Скачать книгу

      »Wärst du dann traurig?« fragte Sina mit ernstem Gesichtchen.

      »Und ob ich traurig wäre, sogar sehr traurig.« Und das stimmte, sie konnte sich ein Leben ohne das kleine Mädchen nicht mehr vorstellen – genauso, wie ihr ein Leben ohne Thomas sinnlos erschienen wäre.

      *

      »Das ist doch nicht dein Ernst?« war Thomas’ Kommentar, als Nicole am Abend von dem Zeitungsartikel und dem daraus entstandenen Plan erzählte.

      Nicole war enttäuscht! Sie war fest davon überzeugt gewesen, daß Thomas die Idee auch gefiel. »Glaubst du tatsächlich, daß ich scherze? Es geht immerhin um meinen Sohn!«

      Thomas schritt im Zimmer auf und ab. »Nicole, was nutzt es dir, wenn du weißt, wo dein Junge jetzt lebt und wie die Leute heißen, die ihn zu sich genommen haben? Denkst du wirklich, daß sie dir den Kleinen zurückgeben, nur weil du ihn zur Welt gebracht hast? Immerhin wolltest du ihn damals nicht haben.«

      Nicole schluckte hart; Thomas hatte ja recht. Doch er war ein Mann und verstand die Gefühle einer Mutter nicht.

      »Ich möchte ihn wenigstens mal sehen – nur von weitem«, schluchzte sie. Sofort eilte Thomas auf sie zu und nahm sie in den Arm.

      »Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht so anfahren. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Natürlich verstehe ich, daß du deinen damaligen Entschluß bitter bereust, doch dieses Ehepaar hat sich seit Jahren ein Baby sehnlichst gewünscht. Jetzt hat sich ihr Traum erfüllt, und sie werden es – zu Recht – nicht zulassen, daß du dich dazwischendrängst.«

      »Warum ist das Leben so grausam?«

      Thomas stand seufzend auf und fuhr sich durch das volle dunkle Haar. »Und ich hatte so gehofft, daß du durch Sina über die Sache hinweggekommen bist.«

      »Ach, Thomas! Natürlich liebe ich die Kleine, und ich bin ganz stolz, daß sie mich immer öfter Mama nennt – aber mein kleiner Sohn fehlt mir so schrecklich.«

      »Wenn ich dir doch in deinem Kummer helfen könnte«, sagte Thomas und blickte mitleidig auf seine Frau hinunter, die zusammengesunken auf der Couch saß.

      »Niemand kann mir helfen«, stieß sie fast trotzig hervor. »Was ist, wenn ich trotz deiner Einwände einen Detektiv beauftrage, mein Kind zu finden?«

      »Nicole, das ist kein Spaß. Ich wäre sehr wütend, wenn du mich hintergehen würdest. Bitte tue mir den Gefallen und vergiß diese Aktion. Du schadest dir nur selbst damit.«

      »Ich bin eine erwachsene Frau, und niemand hat mir Vorschriften zu machen.«

      Thomas gefiel dieser neue, negative Zug überhaupt nicht an seiner Frau. Verärgert fragte er: »Weißt du, wie deine einzige Chance aussieht, dein Kind jemals zu sehen?«

      Und als Nicole ihn erwartungsvoll ansah, fügte er hinzu: »Wenn er erwachsen ist und von seinen Eltern erfahren hat, das er nur angenommen worden ist. Und wenn er dann den Wunsch hat, dich zu sehen – dann kannst du ihn kennenlernen!«

      »Du bist ein Barbar«, weinte Nicole auf; aber das hörte Thomas nicht mehr. Er hatte wütend das Zimmer verlassen und die Tür hinter sich zugeknallt.

      Noch lange saß Nicole allein da und grübelte. Es war das erste Mal, daß sie sich gestritten hatten. Wegen einer Sache, von der sie überzeugt war, die Thomas jedoch grundsätzlich ablehnte.

      Es war schon nach Mitternacht, als Nicole nach oben ins Schlafzimmer ging. Thomas schlief schon, oder tat jedenfalls so. Während Nicole im Badezimmer die Zähne putzte, beschloß sie, sich gleich am nächsten Morgen mit Thomas zu versöhnen. Den Plan mit dem Detektiv wollte sie nicht mehr auf den Tisch bringen – was natürlich nicht hieß, daß sie ihn vergessen würde…

      *

      Es war Herbst geworden; der Garten wurde winterfest gemacht, was Nicole übernahm. Am kommenden Sonntag würden sie, Thomas und Sina die Maschine nach Palma de Mallorca nehmen, um ihre Schwiegereltern zu besuchen.

