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ging der Richter von Fenster zu Fenster des Erdgeschosses und zog einen zusammenlegbaren Maßstab aus der Tasche, mit welchem er die Sprossenentfernung im Gitter maß.

      Staunend sagte Amareller. „Mit Verlaub, Herr Richter, durch selle Gitter wird decht keiner durchschlupfen können!“

      „Du schweigst, bis du wieder gefragt wirst!“ erwiderte der Richter, namens Ehrenstraßer und prüfte dann die Vergitterung auf etwaige Konstruktionsfehler, worauf der Befehl erfolgte, es sollen sich alle Anwesenden in den Flur des Hauses begeben. Nun widmete der Richter seine ganze Aufmerksamkeit dem Boden rings um das Gehöfte, und suchte nach Spuren und Fußabdrücken. Um das Haus ist der Boden kiesig, fest, nichts zu finden. Doch schon in geringer Entfernung wird der Boden, entsprechend dem bezeichnenden Gehöftnamen (Hemmern = Nißwurz, moos-sumpfiger Grund) weich, und der Richter hatte nicht lange zu suchen, da stieß er auch schon auf Abdrücke von Schuhen im moosigen Boden, eine Fährte von überraschenden Eigenschaften. Einmal finden sich die Abdrücke stark nach auswärts gerichtet, wodurch der Richter kombinierte, daß der Erzeuger dieser Fährte Plattfüße habe. Die nächste Prüfung der Fährte warf aber die Vermutung, daß sie vom Diebe herrühren könnte, über den Haufen, denn die Fährte geht gemäß den Abdrücken im weichen Boden auf das Haus zu, nicht von demselben weg.

      Der Richter wurde von diesem Faktum einigermaßen überrascht und ging der Fährte entgegen, weiter in den Moorboden hinein, bis sie sich auf den zur Sicherung der Passanten gelegten Pfadbrettern verlor.

      Ist diese Fährte nun die zum Hause führende, so muß jene, welche vom Hause wegzieht, gefunden werden. Mit der größten Sorgfalt und Gründlichkeit suchte der Richter nach der Weggangsspur, er mühte sich ab, und verwendete alle seine Amtserfahrung für diese Suche, doch vermochte er nicht einen vom Hause führenden Fußabdruck zu finden. So kehrte Ehrenstraßer denn zur zuführenden Spur zurück, und hob mehrere Abdrücke mit charakteristischen Nägeleindrücken aus dem Boden aus, um sie mit größter Sorgfalt zwischen mitgeführten Pappendeckeln zu verwahren, und eingebunden der Feldtasche einzuverleiben, die der Untersuchungsrichter ähnlich wie die Offiziere solche umgehängt tragen, an der linken Hüftenseite trägt.

      Nun wurde der Protokollführer gerufen und demselben alles Einschlägige über die gemachten Wahrnehmungen diktiert. Zur größten Verwunderung der Bauern ließ sie der Richter nun einzeln vor das Haus treten, wobei Ehrenstraßer scharf auf die Formation der Füße achtete. Nicht einer von den Leuten, auch nicht vom Gesinde, hat Plattfüße.

      Der Richter schickte die überflüssig gewordenen Nachbarn nach Hause und nahm nun die Dienstboten einzeln vor, welche nach der Meinung des Amareller verdächtig sein müssen, weil die Fenstergitter unbeschädigt geblieben sind.

      Gleich dem ersten Knecht maß der Richter mit dem Zollstab das Querdurchmaß des Kopfes, das zur Hälfte der Mund des grenzenlos Überraschten betrug.

      „Abtreten! Der nächste vor!“ lautete der Befehl. Ein schmächtig gebauter junger Bursche trat heran, der nun den rechten Arm über den Kopf emporstrecken mußte. Rasch wurde nun dem Burschen der Kopf nebst dem emporgestreckten Arme in der Quere gemessen, und das Resultat machte den Richter stutzig, denn es betrug der Kopfdurchmesser inklusive Arm genau 14 cm und dieselbe Distanz weisen die Sprossenentfernungen auf. Für den Untersuchungsrichter ist dadurch klargelegt, daß dieser Bursche durch die Gittersprossendistanz durchschlüpfen kann und daß das Gitter mit 14 cm Sprossenentfernung kein Hindernis für ein Eindringen von außen bildet. Ist der Bursche daher der Dieb, so brauchte er nicht von außen einzusteigen.

      Eine Kopfmessung der übrigen erachtete der Richter zwecklos, nachdem die Gittersprossenentfernung die Möglichkeit eines Eindringens von außen gewährleistet. Die Untersuchung wurde nun auf das Haus im Innern und die Truhe ausgedehnt.

