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der Professor. »Aber wann? Schon sehr lange? Haben wir noch Zeit? Kriegen wir ihn noch?«

      »Jawohl«, antwortete der neue Führer. »Ich hab schon alles so eingerichtet. Er wird noch in Calais sein, wenn wir ankommen.«

      »Ja, aber wenn wir ihn nun in Calais kriegen?« sprach der Professor, »was werden wir dann tun?«

      Bei dieser Frage geriet der Dr. Bull zum erstenmal aus seiner Contenance. Er dachte ein kleines nach und sagte dann:

      »Rein theoretisch – möchte ich vorschlagen – müßten wir die Polizei rufen.«

      »Aber ich nicht«, sprach Syme. »In Praktizierung solcher Theorie wär der erste, der aufgeschmissen wäre – ich. Ich versprach einem armen Burschen, einem wirklichen modernen Pessimisten, auf mein Ehrenwort, daß ich nichts der Polizei sage. Ich bin zwar kein Kasuistiker, aber einem modernen Pessimisten breche ich mein Wort auf keinen Fall. Das wär, als ob ich einem kleinen Kinde mein Wort bräche.«

      »Ich sitze in derselben Tinte«, sprach der Professor. »Ich versuchte es schon der Polizei anzuzeigen, aber ich konnte es nicht … mich bedrückt nämlich ein zu blödsinniger Eid. Sie sollen wissen, daß ich, als ich noch Schauspieler war, durch die Bank ein Luder war. Ein Meineid, ein Hochverrat – das ist das einzige Verbrechen, das ich noch nicht begangen habe. Wenn, – dann soll ich den Unterschied zwischen Recht und Unrecht nicht mehr kennen!«

      »Ich bin mit all solchem fertig«, sprach Dr. Bull. »Und ich habe mich entschlossen. Ich gab mein Versprechen dem Sekretär – Sie kennen ihn. Dem Mann, der die eine Wange hinauf-und die andere hinablacht. Liebe Freunde, dieser Mann ist der unglücklichste Mensch, den die Erde je getragen. Mags von wegen seiner schlechten Verdauung sein oder von wegen seinem Gewissen, sei’s, daß es seine Nerven sind oder seine Philosophie des Universums – er ist auf jeden Fall verdammt und hat die Hölle schon auf Erden! Und also – also kann ich mich nicht gegen einen solchen Mann wenden und ihn zu Tode hetzen. Das war gleichbedeutend mit – mit dem Aussatz geschlagen werden. Das mag verrückt von mir sein, aber so fühl ichs nun einmal. Punktum. Streusand drauf.«

      »Ich würde mir das. nicht erlauben und Sie deswegen für verrückt halten«, sprach Syme. »Ich wußte übrigens, daß Sie sich so entscheiden würden, wenn Sie erst – –«

      »Hm?« sprach Dr. Bull.

      »Wenn Sie erst mal Ihr Brillenzeug abgelegt haben würden.«

      Dr. Bull lächelte ein wenig und schlenderte dann quer über Deck – die See im Sonnenlicht zu betrachten. Dann kehrte er um und kam wieder zurück, nicht das mindeste auf seine Stiefelabsätze acht habend … und ein einträchtiglich gesellig Schweigen überfiel die drei Herren.

      »Tjaja«, sprach Syme, »es scheint, wir sind alle drei von derselben Moral oder Unmoral. So haben wir – zu dritt – auch ein besseres Einsehen in die Tatsache, die daraus resultiert.«

      »Jawohl«, stimmte der Professor bei, »Sie haben absolut recht. Und wir müssen schnell – schnell machen. Ich seh Frankreich schon die graue Nase in die Luft recken.«

      »Die Tatsache, die daraus resultiert«, sprach Syme aufs ernsthafteste, »die ist, daß wir drei allein auf diesem Planeten sind. Gogol ist fort, Gott weiß wohin … vielleicht hat ihn der Präsident zerkrümelt – wie ‘ne Fliege. Im Rat, da waren wir drei gegen drei, wie jene Römer, die die Brücke hielten. Aber wir sind am schlimmeren dran, weil die andern, erstens einmal, ihre Organisation zu Hilfe rufen können – was wir mit der unserigen nicht tun können – und zweitens einmal, weil – –«

      »Weil einer von jenen drei andern«, sprach der Professor, »kein – Mensch ist.«

      Syme nickte und schwieg für eine Sekunde oder zwei. Dann sprach er:

