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hatte nach dem Mittagsmahl darauf verzichtet, dem Gefangenen wieder einen Knebel zwischen die Lippen zu schieben

      Seit Stunden ritten sie stumm nebeneinander her.

      Immer häufiger flogen die Blicke des Banditen zu dem anderen hinüber. Endlich knurrte er: »Sie sind verdammt langweilig, Marshal!«

      Wyatts Gesicht blieb unbewegt. Er blickte unter halbgesenkten dunklen Wimpern nach vorn.

      Donegan fühlte, wie die stoische Gelassenheit des anderen an seinen Nerven zerrte. Wenn er die Hände frei gehabt hätte, würde er dem Mann an den Hals gefahren sein.

      »Haben Sie Brüder?«

      »Yeah«, gab Wyatt halblaut zur Antwort.

      Donegan kicherte gehässig. »Die ärmsten hatten bestimmt nichts zu lachen mit so einer Salzsäule von Bruder.«

      »Was geht Sie das an?« gab Wyatt trocken zurück.

      Wieder war es still.

      Zwei weitere Stunden.

      Plötzlich bellte der Bandit: »Ich habe es satt, Earp! Dieser Trott widert mich an. Das ist ja schlimmer als der Tod! Hängen Sie mich doch lieber gleich auf. Da drüben! Da, sehen Sie den kahlen Baum? Er steht leider nicht auf einem Hügel, aber wozu auch. Hier gibt’s ohnehin keine Zuschauer. Da unten ist ein trockener Ast. Ungefähr sieben Yards über dem Boden. Genau nach Maß. Knüpfen Sie mich da auf.«

      Wyatt blickte nicht zu dem Baum hinüber.

      »Los!« brüllte Donegan mit einem tierischen Schrei. »Sie sollen mich da aufhängen! Ich bin diesen Trail leid! Hängen Sie mich in Dreiteufelsnamen auf, Sie Kanibale!«

      »Vorwärts, es geht weiter!« befahl der Marshal.

      »Nein, Earp. Ohne mich! Es ist einerlei, wo ich sterbe. Ich bleibe hier. Ich sterbe in Kansas. In meinem Kansas…«

      Wyatt zog die Brauen zusammen. »Lassen Sie die Sentimentalitäten, Donegan. Ich bringe Sie nach Sheridan.«

      »Nein, das tust du nicht, Hya! Ho! Hya!« Wild flogen die Hacken des Mörders in die Flanken des Fuchses. Das Tier stieg steil hoch und schoß vorwärts.

      Jack Donegan wurde aus dem Sattel geschleudert.

      Der Fuchs schnellte in wilden Sätzen davon.

      Reglos lag der Bandit am Boden. Mit dem Gesicht im staubigen Savannengras.

      Wyatt stieg langsam aus dem Sattel und blieb neben dem Gestürzten stehen.

      »Stehen Sie auf, Donegan.«

      »Ich kann nicht«, ächzte der Mann.

      »Stehen Sie auf. Sie erschweren sich den Ritt nur noch mehr. Wir reiten nach Sheridan. Und wenn die Welt untergeht. Aufstehen!« Das letzte Wort hatte Wyatt scharf ausgestoßen.

      Donegan hob den Kopf und blickte den Marshal prüfend an. Unendlich langsam richtete er sich auf, bis er schließlich torkelnd neben Wyatt stand.

      »Der Gaul ist weg«, stieß er pfeifend hervor. »Was jetzt? Wollen wir etwa zu zweien auf dem leichten Falben nach Sheridan reiten, he?«

      Wyatt warf ihm einen schnellen Blick zu. »Wenn es sein muß, Donegan, trage ich Sie auch nach Sheridan!«

      Er fesselte dem Banditen jetzt auch die Füße zusammen und ließ ihn liegen. Dann schwang er sich in den Sattel und fing den Fuchs wieder ein.

      Sofort setzte er den Ritt weiter fort.

      »Sie sind ein Scheusal, Wyatt Earp«, knurrte Donegan nach einer Weile. »Wenn ich könnte, würde ich Sie mit bloßen Händen erwürgen!«

      *

      In der folgenden Nacht sollten die beiden keinen Schlaf finden.

      Wyatt hatte den Lagerplatz in einer kleinen Mulde mitten zwischen vier dichten Blutdornbüschen gewählt. Er hatte noch bei Tageslicht ein Feuer für das Mahl angezündet, um in der Dunkelheit durch den Lichterschein keine unerwünschten Augen anzuziehen.

      Frühzeitig hatten sie sich niedergelegt.

      Trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit hatte sich eine unangenehme Kühle über das Land gebreitet, die von einem milchigen, nebelartigen Dunstschleier begleitet wurde.

      Nur vereinzelt blinkten die Sterne mit ihrem silbernen Funkeln durch den Dunst.

      Wyatt lag mit offenen Augen auf seinem Sattel. Er hatte die Decke lose um sich geschlagen.

      Donegan lag so, daß Wyatt ihn ständig im Auge hatte.

      Im Auge – wenn er wachte.

      Und wenn er schlief?

      Über diesen Punkt machte sich Jack Donegan seit Stunden allerlei seltsame Gedanken. Bisher war er selbst von dem anstrengenden Ritt über Tage immer so müde gewesen, daß ihm bald, nachdem er sich zur Ruhe gelegt hatte, die Augen zufielen.

      Allmählich aber machte ihn der Gedanke krank, daß dieser unheimliche Wyatt Earp ihn möglicherweise wirklich nach Sheridan bringen könne.

      Krank und wach machte ihn dieser Gedanke. Er ließ ihn nicht mehr wie sonst schnell in Schlaf fallen.

      Und das war gut so, meinte er.

      Der andere sollte ja schlafen. Nur so war Rettung möglich. Bisher hatte der Marshal ihn nachts ohne Fußfesselung schlafen lassen. Es durfte erst gar nicht dahin kommen, daß Earp ihm Fußfesseln anlegte. Und das würde er unweigerlich tun, wenn er erst festgestellt hatte, daß Donegan nicht schlief. Das Wachsein des anderen bedeutete ja Gefahr für ihn. Nein, dahin durfte Donegan es nicht kommen lassen. Er mußte vorher handeln. Heute am besten. Gleich dann, wenn der Marshal eingeschlafen war.

      Angestrengt lauschte er auf die Atemzüge des Missouriers. Endlich schien es ihm so, daß sie ruhig und gleichmäßig kamen, wie sie bei einem Schlafenden zu hören waren. Langsam, unendlich langsam wälzte Donegan sich von seiner Decke. Dann zog er die Beine an und setzte sich. Er ließ sich Zeit. Das geringste Geräusch hätte den Marshal aufgeweckt! Er kannte dessen leichten Schlaf von den vielen vergangenen Nächten schließlich zur Genüge. Das leise Knicken eines Astes hatte den Mann aufgeweckt. Der ferne Schrei eines Coyoten. Ja, sogar der Flügelschlag eines Nachtvogels vermochte ihn aufzuwecken.

      Donegan hatte seinen Plan gemacht. An den Colt des Marshals heranzukommen, war so gut wie unmöglich. Er mußte sich mit dem Gewehr begnügen. Es lag einen halben Yard neben dem Schlafenden. Wenn er das Gewehr hatte, würde er Earp eine oder andernfalls auch zwei Kugeln geben. Dann war der Mann erledigt. In aller Ruhe konnte er sich dann seiner Fesseln entledigen und mit allem, was diesem Earp gehörte, davonreiten.

      Es dauerte länger als eine Stunde, bis sich der Bandit dem Marshal so weit genähert hatte, daß er mit den Fingerspitzen die Winchester fast berühren konnte. Er tastete über ihren kühlen Lauf und dann zog er sie langsam, Inch für Inch, an sich heran. Als er sie in beiden Fäusten hielt, hätte er laut aufbrüllen mögen vor Freude.

      Vorsichtig arbeitete er sich ein Stück zur Seite. Dann packte er das Gewehr und lehnte es auf die Knie. Bedächtig zielte er auf den Kopf des Schlafenden.

      Nein! tobte und schrie es in ihm. Diesen Augenblick wollte er – der Mörder – auskosten. Es war ja nichts, wenn dieser Mann nicht mehr aufwachte, wenn er in den Tod hinüberschlief. Dieser eisenharte Mensch, den er so haßte, sollte mit wachen Sinnen dem Tod entgegenblicken müssen.

      »Earp!« sagte Donegan scharf.

      »Ja!« kam es sofort sehr ruhig zurück.

      Der Verbrecher schrak zusammen. Was war das? Das hörte sich absolut nicht so an, als ob der Marshal geschlafen hätte.

      »Earp!« wiederholte er noch einmal.

      »Ja, was wollen Sie, Donegan?«

      »Wyatt Earp! Steh auf, du mußt sterben!« Heiser preßte Jack Donegan die Worte durch die Kehle.

      »Aha«, sagte der Marshal nur.

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