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kam.«

      Hatte sie es nicht geahnt? Wieder war Sandro nach einer Zeit voller heiterer Hoffnung zurück in den kalten Schatten gestoßen worden.

      »Du wirst doch gleich zu ihm fahren, Bea?«

      Beate nickte. »Meinst du, ich soll ihn zu mir nehmen, bis du die Klinik wieder verlassen kannst?«

      »Ja. Es würde ihm guttun und mich beruhigen, Bea.«

      »Und Reinhard? Ob er auch so denkt?«

      »Ach, Reinhard«, flüsterte Klaudia. »Alles geht immer nach seinen Wünschen. Wenn er seinen Sohn liebt, wird er einsehen, wie gut Sandro jetzt für einige Tage bei dir aufgehoben ist. Warum denkt mein Mann nur immer an sich?«

      Es klang enttäuscht und trostlos. Beate sah hilflos mit an, wie Klaudia sich danach abwandte, die Schulter abweisend hochzog und die Augen schloß, als ersehne sie jetzt nichts mehr außer Ruhe.

      *

      Beate fuhr mit einem Taxi zur Elbchaussee. Draußen blühte alles. Es war ein herrlicher Juniabend, aber der Anblick des frischen Grüns bedeutete ihr nichts. Ihre Gedanken waren bei Klaudia, und sie spürte, wie sich ihre langjährige Eifersucht auf ihre Schwägerin in Mitgefühl verwandelte.

      Klaudia war eine Ehe eingegangen, um die sie viele beneideten. Aber in Wahrheit war sie in eine Falle geraten, die sie zwang, alle ihre Hoffnungen und Wünsche nur einem Ziel unterzuordnen, dieser unerträglichen Eitelkeit ihres Mannes. Reinhard war doch gar nicht am Glück seiner Frau interessiert. Begnügte sie sich mit dem beruflichen Erfolg, strahlte von diesem Glanz etwas auf ihn ab. Er kam sich fortschrittlich und modern vor und trug sie auf Händen. Was sie wirklich ersehnte, hatte ihn nie interessiert. Und so lebte Klaudia wie eine hübsche Marionette an seiner Seite.

      Ob Sandros langsam wachsende Zuneigung ihr wenigstens dabei half? Oder erstickten ihre Stimmungsschwankungen und Launen diese zaghaft wachsende Liebe eines kleinen Jungen?

      Wenn ich Sandro mit zu mir nehmen kann, entschied Beate für sich, werde ich leichten Herzens auf Detlef Barmfelds Besuche verzichten. Nichts darf zwischen Sandro und mir stehen. Er soll erfahren, daß er bei mir besser aufgehoben ist als bei Klaudia.

      Langsam ging sie durch das schwere Tor auf die Prachtvilla ihres Bruders zu. Das Haus war inzwischen weiß gestrichen worden. Zwischen den Fenstern rankte sich Efeu empor und sorgte für einen freundlichen ersten Eindruck. So hatte Klaudia es gewünscht. Nur der gepflegte Park erinnerte heute in seiner Verlassenheit an einen Friedhof.

      »Wie gut, daß Sie da sind, Fräulein von Redwitz«, begrüßte Günther sie kurz darauf. »Karla steht hilflos vor Sandros Zimmertür. Er hat sich eingeschlossen.«

      Im Haus war es kühl. Kühl und düster wie in einem Schatten. Während sie die Treppe hochstieg, zog sie ihre Strickjacke aus dem Lederbeutel und legte sie sich um die Schultern. Warum hatte Sandro sich eingeschlossen? Was trieb ihn nur dazu? Ein achtjähriger Bengel konnte sich doch nicht für eine Fehlgeburt verantwortlich fühlen!

      Karla kam ihr mit einem Tablett entgegen und begrüßte sie ebenso erleichtert wie Günther. »Sandro ist über das Unglück ganz außer sich. Und Herr von Redwitz kommt erst nächste Woche aus Argentinien zurück.« Sie zog Beate in eine Flurecke. »Wollen Sie den Jungen nicht mitnehmen? Hier in der Stille des Hauses kommt er doch gar nicht wieder zu sich, nach all dem, was geschehen ist. »Sie sah Beate eindringlich an.« Er kann ruhig einige Schultage versäumen. Ein guter Schüler ist er ja. Ich habe schon die Nummer von seiner Lehrerin herausgesucht. Und wenn die gnädige Frau aus der Klinik heimkommt, braucht sie Ruhe, Ruhe und noch mal Ruhe.«

      »Frau von Redwitz bat mich auch darum. Aber kann ich ihn ohne Erlaubnis meines Bruders einfach mitnehmen, Karla?«

      »Sie müssen es! Steht das Wohlbefinden der gnädigen Frau nicht an erster Stelle? Hat sie nicht genug mitgemacht? Ich habe in letzter Zeit mitbekommen, wie schwer sie es auch in ihrem Beruf hat. Sie läßt es sich nicht anmerken, aber man scheint gegen sie zu intrigieren, weil ihre Kraft nachläßt und ihr Fehler unterlaufen.«

      »Aber Karla! Woher wollen Sie das denn wissen?«

      »Ich habe doch Augen und Ohren! Auch eine einfache Frau wie ich kann gewisse Anzeichen deuten. Und schon damals, als sie diese Assistentin mitbrachte, habe ich ’s geahnt –, mit der zieht sie sich eine Natter am Busen heran.«

      »Bitte, Karla!« Beate war Hochmut fremd, aber dieses Dienstbotengetuschel konnte sie einfach nicht über sich ergehen lassen.