      »Meine Idee ist diese … Hören Sie .. Wir müssen etwas tun, daß wir den Marquis bis morgen mittag in Calais festhalten. Ich hab schon an die zwanzig Möglichkeiten erwogen. Wir können ihn nicht als Dynamithelden anzeigen, das ist nu mal klar! Wir können ihn nicht einer trivialeren Sache wegen in Haft setzen, denn dazu müßtem wir ihn verklagen, und zum Verklagen müßten wir vor Gericht erscheinen; er kennt uns – und er würde Lunte riechen! Wir können ihn auch nicht in anarchistischen Angelegenheiten zurückhalten wollen; von derartigen Ausreden würde er ja manche fressen, nur nicht diese blödsinnige, daß wir in Calais bleiben müssen, während der Zar wohlbehalten durch Paris gondelt. Wir könnten versuchen, ihn zu stehlen und ihn wo gefangen verstecken; aber er ist zu gut bekannt hier. Er besitzt eine reine Leibwache von Freunden; aber er ist sehr stark und er ist sehr tapfer, und das Ende davon wäre nicht mit Sicherheit vorauszusagen. Das einzige, von dem ich einsehe, daß es zu machen ist – wäre dieses: aus hervorragenden Eigenschaften des Marquis Vorteile zu ziehen. Ich werde mir die Tatsache zunutze machen, daß er ein höchst angesehener Edelmann ist. Ich werde mir die Tatsache zunutze machen, daß er viele Freunde hat und in der besten Gesellschaft verkehrt …«

      »Was zum Teufel quasseln Sie da?« fragte der Professor.

      »Wir Symes – wir sind zum erstenmal im vierzehnten Jahrhundert genannt«, sprach Syme.

      »Aber das ist Tradition, daß einer von uns hinter Bruce ritt zu Bannockburn. Seit 1350 ist der Stammbaum ganz rein.«

      »Der ist übergeschnappt«, sprach der kleine Doktor verwundert.

      »Unsere Wappen«, fuhr Syme mit größter Gemütsrohe fort, »sind allemal Silber mit roten Sparren mit drei gekreuzten Kreuzchen im Feld. Das Motto variiert.«

      Der Professor packte Syme grob am Kragen an. »Wir sind sofort an Land«, sagte er, »sind Sie seekrank oder machen Sie faule Witze am unrechten Platz?«

      »Meine Bemerkungen sind schier peinlich praktisch«, antwortete Syme gemächlich. »Das Haus St. Eustache ist ebenfalls sehr, sehr alt. Der Herr Marquis können nicht leugnen, daß er ein Gentleman sind. Er können aber auch nicht leugnen, daß ich ein Gentleman bin. Und um ihn über meine gesellschaftliche Stellung nicht im geringsten Zweifel zu lassen, bin ich dafür, ihm bei der erstbesten Gelegenheit den Hut vom Kopfe zu wischen. Aber da sind wir im Hafen.«

      Sie gingen an Land. Wie betäubt von der prallen Sonne. Syme, der jetzund die Führung übernahm, so wie sie Bull in London innegehabt, lotste sie durch etwas wie eine Strandpromenade, bis sie an einigen Kaffeehäusern anlangten, die ganz unter lauter Grün versteckt waren und auf das Meer hinaussahen. Er ging vor ihnen einher – renommierend und seinen Stock schwingend wie ein Schwert. Er steuerte augenscheinlich auf das entgegengesetzte Ende dieser Kaffeehäuserallee zu – als er mit einem Male mit einem Ruck stehen blieb … Die beiden andern mit einer einzigen Geste schweigen hieß – und mit einem behandschuhten Finger nach einem Kaffeetisch unter einer Wolke blühenden Laubes hindeutete … an dem der Marquis de St. Eustache saß … mit blitzenden Zähnen hervor aus seinem dichten schwarzen Bart, das kühne, braune Gesicht überschattet von einem hellgelben Strohhut und wirkungsvoll gegen die violette See aufgestellt …

      Das zehnte Kapitel.

       Das Duell

       Inhaltsverzeichnis

      Syme nahm an einem Kaffeetisch mit seinen Gefährten Platz. Seine blauen Augen funkelten wie die lichte See da unten. Und er bestellte eine Flasche Saumur mit einer frohen Ungeduld. Er befand sich mit einigem Grund in einer solchen seltsam heiteren Gemütsverfassung. Sein Genius schwebte schon unnatürlich hoch, und stieg immer noch höher – genau in dem Maße, in dem der Saumur in der Flasche sank; und binnen einer halben Stunde war seine Rede ein reißender Strom des Unsinns. Er erklärte, er arbeite soeben einen vollständigen Plan aus von der Unterhaltung, die zwischen ihm und dem fürchterlichen Marquis vor sich gehen sollte. Und er brachte sie hastend mit einem Bleistift zu Papier. Und sie war arrangiert – wie ein gedruckter Katechismus, mit Frage und Antwort; und da haspelte er sie auch schon laut herunter.

      »Ich komme also auf ihn zu. Eh er noch seinen Hut zieht, hab ich

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