      Viel bot der Lokalaugenschein nicht. Der Richter fand, daß die Truhe wie ein Koffer geöffnet werden konnte, wenn man den Deckel aufschlug. Rostig und alt war das Schloß; kaum geeignet, einen besonderen Widerstand zu leisten; ebenso alt und morsch war das Truhenholz. Ehrenstraßer besah sich die Stelle genau, wo der unbekannte Dieb mit einem Instrument eingesetzt haben mußte, um den Deckel aufzusprengen. Deutlich ist zu sehen, daß ein Stemmeisen knapp neben dem Schlosse zwischen dem obersten Rand der Vorderwand und dem Deckel eingeführt wurde, das Holz zeigt den betreffenden Abdruck des Werkzeuges und läßt erkennen, daß auf das Heft des Werkzeuges ein Druck nach unten ausgeübt worden sein mußte. Das Eisen hat also gleichzeitig in die Vorderwand der Truhe hinunter, mit dem Schneidende aber auch hinauf auf den Innenteil des Truhendeckels gedrückt und sohin die Öffnung des Deckels erzielt.

      Diese Wahrnehmung ergänzte eine weitere Nachforschung, welche ergab, daß um das Mal, welches das Eisen in das Brett drückte, das Holz sehr stark im Gefüge war. Der Eindruck läßt erkennen, daß das Eisen vorne schmäler gewesen sein muß.

      Sorgfältig prüfte der Untersuchungsrichter nun auch die Innenseite des aufgesprengten Deckels und fand, daß an der Wirkungsstelle, wo das Eisenende den Druck ausübte, eine Figuration vorhanden ist, die zackig nach abwärts läuft. Sofort kombinierte der Richter, daß das Werkzeug kein normales Stemmeisen gewesen sein könne, eher eine Art Schraubenzieher, dessen eine Ecke an der Schneide abgebrochen sein mußte. Dieses Eckenteilchen war aber nicht zu finden, so sehr sich Ehrenstraßer auch abmühte. Nun wurden die Entfernungen der Druckstellen gemessen und die Resultate dem Protokollführer diktiert. Ohne das Instrument selbst zu haben, ist zu konstatieren, daß die Schneide jetzt 38 mm breit ist, daß sie vor dem Abbrechen der Ecke 41 mm breit war und daß das Stemmeisen 94 mm von der Schneide gegen das Heft hin gemessen, eine Breite von 54 mm haben mußte.

      Weitere Erfolge konnten nicht erzielt werden. Gleichwohl nahm der gewissenhafte Richter nun noch die Verhöre der Dienstboten vor und zwar wurde zunächst die Küchenmagd Gretl, eine kräftige junge Person, citiert, die zitternd in der Verhörstube erschien.

      Ehrenstraßer richtete die üblichen Vorfragen an die Person in hochdeutscher Sprache, bekam aber keine Antwort, daher er die Fragen im Dialekt wiederholte. Jetzt verstand ihn die Magd und gab ihr Nationale an.

      „Hast du in der vergangenen Nacht etwas Besonderes wahrgenommen?“ frug der Richter.

      Die Magd wechselte die Farbe, ward bleich, dann wieder rot, ein Beben lief durch den ganzen Körper, eine unverkennbare Angst war vom Gesicht abzulesen. Stotternd beteuerte Gretl: „Ich hab' ganz gewiß nichts g'stohlen!“

      „Das glaub' ich ja auch! Aber du mußt mir schon sagen, was du in dieser Nacht beobachtet hast. Ischt jemand eingestiegen?“

      „Sall woaß ich nuit!“

      „Ischt jemand an deiner Thür' vorbei?“

      „Sall schon!“

      „Und was ischt dann geschehen?“

      „Ich kann's nicht sagen, ich hab' zu fest g'schlafen und bin erst wach worden, wie's vorbei war!“

      „Was war vorbei?“

      Zögernd und in großer Scheu gestand die Dirn, daß sie beim Erwachen einen Strohkranz um den Kopf hatte.

      „Hast du einen Burschen in der letzten Zeit abgewiesen?“

      Gretl nickte.

      „Welcher Bursch' war das?“

      „Der Seppel, seller, der heute von Enk gemessen worden ischt mit'm Kopf und Arm!“

      „Also ischt jener Seppl dir aufsässig, er verfolgt dich?“

      „Ja, sall ischt schon so!“

      „Liegst du allein in der Schlafkammer?“

      „Es liegt noch die Stalldirn drinnen in der Nacht!“

      „Und diese hat auch nichts gehört?“

      „Nein!“

      „Hast nichts gefunden, was der Seppl in der Schlafkammer zurückgelassen hat?“

      „Decht wohl! Ein rotes Tüchel hat er vergessen!“

      Jetzt wußte

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