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dunkles Leben ein überall genügendes Licht zu werfen. Bülow’s freilich nicht erschöpfende doch verdienstliche Lebensbeschreibung blieb in der politischen Sturmzeit von 1848, wie vierzig Jahre früher der lebende Dichter, fast unbeachtet. Erst in den letzten Jahren hat man sich ihm aus dem Gesichtspunkte der allgemeinen Zeitgeschichte, in der er in so fragwürdiger Gestalt hervortritt, wieder mehr zugewendet.[3] Dennoch scheint eine Seite seines zerrissenen Lebens der näheren Besprechung würdig und bedürftig, von allen die erhebendste und reinste, in der sich die jähen Widersprüche vielleicht am ersten ausgleichen, die vaterländische. Ich würde es nicht unternehmen, allein auf Grund des schon benutzten Stoffes darüber zu reden, aber ich bin glücklich genug Neues, bisher Unbekanntes oder Vergessenes, hinzufügen zu können, und halte es für eine That der Gerechtigkeit, die folgende nicht geringfügige Nachlese zu Kleist’s Schriften der Oeffentlichkeit zu übergeben. Eben hier erscheint er vorzugsweise als politischer Schriftsteller, von dieser Thätigkeit mindestens gewinnt man ein bedeutend vollständigeres Bild.

      Zuerst habe ich Rechenschaft von den Quellen, aus welchen diese Nachträge geschöpft sind, abzulegen. Theils sind sie handschriftlicher Art, theils gehören sie vergessenen Drucken an; von jenen spreche ich zuerst.

      Nicht alles, was Tieck aus dem Nachlasse Kleist’s besaß, hat er in seine Ausgabe aufgenommen. „Auch finden sich“, schreibt er, „in seinem Nachlasse Fragmente aus jener Zeit (1809), die alle das Bestreben aussprechen, die Deutschen zu begeistern und zu vereinigen, sowie die Machinationen und Lügenkünste des Feindes in ihrer Blöße hinzustellen: Versuche in vielerlei Formen, die aber damals vom raschen Drang der Begebenheiten überlaufen, nicht im Druck erscheinen konnten, und auch jetzt, nach so manchem Jahre und nach der Veränderung aller Verhältnisse, sich nicht dazu eignen.“[4] Also Schriftstücke politischen, vaterländischen Inhalts, die ein Aufruf an das Volk sein sollten, jedoch nie zur Verwendung gekommen sind, waren es, die Tieck im Jahre 1821 vor sich hatte. Zunächst scheint ihn die Rücksicht auf die Erregung des eben durchgekämpften Völkerkrieges, die jetzt friedlichern Stimmungen Platz machen sollte, von der Veröffentlichung abgehalten zu haben, und noch 1826 glaubte er dabei stehen bleiben zu müssen. Auch mochten ihm diese Fragmente im Vergleiche mit den großen Dichtungen minder bedeutend scheinen. Er sah in Kleist einen befreundeten gleichzeitigen Dichter, dem er aus den vollendetsten Werken ein Denkmal errichten wollte, von welchem er das Geringfügigere meinte ausschließen zu können. Ueberhaupt war seine Kritik ein Ausdruck der Begeisterung für den Gegenstand, mehr ästhetisch, allgemein anschauend und nachdichtend als historisch philologisch; er konnte zufrieden sein, den Dichter und dessen Werke der Vergessenheit entrissen und in genialen Zügen ein groß gehaltenes Bild beider entworfen zu haben. Ganz anders stand es, als zweiundzwanzig Jahre später Bülow in der Vorrede zum Leben Kleist’s schrieb:[5] „Die schon von Tieck besprochenen zerstreuten politischen Blätter aus dem Jahre 1809 habe ich ebenfalls durchgesehen und des Druckes meist unwerth befunden.“ Diese „Reliquien“, die er damals noch unverkürzt in Händen hatte, legte er also in demselben Augenblicke als unwichtig bei Seite, wo er den Untergang oder die absichtliche Zurückhaltung anderer beklagte. Der Umstand allein hätte den Biographen bestimmen sollen, nicht seinem persönlichen Geschmacksurtheil über den Werth dieser Blätter, sondern dem historischen Gesetze zu folgen, das zu retten gebietet, was noch zu retten ist, damit das Bild des Dichters so getreu als möglich hergestellt werden könne. Das verlangte die inzwischen zur Wissenschaft herangereifte Litteraturgeschichte, die auch für die Schriftsteller der nächsten Vergangenheit eine willkürliche Kritik dieser Art nicht mehr duldete. Nicht ohne ironisches Lächeln über Kleist’s „naive Absicht“ begnügte er sich, einen dieser Aufsätze, überschrieben: „Was gilt es in diesem Kriege?“ sorglos abdrucken zu lassen. Von Tieck hatte Bülow diese Papiere erhalten; im Nachlasse des einen oder des andern mußten sie aufbewahrt sein.

