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      Falcons Gesicht verhärtete sich. »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«

      »Und welche war das noch mal?«

      »Ich habe Sie gefragt, wie Sie heißen.«

      »Joe Gardner.«

      Falcon legte den Kopf in Nacken, was den Blick auf seinen dürren, blutverschmierten Hals freigab. »Gardner? Der Name kommt mir bekannt vor.«

      »Ich bin ein Freund von John Bald.«

      Falcons Gesichtsmuskeln entspannten sich und formten ein erleichtertes Lächeln. Die Art von Lächeln, das man aufsetzt, wenn man an einem heruntergekommenen Ort wie diesem auf einen Freund traf. Er nahm die Colt Commando herunter. Gardner verspürte den Wunsch, auf ihn loszugehen und ihn windelweich zu prügeln, entschied sich aber dagegen.

      »John hat Sie erwähnt«, sagte Falcon. »Sie waren auch in der SAS?«

      Gardner beantwortete die Frage mit einem vagen Schulterzucken. »Er ist ein alter Freund.«

      »Er meinte, Sie seien ein guter Kämpfer. Einer der besten.«

      Auf einem Dach etwa acht Meter nördlich von ihnen stapelten zwei Kids gebrauchte Autoreifen übereinander. Eines von ihnen förderte einen Kanister zutage und goss Benzin über die Reifen.

      »John rief mich gestern an, sagte, er wäre in Schwierigkeiten. Dass die Lage brenzlig sei und er in der Favela festsitzt.«

      »Welche Uhrzeit war das?«

      »Gegen fünf, nach meiner Zeit. Also … was ist das hier … ein Uhr Ortszeit?«

      Falcon dachte darüber nach. »Das kann stimmen. John hat uns oben in Florida geholfen, den Umgang mit Sprengtechnik zu üben. Gestern war er mit uns auf Patrouille, um das Gelernte in die Tat umzusetzen. John hatte kein Problem damit, sich die Hände schmutzig zu machen, wissen Sie. Wann immer es möglich war, ist er mit zu Missionen in die Favelas aufgebrochen.«

      »Was zur Hölle ist passiert?«

      »Erkläre ich später«, sagte Falcon ausweichend. »Zuerst mal müssen wir hier raus. Die Banden drehen durch. Meine Einheit hat sich zurückgezogen, um auf Verstärkung zu warten.« Er presste ein Lachen durch die Mundwinkel und schüttelte den Kopf. »Ob Sie's glauben oder nicht – wir verfügen über neunundvierzig caveirãos – Big Skulls, gepanzerte Einsatzfahrzeuge, aber nur zwölf davon funktionieren. Ich schwöre es Ihnen – wenn wir den Drogenkrieg verlieren, dann nur, weil wir nicht genügend Kurbelwellen und Getriebe haben.«

      Aus den Reifen auf dem Dach schlugen Flammen. Tiefschwarzer, giftiger Rauch stieg gen Himmel. Gardner roch verbrannten Gummi. Wabernde Hitze ließ den Horizont flackern.

      »Ihr Krieg interessiert mich einen Scheiß«, sagte er. »Ich will nur meinen Freund finden.«

      »Von allen Offizieren fehlt seit gestern jede Spur. Neun Männer, einschließlich unseres Commanders, Paulhino Nava. Ich sage das nicht gern, aber wahrscheinlich sind sie alle tot. Und das schließt auch John mit ein.«

      »Sie sind nicht der Erste, der mir das sagt. Aber wie dem auch sei, ich werde mich persönlich davon überzeugen. Wissen Sie, er ist ein guter Kumpel, und ich schulde ihm was. Warum nehmen Sie also nicht Ihre verfluchte Knarre runter und kümmern sich um Ihre eigenen Angelegenheiten?«

      Falcon richtete den Lauf der Waffe auf den Boden, und Gardners Magen entspannte sich. »Ich bin von meiner Einheit getrennt worden«, sagte der Captain der BOPE. »Und John war Teil meines Teams.« Er klopfte Gardner auf die Schulter. »Ich helfe Ihnen, Ihren Freund zu finden. Wir bleiben zusammen. Auf die Art stehen unsere Chancen gegenüber den Gangs besser.«

      »Das läuft so nicht«, sagte Gardner. »Ich arbeite allein, Kumpel.«

      Falcon sah ihn schief an. »Sie hören sich an, als wüssten Sie, wo Sie hin wollen.«

      »Ich hab da so eine Ahnung«, antwortete Gardner.

      Falcon kräuselte seine geschwollenen Lippen. »Ok, und jetzt nehmen wir mal an, Ihre … Ahnung ist korrekt. Wo genau wollen Sie hin?«

      »Nach Norden«, sagte Gardner und nickte vage zum höchsten Punkt der Favela, mehrere hundert Meter entfernt. Er wollte sich von einem Typen, den er vor wenigen Minuten erst kennengelernt hatte, nicht unnötig in die Karten sehen lassen.