      Sandro hatte ihre Stimme gehört und den Schlüssel schnell herumgedreht, damit sie eintreten konnte. Als Beate das merkte, atmete sie auf. Sandro liebte sie und brauchte sie immer noch. Sie war eben seine einzige Vertraute.

      Er hockte im Schneidersitz auf seinem Bett. Seine Haltung verriet trostlose Einsamkeit. Sein Zimmer, voller kostbarer Spielsachen und wunderschöner alter Möbel, wirkte heute noch kälter und überladener als sonst.

      »Tante Bea!« Er hob aufschluchzend die Arme. Sie sank neben ihn und zog ihn an sich, bis er seine Stirn an ihre Schulter lehnte und heftig zu weinen begann.

      »Es wird ja wieder gut, mein lieber Sandro. Ja, es wird wieder gut.«

      »Ist Klaudia sehr bös auf mich?«

      »Aber nein. Wie kommst du darauf?«

      »Ihr Baby ist wieder gestorben, weißt du das nicht?«

      Sie nickte wortlos. Womit hatte ihr Liebling diesen Kummer verdient? Zum dritten Mal in seinem jungen Leben mußte er miterleben, daß der Tod Verzweiflung und Trauer in dieses Haus trug. Erst hatte er seine Mutter verloren, nun zerstörte das Schicksal die Hoffnung auf das Mutterglück seiner schönen Stiefmutter.

      »Wenn Klaudia ein Baby erwartet, ist sie immer so lieb zu mir, Tante Bea. Aber wenn sie aus der Klinik kommt, dann kann sie mich gar nicht mehr leiden.«

      »Es hat nichts mit dir zu tun. Das ist nur der Kummer, Sandro. Aber der geht vorüber.«

      »Dann arbeitet sie wieder ganz viel. Das mag ich auch nicht. Und wenn wir Gäste haben, und sie kommt später, schimpft Papi auch noch mit ihr. So war’s das letzte Mal auch.«

      Er hatte recht. Denn nach der ersten Fehlgeburt hatte Klaudia sich in die Arbeit gestürzt, um auf andere Gedanken zu kommen. Beate wußte, wie hilfreich so etwas war. Aber Reinhard ging es ja nur immer um den äußeren Schein. Ganz klar, daß er sie nicht verstand.

      »Nun ja, er ist eben sehr stolz auf seine schöne und tüchtige Klaudia«, versuchte sie zu erklären.

      Sandro schmiegte sich an sie. »Sie kann manchmal so lieb wie du sein, Tante Bea. Dann bin ich auch stolz auf sie.«

      »So?« hauchte sie gequält, so heftig überfiel sie wieder der Schmerz der Eifersucht. Aber der Gedanke, daß nur sie es jetzt war, die ihn in die Arme nehmen und trösten konnte, ließ auch das vergehen.

      »Karla und Günther haben mir gestern wieder erlaubt, Freunde einzuladen«, begann Sandro sein Herz zu erleichtern. »Es war so schön. Und dann kam Klaudia. Sie war ziemlich übel drauf und hat gesagt, wir sollen leise sein. Das waren wir auch, weil Karla meinte, Klaudia habe mal wieder echten Stress in der Redaktion.« Er stieß einen klagenden Laut aus und klammerte sich plötzlich an sie. »Und dann… dann hat Klaudia aus ihrem Zimmer plötzlich nach Karla geschrien. Das war so schlimm! Ich bin so erschrocken! Und meine Freunde haben auch noch gelacht. Die dachten, es schreit jemand im Fernsehen. Günther hat sie alle weggeschickt. Und dann kam schon der Krankenwagen…«

      »Das muß furchtbar gewesen sein. Ich weiß. Aber du hast keine Schuld.«

      »Doch, Tante Bea. Als es in Paris passierte, da nicht. Aber diesmal bestimmt. Wir waren so fröhlich beim Bolzen im Park und schrecklich laut beim Herumtoben. Das hat Klaudias Baby bestimmt nicht ausgehalten.«

      Mit einer Bewegung, die seine ganze Verzweiflung verriet, glitten seine Arme herab. Er ließ sich in seine Kissen fallen. Beate beugte sich über ihn, sie strich über sein wirres Haar und über seine Schultern.

      »Willst

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