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Jeremias: Eine dramatische Dichtung in neun Bildern. Стефан Цвейг
Читать онлайн.Название Jeremias: Eine dramatische Dichtung in neun Bildern
Год выпуска 0
isbn 4064066116149
Автор произведения Стефан Цвейг
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
DIE MUTTER:
So weichest du? Aber höre vordem noch, Jeremias, höre, eh du auftust die Lippe vor dem Volke: Ich fluche aus meiner Seele Kraft dem, der Schrecknis wirft über Israel, ich fluche ...
JEREMIAS (schauernd):
Nicht fluche, Mutter, nicht fluche!
DIE MUTTER:
Ich fluche dem, der Sturz sagt den Mauern und Wüstung den Gassen, ich fluche dem, der Tod schreit über Israel. Möge sein Leib in Feuer fallen und seine Seele in des lebendigen Gottes Faust.
JEREMIAS:
Nicht Fluch sprich ... Mutter ... vielleicht stößt Er mich unter ihn ...
DIE MUTTER:
Ich fluche dem Zweifler, der mehr vertrauet den Träumen denn Gottes Barmherzigkeit! Ich verfluche, ich verfluche den Leugner Gottes und wäre es mein Kind! Zum letztenmal, Jeremias ... wähle!
JEREMIAS:
Ich ... geh ... meinen Weg ... (Er beginnt mit schwerem Schritt zur Treppe zu treten.)
DIE MUTTER:
Jeremias ... mein einzig Kind bist du und meines Alters Trost ... entweiche meinem Fluch ... denn Gott wird ihn erhören, wie er erhörte mein Gelöbnis.
JEREMIAS:
Auch ich bin ihm gelobet, Mutter, auch mich hat er erhöret. Lebe wohl! (Er schreitet die erste Stufe hinab.)
DIE MUTTER (aufschreiend):
Jeremias! Über mich geht dein Schritt! Du zertrittst mir das Herz!
JEREMIAS:
Ich weiß die Straße nicht, die ich schreite ... ich fühl die Steine nicht, die ich trete ... ich fühl einen Ruf nur ... einen Ruf, der mich rufet ... und ich folge dem Ruf ...
(Er steigt langsam die Stufen nieder, das Antlitz ernst und verhalten, die Augen starr in den Himmel.)
DIE MUTTER (zur Treppe hinstürzend, in Verzweiflung):
Jeremias!... Jeremias!... Jeremias!...
(Keine Antwort. Der Schrei verhallt zur Klage und schwingt allmählich ganz ins Schweigen zurück. Einsam steht die einstürzende Gestalt der Mutter vor dem hohen Himmel, über den sich tragische Morgenröte wie ein Schein von Feuer und Blut mählich zu verbreiten beginnt.)
DAS ZWEITE BILD
DIE WARNUNG
„Die Profeten, die vor mir gewesen sind von alters her, haben wider viel Länder geweissaget von Krieg, von Unglück und Pestilenz;
wenn aber ein Profet von Frieden weissagt, den wird man kennen, ob ihn der Herr wahrhaftig gesandt hat, wenn sein Wort erfüllet wird.“
Jer. XVIII, 8/9.
Der große Platz von Jerusalem, der mit vielen Stufen aufsteigend in den Säulenvorhof der Burg von Zion führt, rechts zum königlichen Palaste und mittseits zum anschließenden Tempel. Auf der andern Seite ist der geräumige Platz von Häusern und Gassen begrenzt, die nieder und gebückt scheinen gegen den hochragenden Bau. Die Eingänge in den Palast sind umschmückt von Girlanden und prächtigem Zedergetäfel; in breite, kunstvolle Brunnenschalen des Vorhofs fließt Wasser nieder, rückwärts glänzt dunkel das erzgetriebene Tor des Tempels.