      »In Ordnung. Also sagen wir nach Norden. Und wie genau wollen Sie dorthin gelangen?«

      Okay, Fuck. Falcon hatte recht. Zwischen Gardner und der Statue lag ein Irrgarten aus Gassen, sich kreuzenden Straßen, Treppen, die ins Nichts zu führen schienen, und übereinander geschachtelten Häusern. Eine Route zu finden war unmöglich. Wahrscheinlich würde er sich auf dem Weg nach Norden in diesem Labyrinth verirren.

      »Ich kenne diese Favela besser als meine Frau«, sagte Falcon. »Sie können sie fragen, bei Schweinefleisch mit Bohnen und einem kalten Bier, wenn wir hier raus sind.«

      Er legte seine schwarze Kampfweste ab und öffnete den Reißverschluss seines Kampfanzugs bis zur Mitte. Er schwitzte wie ein Araber bei der Zollkontrolle. Unter seinem Anzug trug er ein schwarzes T-Shirt, auf dem mit weißen Buchstaben »I belong to Jesus« stand. Er knotete sich die Oberteile an der Hüfte zusammen und zog sich dann die Schutzweste über sein T-Shirt.

      »Was ist mit Ihrer Hand passiert?«

      »Hatte einen Unfall mit dem Rasenmäher«, antwortete Gardner.

      »Okay …« Falcon nickte skeptisch. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen den kürzesten Weg.«

      Er führte Gardner nach Norden, weg von den Leichen, eine steile, kräftezehrende Treppe hinauf. Der Weg war beschwerlich. Jede Treppenstufe war mit Schlamm bedeckt, ein Andenken an mehrere Erdrutsche. Die Gassen waren klaustrophobisch, manchmal nicht breiter als einen Meter. Gardner sah ein paar tote Menschen mit dem Gesicht nach unten auf dem Beton liegen, mit sauberen Einschusslöchern im Rücken. Wahrscheinlich auf der Flucht erschossen.

      Ständig wechselte die Favela ihr Gesicht. Metallene Laufstege führten über Dächer hinweg. Wäscheleinen versperrten jegliche Sicht. Gardner hatte in Belfast, Bagdad und in Kabul gedient, aber so etwas hatte er noch nie gesehen.

      Falcon flog die Stufen förmlich hinauf. Ganz offensichtlich hatte er Übung darin. Aber Gardner blieb an ihm dran. Entgegen anderen Ex-Blades versuchte er, in Form zu bleiben. Als Herumtreiber ohne feste Bleibe war seine direkte Umgebung sein Fitnessstudio gewesen. Tägliches Laufen, lange Spaziergänge, Liegestütze auf Parkbänken, Klimmzüge an Schaukelgerüsten. Gardner war sicher besser in Schuss als manche, die noch im aktiven Dienst waren. Seine letzte Flamme hatte immer gesagt, er sähe aus wie ein mit Walnüssen vollgestopftes Kondom.

      Wieder kam ihm Afghanistan in den Sinn. Um 09:37 Uhr feuerten sie noch aus allen Rohren, er und der Typ neben ihm. Grant, der den Krieg gegen die Taliban am liebsten mit einer Hand gewonnen hätte. Um 09:38 Uhr hatte Grant anstelle von Beinen nur noch ein paar Oberschenkelknochen besessen. Sein bestes Stück war verbrannt, und sein Hodensack flatterte im heißen Wüstenwind. Überall aus seinem Bauch und seinem Hals ragten Schrapnell-Splitter. Durch die Explosion war Gardner benommen gewesen, bis zu dem Punkt, als er sah, dass er seine Hand verloren hatte, aber keinen Schmerz verspürte, und sich fragte, wie lange es dauern würde, bis er an dieser Wunde starb.

      Das Standardprotokoll sah vor, zu warten, bis ein Suchteam mit Spürhunden zur Stelle war. Die Talibs waren gerissene Schweinepriester und versahen die IEDs oft mit zweiten Sprengsätzen, die jeden erwischten, der zuhilfe kam. So ein Suchteam brauchte seine Zeit; Zeit, die oft niemand hatte. Bald war über den ungeschützten Platz zu dem verbeulten WMIK-Jeep gerannt, hatte die Türen aufgerissen und Grant hinter sich her in Sicherheit geschleift, während er Gardner an der Schulter stützte. Sehnige, violette Eingeweide hingen aus Grants Körper und Bald versuchte verzweifelt, dass klaffende Loch in Grants Leiste zu schließen.

      Gardner sah zu, wie sich die Kameraden um Grant scharten, der immer wieder nach seiner Mutter, seiner verdammten Mutter schrie. Als sie dem Jungen eine Überdosis Morphium verabreichten, spürte Gardner

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