      Unter den zahlreich angesammelten Handschriften Tieck’s fand sich in der That eine, die aus dem Nachlasse Kleist’s herstammte, eine Abschrift der Penthesilea, vom Dichter durchgesehen und nicht ohne bedeutende Veränderungen einzelner Verse und Worte von seiner Hand. Aus der Vergleichung mit der Tieckschen Ausgabe, welcher der Druck von 1808 zu Grunde liegt, und den nicht unerheblich abweichenden Bruchstücken im Phöbus, ergab sich diese Handschrift als eine dritte noch frühere Bearbeitung selbständigen Charakters, die auf’s neue beweist, wie sorgfältig Kleist seine Dichtungen im einzelnen durcharbeitete. Dagegen schien sich die nah liegende Vermuthung, der Herausgeber der Kleist’schen Schriften werde von seinen Sammlungen mehr als dieses eine Erinnerungszeichen bewahrt haben, nicht zu bestätigen, als sich später, bei der Durchsicht eines Restes ungeordneter Papiere, noch eine Anzahl Blätter nach und nach unerwartet zusammenfanden. Es war ein Theil des großartigen Bruchstücks Robert Guiskard, das Kriegslied der Deutschen, das Sonett an die Königin von Preußen und das an den Erzherzog Karl im März 1809, denen sich einiges Prosaische anschloß; im Ganzen 28 Halbbogen und 6 Blätter in Quart bläulich grauen Streifenpapiers, dessen höheres Alter nicht bezweifelt werden konnte. Nur freilich waren es nicht Kleist’s Schriftzüge, sondern die altmodisch steife Hand eines sächsischen Schreibers, von der alles, nach der Tinte zu urtheilen, fast in einem Zuge geschrieben worden war. Zwar beginnt die Zählung der Seiten mehr als einmal von vorn und manche Blätter sind gar nicht bezeichnet, aber offenbar liegt hier ein Bruchstück einer Handschrift vor, die wenngleich sehr verschiedenartigen Inhalts, doch äußerlich ein Ganzes bilden sollte.

      Bei näherer Untersuchung des prosaischen Theils fanden sich mehrere bisher unbekannte Aufsätze: fünf Halbbogen, unter der Ueberschrift „Satyrische Briefe“, deren drei numerirt aufeinander folgen: „1. Brief eines rheinbündischen Officiers an seinen Freund; 2. Brief eines jungen märkischen Landfräuleins an ihren Onkel; 3. Schreiben eines Burgemeisters in einer Festung an einen Unterbeamten“; welchen sich ohne Zahlenbezeichnung ein vierter anschließt „Brief eines politischen Pescherü (so) über einen Nürnberger Zeitungsartikel.“ Auf einem Quartblatt folgte „die Bedingung des Gärtners, eine Fabel“; dann vier Halbbogen „Lehrbuch der französischen Journalistik“, sechs Halbbogen und ein Blatt „Katechismus der Deutschen, abgefaßt nach dem Spanischen zum Gebrauch für Kinder und Alte“, jedes Stück mit besonderer Seitenzählung; endlich noch vier nicht paginirte Halbbogen, drei Stücke enthaltend, eines mit der Aufschrift „Einleitung“, ein anderes ohne Titel beginnend mit der Anrede „Zeitgenossen“, das dritte mit der Ueberschrift „Was gilt es in diesem Kriege?“ Eben dieses Blatt hatte Bülow herausgegriffen; es war also kein Zweifel mehr, die politischen Blätter Kleist’s, die er nach Tieck’s Vorgang bei Seite gelegt hatte, waren noch erhalten. Gewiß ein glücklicher Fund, der durchaus Neues ans Licht brachte und für manchen andern Verlust entschädigen konnte. Die nächste Frage, ob er vollständig sei, beantwortete sich leider verneinend. Die Seitenzahlen des Katechismus ergeben, daß der dritte und sechste Halbbogen fehle; das Lehrbuch der französischen Journalistik bricht mit Paragraph 25, die Einleitung mitten im Satze ab; ursprünglich mußten diese Blätter vollzählig gewesen sein.

      Ohne besondere Veranlassung zur Herausgabe und andern Arbeiten hingegeben, hatte ich mich längere Zeit bei diesem Ergebniß beruhigt, als die Briefe Kleist’s an seine Schwester mich zu jenen politischen Bruchstücken zurückführten; denn was etwa noch gefehlt hätte, ein bestimmtes Zeugniß des Verfassers selbst, fand sich hier. Am 17. Juni 1809 nach der Schlacht von Wagram und dem Waffenstillstand von Znaym schrieb er von Prag aus, wohin ihn seine Hoffnungen auf Oesterreich geführt hatten, an seine Schwester: „Gleichwohl schien sich hier durch B. (Brentano?) und die Bekanntschaften, die er mir verschaffte, ein Wirkungskreis für mich eröffnen zu wollen. Es war die schöne Zeit nach dem 21. und 22. Mai, und ich fand Gelegenheit meine Aufsätze, die ich für ein patriotisches Wochenblatt bestimmt hatte, im Hause des Grafen v. Kollowrat vorzulesen. Man faßte die Idee, dieses Wochenblatt zu Stande zu bringen, lebhaft auf, Andere übernahmen es, statt meiner den Verleger herbeizuschaffen, und nichts fehlte als eine höhere Bewilligung, wegen welcher man geglaubt hatte, einkommen zu müssen. So lange ich lebe, vereinigte sich noch nicht so viel, um mich eine frohe Zukunft hoffen zu lassen, und nun vernichten die letzten Vorfälle nicht nur diese Unternehmung, — sie vernichten meine ganze Thätigkeit überhaupt.“

      Also ein Theil der Aufsätze, die Kleist im Frühjahr 1809 für ein patriotisches Wochenblatt bestimmt hatte, ist in diesen Blättern enthalten, nach allen äußeren Zeugnissen kann seine Autorschaft keinem Zweifel unterliegen.

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