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Monika Farber kurze Zeit später heimkam, erwartete ihr Mann sie bereits. Sie beachtete ihn nicht, brachte Paul ins Bett und blieb noch bei ihm, bis er eingeschlafen war. Als sie dann das Kinderzimmer verließ, bat Christian sie versöhnlich: »Sei mir nicht böse, Moni, ich hatte einen schlimmen Tag in der Bank. Der Dirlinger hat mich auf dem Kieker, der will mich loswerden. Und keiner steht mir bei.«

      Sie warf ihm nur einen vielsagenden Blick zu und ging dann hinüber ins Schlafzimmer. Er folgte ihr und fragte: »Interessiert dich das denn gar nicht? Immerhin betrifft es dich ja auch, wenn ich meine Stelle verliere.«

      »Ich glaube, das hast du dir selbst zuzuschreiben«, erwiderte sie kühl. »Daß man sich keine Freunde macht, wenn man sich so wie du benimmt, ist doch wohl klar. Aber es ist noch lange kein Grund, die Kinder zu schlagen.«

      »Mir ist nur die Hand ausgerutscht, ich...«

      »Der Doktor hat nach Pauls alten Wunden gefragt. Ich glaube, er ahnt was.«

      »Und du hast ihm natürlich gleich auf die Nase gebunden, was ich für ein brutaler Kerl bin, was? Hätte ich mir ja denken können, daß du mir in den Rücken fällst«, giftete er.

      »Ich habe nichts gesagt, weil... Ach, das ist ja sowieso egal. Vielleicht hätte ich Doktor Brinkmeier aber die Wahrheit sagen sollen, vielleicht hätte ich dich anzeigen sollen.«

      »Das kannst du nicht machen! Außerdem geht es keinen was an.«

      »Ach ja? Das glaubst auch nur du. Kindesmißhandlung ist eine Straftat. Und diesmal bist du wirklich zu weit gegangen, Christian. Siehst du denn nicht ein, daß man so nicht leben kann? Du brauchst unbedingt Hilfe!«

      »Hilfe? Was meinst du? Willst du mir vielleicht wieder einreden, ich wäre verrückt? Damit wirst du kein Glück haben. Ich weiß es nämlich besser. Du gehst nur darauf aus, mich los zu werden, um mit Ben zu leben. Stimmt’s? Na los, gib es zu!«

      Sie schaute in sein zorniges Gesicht und verspürte nur noch Widerwillen. »Wenn ich deinen Bruder lieb hätte, dann wäre ich seine Frau geworden und nicht deine. Außerdem steht das gar nicht zur Debatte. Du machst uns allen das Leben zur Hölle, Christian. So kann es auf die Dauer nicht weitergehen. Und wenn du ein Gewissen hast und nur einmal nicht an dich denkst, sondern an uns, dann gehst du in Behandlung, bevor es zu spät ist. Bevor du etwas tust, das man nicht mehr ändern kann.«

      »Ich habe mich im Griff«, behauptete er da und verließ das Schlafzimmer. Die Tür knallte hinter ihm ins Schloß. Monika legte sich ins Bett, schlafen konnte sie aber nicht. All die schweren Sorgen und Probleme, die ihr so sehr zu schaffen machten, verhinderten, daß sie etwas Ruhe fand...

      Am nächsten Morgen verließ Christian mürrisch und wortkarg das Haus. Birgit ging gerade zur Bushaltestelle, als Max Brinkmeier das Haus der Farbers ansteuerte. Der kleine Paul saß noch am Frühstückstisch. Monika war sehr überrascht, den Arzt zu sehen. Als er sie freundlich grüßte, erklärte sie verlegen: »Es tut mir leid, daß ich gestern abend so ablehnend war. Aber ich habe mir große Sorgen um Paul gemacht und war ziemlich aufgeregt. Außerdem war das, was Sie da angedeutet haben, schockierend für mich. Ich möchte nicht, daß Sie uns für asozial halten.«

      »Das tue ich ganz bestimmt nicht«, versicherte der junge Landarzt begütigend. Er untersuchte seinen kleinen Patienten, der unbedingt zur Schule wollte.

      »Du darfst gehen, aus medizinischer Sicht spricht nichts dagegen«, ließ er Paul wissen. »Gehst du denn so gerne zur Schule, daß du keinen Tag versäumen willst?«

      »Eigentlich nicht. Aber ich bin auch nicht gern daheim«, kam es zögernd von den Jungen. »Jetzt muß ich mich beeilen!« Weg war er. Max Brinkmeier warf der jungen Frau einen etwas irritierten Blick zu, diese senkte die Lider und murmelte: »Trinken Sie doch noch einen Kaffee mit mir, bevor Sie gehen, Herr Doktor.«