      Sina konnte vor Aufregung kaum noch schlafen. Sie war sich selbst nicht sicher, ob sie sich mehr auf das Wiedersehen mit den Großeltern oder auf ihren ersten Flug freuen sollte.

      Auch Thomas und Nicole freuten sich auf zwei unbeschwerte Wochen in der Sonne. Thomas hatte in den letzten Monaten hart gearbeitet. Beinahe hätte er nicht mitfliegen können, wenn der wichtige Prozeß nicht überraschend vorzeitig beendet worden wäre.

      Nicole hatte sich vorgenommen, nach dem Urlaub heimlich einen Detektiven aufzusuchen, Thomas würde es nicht erfahren. Sie hatte ein eigenes Konto, das ihr Mann immer wieder auffüllte und niemals kontrollierte. So konnte Nicole den Detektiv bezahlen, ohne daß Thomas sich wundern konnte, wofür sie ihr Geld verbrauchte.

      Nicole hatte ein schlechtes Gewissen ihrem Mann gegenüber, doch die Sehnsucht nach dem Jungen, der inzwischen schon neun Monate alt war, war einfach stärker.

      Geschäftig lief Sina vom Kinder- ins elterliche Schlafzimmer. »Mama, was soll ich für Flo mitnehmen?«

      Nicole, die dabei war, die Koffer zu packen, lachte. »Willst du nicht erstmal die Sachen herauslegen, die du für dich gern mitnehmen möchtest?«

      »Hab’ ich doch schon!« antwortete die Kleine eifrig. »Aber Flo muß auch was zum Anziehen haben; in ihrem dicken Pullover wird sie fürchterlich schwitzen. Oma hat gestern am Telefon gesagt, daß es da so warm ist, daß man noch baden kann.«

      »Dann zieh deiner Flo doch das Kleidchen an, das ich genäht habe«, schlug Nicole vor und faltete ein paar luftige Hemden von Thomas zusammen.

      »Ja, und den Blumen-Hosenanzug!« Dann war Sina wieder in ihrem Zimmer verschwunden, und Nicole konnte in Ruhe den Rest der Kleidung in die beiden Koffer legen.

      Thomas hatte seinen letzten Arbeitstag und würde nicht zu spät nach Hause kommen, das hatte er fest versprochen. Vorher wollte er noch zur Bank und die Trevellerschecks abholen.

      Nicole freute sich auf diesen Urlaub mehr, als sie es getan hatte zu der Zeit, als sie mit Rainer in die Karibik flog. Urlaub mit Rainer hatte immer bedeutet, daß er tagsüber am Strand lag und abends in diversen Bars hocken wollte. Nicole hätte zu gern etwas mehr vom Land und dessen Bewohner gesehen, hatte sich aber nie getraut, Rainer gegenüber ihren Wunsch zu äußern – schließlich hatte er stets die teuren Ferienaufenthalte bezahlt.

      Dieses Mal würde es ganz anders werden. Mit Thomas gemeinsam wollte Nicole zum Beispiel die riesige Kathedrale in Palma besichtigen oder den idyllischen Ort Valldemossa, wo einst der berühmte Komponist Chopin gelebt hatte.

      Thomas hatte eigens für eine bevorstehende Reise Bildbände und Prospekte angeschleppt und zusammen mit Nicole beratschlagt, was sie wann machen wollten.

      Nachdem Nicole die Koffer mühevoll geschlossen hatte, weil viel zuviel darin war, ging sie ins Kinderzimmer, wo Sina gerade ihre Kindergarten-Brottasche schloß.

      »Das ist Flos Koffer«, sagte sie geschäftig.

      Nicole setzte sich zu dem Mäd-chen auf das Bett. »Das ist eine wirklich gute Idee, denn unsere Koffer sind so voll, daß nicht mal mehr ein Blatt Papier hineinpassen würde.«

      Dann nahm sie den etwas kleineren Koffer vom Fußboden und legte Sinas Kleidung hinein. »Wo ist dein Kulturbeutel mit der neuen Zahnbürste und der Seifenschale?«

      »Ach, das brauche ich doch nicht.«

      »O doch, junge Dame, das brauchst du sehr wohl. Hast du noch nie davon gehört, daß man sich auch im Urlaub die Zähne putzen muß?«

      Die beiden kicherten albern und lachten noch immer, als Thomas in der Türöffnung stand. »Darf ich mitlachen?«

      »Schön, Liebling, daß du so pünktlich bist!« rief Nicole und lief ihrem Mann entgegen. Sina war wieder mit ihrer Puppe beschäftigt und begrüßte ihren Vater nur mit einem »Hallo, Papa!«

      »Frau Wagner hat schon das Essen fertig«, sagte Nicole, als sie die Treppe hinuntergingen. »Wir sollten

Скачать книгу