Vor der Säulenhalle des Palastes, auf der Straße und die Stufen empor wirr durcheinandergedrängt das Volk von Jerusalem, eine farbige, erregte Masse von Männern, Frauen und Kindern, die von einhelliger Erwartung bewegt sind. Die Menge hat viele Stimmen, die in den Augenblicken des Geschehens oft in einen einzigen Schrei zusammenfließen, sonst sich aber erregt widerstreiten. Im gegenwärtigen Augenblicke sind alle in die Richtung der Gassen gewandt und drängen sich in erwartender Unruhe.
STIMMEN:
Der Wächter hat schon gerufen vom Turm ... nein, noch nicht ... doch, ich habe das Horn gehört ... ich auch ... ich auch ... sie müssen nahe sein ... von wo kommen sie ... werden wir sie sehen ...
ANDERE STIMMEN:
Vom Tore Moria kommen sie ... hier müssen sie vorbei ... sie gehen zum Palast ... laßt die Gasse frei, ... ja ... ja ... wir wollen sie sehen ... weicht zurück ... macht Raum ... Raum für die Ägypter ...
EINE STIMME:
Aber ist es gewiß auch, daß sie kommen?
EINE ANDERE STIMME:
Den Boten sprach ich, der ihnen vorausgeeilt.
STIMMEN:
Er hat den Boten gesprochen ... erzähle ... wie viele sind ihrer ... bringen sie Geschenke ... wer ist ihr Führer ... was bringen sie ... erzähle, Isaschar!
(EINE GRUPPE bildet sich um den Mann Isaschar.)
ISASCHAR:
Ich vermag nur zu berichten, was der Bote, mein Schwäher, mir gesagt. Die ersten Krieger Ägyptens sind es, die Pharao uns sandte, und Sklaven sind viele mit ihnen, die Geschenke bringen auf Sänften und Tragen. Seit Salomos Tagen ward nichts ihresgleichen gen Zion gebracht.
STIMMEN:
Es lebe Pharao ... Ruhm seiner Herrschaft ... Heil Ägypten!
EINE STIMME:
Sie sagen, auch eine Tochter Pharaos reise mit ihnen, daß sie Zedekia vermählt werde. Ist es wahr, Isaschar?
ISASCHAR:
Es ist wahr. Eine Tochter Pharaos geleiten sie. Die Schönste ist sie seiner Töchter, und er hat sie Zedekia gewählt.
STIMMEN:
Ruhm Pharao ... Heil Zedekia ... werden wir sie schauen ... Heil Ägypten!...
EIN ALTER MANN:
Unheil kam von je über Israel von den fremden Weibern der Könige ...
STIMMEN:
Ja, sie wenden den Sinn der Gerechten ... fort mit ihnen ... was schmähst du Ägypten ... ja, was wollen, sie ... was bedeutet die Sendung ... seit wann ist Freundschaft zwischen Ägypten und Israel ... was wollen sie?
EINE STIMME:
Ein Bündnis bietet Pharao Necho wider Nabukadnezar, ich weiß es von Abimelech.
STIMMEN:
Heil Abimelech, unser Führer ... kein Bündnis ... kein Bündnis mit Ägypten ... kein Bündnis mit Mizraim ... wider wen ist das Bündnis ...
ISASCHAR:
Warum kein Bündnis mit ihnen? Mächtig sind sie, und vereint wären wir stark wider unsern Unterdrücker. Zehntausend Sichelwagen vermag Pharao Necho ins Blachfeld zu stellen, und seine Bogenschützen und Reiter sind ohne Zahl. Er will aufstehen wider Assur, unsern Peiniger, und sie begehren unseres Beistands.
DER ALTE:
Kein Bündnis mit Ägypten! Unser Kampf ist nicht der ihre!
ISASCHAR:
Unsere Not ist die ihre, sie wollen nicht Knechte sein der Chaldäer!
STIMMEN:
Wir auch nicht ... wir auch nicht ... nieder mit Assur ... zerbrechen wir das Joch ... hüten wir uns ...
BARUCH (ein Jüngling, ekstatisch):
In Ketten gehen unsere Tage und mit güldenen Schäkeln unsere Boten allneumonds gen Babel. Wie lange wollen wir es dulden noch?
SEBULON (der Vater Baruchs):
Schweige