      Da sagte Max nicht nein. Sie unterhielten sich noch eine Weile über Belangloses, der sensible Arzt hatte das deutliche Gefühl, daß Monika Farber ihm noch etwas anvertrauen wollte. Doch sie schien sich einfach nicht zu trauen. Als Max Brinkmeier sich schließlich verabschiedete, begegnete ihm Benjamin Farber vor dem Haus. Die beiden begrüßten sich per Handschlag; Benjamin war früher mit Lukas in einer Klasse gewesen, daher kannte auch Max ihn. Er merkte, daß der Bauer, der den elterlichen Hof vor ein paar Jahren übernommen hatte, sehr bedrückt wirkte. Und sein Eindruck schien ihn nicht zu täuschen, denn Benjamin fragte gleich: »Was machst du hier, Max? Es wird doch nix Schlimmes passiert sein? Hat der Christian wieder Mist gebaut?«

      »Wie kommst darauf? Dein kleiner Neffe ist gestern auf d’ Nacht die Kellertreppe runtergefallen. Die Monika war bei mir in der Praxis. Und ich hab heut morgen nur kurz nach dem Paul geschaut.« Er wunderte sich, als der Bauer knurrte: »Wer’s glaubt, wird selig. Ich werde mir den Christian später mal zur Brust nehmen. So kann es doch net weitergehen!«

      »Was meinst? Stimmt drüben was net?«

      Benjamin zögerte kurz, dann erklärte er: »Mein Bruder ist ein arg unbeherrschter Mensch, dem auch schon mal die Hand ausrutscht, wenns’t verstehst, was ich meine. Ich seh mir das jetzt schon eine Weile an. Und ich kann nicht behaupten, daß es mir leichtfällt, mich nicht einzumischen. Die Monika hält trotz allem zu ihm, sie hat wirklich ein goldenes Herz. Aber die Kinder tun mir leid, die haben viel auszuhalten.«

      »Soll das heißen, dein Bruder schlägt seine Kinder? Wenn das wirklich stimmt, dann können wir nicht schweigen, Ben. Dem muß ein Ende gemacht werden«, rief der Landarzt energisch. »Die schlimmsten Verbrechen passieren in der eigenen Familie. Und viele hätten verhindert werden können, wenn nicht einfach alle weggesehen hätten, verstehst?«

      »Ich kann dir nix Konkretes sagen. Ich weiß nur, daß mein Bruder seine schlechte Laune an seiner Familie ausläßt. Aber wenn er die Kinder wirklich schlägt, dann werde ich net schweigen. Ich rede heut abend mit dem Christian.«

      Dr. Brinkmeier gab sich damit zufrieden, mehr konnte er momentan wohl nicht tun. Er hatte leider keine konkreten Beweise, um aktiv zu werden. Doch er war fest entschlossen, Christian Farber das Handwerk zu legen, falls dieser seine Kinder tatsächlich mißhandelte...

      Wenig später fuhr Max zum Kinderheim, um nach der kleinen Melanie zu sehen. Anna Stadler begleitete ihn wieder. Das Kind freute sich, die Erwachsenen zu sehen, es gab sich ihnen gegenüber sehr zutraulich. Aber als Anna versuchte, etwas mehr über den »Bösbären« zu erfahren, schaltete das Kind auf stur. Die neue Freundschaft mit der netten Apothekerin schien noch nicht so schwer zu wiegen wie Melanies Angst vor ihrer Peinigerin.

      »Ich glaube, Melanie wird mir bald alles sagen. Wir müssen nur noch ein wenig Geduld haben«, meinte Anna auf der Heimfahrt aber optimistisch. »Das Kind ist sehr allein, es braucht eine Bezugsperson. Und die Rolle würde ich gerne übernehmen.«

      Max nickte nur, sagte aber nichts. Er schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein. Als Anna ihn danach fragte, ließ er sie zögernd wissen: »Der Fall Farber geht mir nicht aus dem Kopf. Ich war heute schon bei den Leuten und habe mich um Paul gekümmert. Frau Farber sorgt sich sehr um ihre Kinder. Und ich hatte auch das Gefühl, daß sie mir etwas sagen wollte. Aber dann hat sie doch geschwiegen. Wohl aus Angst oder Scham...«

      »Du denkst also, der Junge hatte keinen normalen Unfall?«

      »Es spricht zuviel dagegen. Seine Mutter ist sehr darauf bedacht, keinen schlechten Eindruck zu machen. Sie scheint etwas verbergen zu wollen. Dann die alten Wunden, die auf massive Mißhandlungen hinweisen. Und nicht zuletzt das, was Ben Farber mir gesagt hat...«

      »Du hast mit ihm gesprochen?«

      »Ja, es war eher ein Zufall. Wir sind uns vor dem Haus über den Weg gelaufen. Ich kenne ihn von früher, er war mit Lukas in der gleichen Klasse. Er sagte, sein Bruder sei sehr jähzornig und würde seinen Frust an der Familie auslassen.«

      Anna Stadler nickte. »Ja, das paßt zu dem Bild, das ich mir von ihm gemacht habe. Deshalb traut Monika sich ja auch nichts mehr. Sie hat ständig Angst, es könnte Streit geben. Ich dachte, das ist ein bißchen übertrieben. Aber offenbar doch nicht...«

      »Die Frau tut mir leid. Und

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