und der große Speicher. Meister Tomasian aber überwachte das Entstehen der Regierungsbaracke, die ein Werk seines Herzens war. Sie umfaßte einen großen Raum mit zwei Seitenkojen, der, aus Sicherheitsgründen, nach außen durch eine Tür mit einem Schloß versperrbar sein sollte.
Inzwischen richtete auch Juliette ihr Leben auf dem Dreizeltplatz ein. Gabriel hatte sie ausdrücklich gebeten, auf niemand und nichts Rücksicht zu nehmen, auch nicht auf ihn. Alle anderen seien durch Volksangehörigkeit gezwungen, ihr Los zu tragen, wie es falle. Sie aber habe nichts damit zu tun, sie sei ein unschuldiges Opfer und daher berechtigt, jegliche Forderung zu stellen, die nur halbwegs erfüllbar sei. Auch in einer Sitzung des Führerrates hatte Gabriel Bagradian diese Sache zur Sprache gebracht:
»Meine Frau hat auch hier auf dem Damlajik das Recht, ihr eigenes Leben zu leben, gesondert und nach ihrem Belieben. Ehe ist keine Blutsverwandtschaft. Wir anderen alle sind durch das Blut miteinander verbunden und daher auch den Gesetzen unterworfen, die wir uns gegeben haben. Sie aber steht außerhalb dieser Gesetze. Sie ist Französin, eine Fremde, ein Kind glücklicherer Völker, vom Schicksal gezwungen, unser Leiden mitzuleiden. Sie wird folglich die großmütigste Gastfreundschaft unseres Volkes genießen.«
Alle Mitglieder des Führerrates verstanden sofort Bagradians Appell an die Gastfreundschaft: die drei Zelte, die allein Juliette vorbehalten waren, die hochgetürmten Gepäckstücke, die eigene Küche, der unabhängige Haushalt, die Dienerschaft, der abgesonderte Vorrat, die beiden holländischen Kühe (die Awetis der Jüngere angeschafft hatte), all diese Ausnahmsgüter bildeten Vergünstigungen, die dem Volke mundgerecht gemacht werden mußten. Gabriel Bagradian hatte zwar verfügt, daß der größte Teil der Milch an die Kinder des Lagers verteilt werde, ebenso wie alles, was in der Küche entbehrlich sei; dennoch bedeuteten diese Zuwendungen aber lediglich Reste, die die Herrschaft übrigließ. Feinde, oder auch nur Leute, die ihm nicht wohlgesinnt waren, hätten die Reden Bagradians, in denen er die Notwendigkeit der Gemeinwirtschaft verfocht, mit der üppigen Tatsache des Dreizeltplatzes bloß in Vergleich ziehen müssen, um einen peinlichen Widerspruch zwischen Bekenntnis und Lebensführung nachzuweisen. Es konnte zwar nicht geleugnet werden, daß der Befehlshaber nicht im Zelte, sondern in der Stellung schlief, daß er das gleiche Essen bekam wie alle anderen Kämpfer, daß sein Besitztum, das er der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt hatte, einen der größten Anteile ausmachte – ebensowenig aber konnte es geleugnet werden, daß er um Juliettens willen eine große Menge von Köstlichkeiten der Gemeinschaft vorenthielt. In dieser Unstimmigkeit war die Gefahr von Konflikten gelegen. Niemand unter den Führern schien aber jetzt an Ähnliches zu denken.