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Luthers Glaube: Briefe an einen Freund. Ricarda Huch
Читать онлайн.Название Luthers Glaube: Briefe an einen Freund
Год выпуска 0
isbn 4064066116392
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wenn du einmal für den im Menschen sich offenbarenden Gott das Dämonische setzest, welchen Wortes Bedeutung dir ja wohl ohnehin klar war, so werden dir viele Aussprüche aus der Bibel und von Luther sofort viel verständlicher sein und helleres Licht ausstrahlen. Nehmen wir den Spruch: Wenn wir auch sündigen, so sind wir doch die Deinen und wissen, daß du groß bist. Das heißt: Wir sündigen, unsere Leidenschaft reißt uns hin, wir bereuen es, aber unsere Reue macht uns nicht kraftlos und mutlos. Denn gerade daß wir taten, was wir mußten, beweist uns, daß wir Kraft haben; diese Kraft wird uns wieder emporheben und uns große oder gute Taten tun lassen.
Wenn Luther sagt: Der Anfang aller Sünde ist, von Gott weichen und ihm nicht trauen, so heißt das: wer sich nicht auf sein Herz, nur auf seinen Kopf verlassen kann, der hat keinen inneren Frieden, keine Sicherheit und keine Kraft.
Wenn Luther sagt, der Glaube verschlinge die Sünde sofort auch ohne Reue, so heißt das wie oben: dämonische Menschen werden sündigen, aber auch schaffen.
Wie befremdet zunächst das Wort: „Was Gott nicht geboten hat, das ist verdammt.“ Und es heißt doch nur, was jedem unmittelbar einleuchtet: Wer Ideen und Gefühle hat, so stark, daß sie ihm zum Führer und Wegweiser werden, der ist selig. Quo dii vocant eundum ist eine alte Devise, die ich als Kind einmal las und mir zum Motto wählte, ohne ihren Sinn so logisch zu verstehen, wie ich jetzt tue.
„Ein Christ soll pochen nicht auf sich, noch auf Menschen, noch auf den Mammon, sondern auf Gott!“ Das heißt: Wir sollen uns nicht auf irgendeine weltliche Macht, noch auf die Gedanken, Überlegungen, Absichten verlassen, die von uns selbst oder anderen ausgehen, sondern auf die göttliche Stimme in uns, auf unser Gefühl und Gewissen. „Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, werden ausgereutet“, Matth. 15, das heißt: Nicht das Machwerk, sondern das Kunstwerk, das Gewordene, Gewachsene, nicht die moralische Handlung, sondern die Tat aus dem Herzen lebt und zeugt Leben.
Ist es nicht eigentümlich, daß es wahrscheinlich viele Menschen gibt, die der Meinung sind, der Spruch bedeute, daß jeder Mensch verworfen sei, der nicht jeden Sonntag zur Kirche gehe, der nicht zu gegebener Zeit bete und dergleichen; und daß sein wahrer Sinn ungefähr auf das Gegenteil hinausläuft?
Am schrecklichsten zürnt Gott, sagt Luther einmal, wenn er schweigt, nach seiner Drohung bei Jeremias: „Mein Geist wird nicht mehr Richter sein auf Erden.“ Dann tritt an die Stelle lebendigen Wachstums abschnurrende Mechanik. Es ist merkwürdig, daß ein Jahrhundert nach Luther der seltsame Hang die Menschen ergriff, das Perpetuum mobile zu erfinden. Die heimliche Lust am Automatischen und zugleich das Grauen davor gibt den Werken E. T. A. Hoffmanns ihren grotesken Charakter, die Ahnung des Verhängnisses seiner Zeit, mit der er zu seiner eigenen Verzweiflung selbst verwachsen war.
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