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Warum du nicht?«

      »Weil dein Vater seinem Testament nach dem Tod deiner Mutter eine Bestimmung hinzufügte. Damals im Schock über Ruths Tod befaßte er sich ein einziges Mal mit seinem eigenen Ende. Er wußte, wie Tante Bea dich liebt und hat sie im Fall seines Ablebens als deinen Vormund eingesetzt. Als er mich dann heiratete, hat er sich nie mehr mit dem Gedanken an sein eigenes Ende befaßt. Er war leichtsinnig. Oder einfach zu glücklich, um sich mit dem Tod zu befassen.«

      »Klar war er glücklich. Weil du alles für ihn getan und nur für ihn gelebt hast.«

      Das war nicht auf Sandros Mist gewachsen. »Wer sagt das?« fragte sie irritiert.

      »Tante Bea. Sie sagt, mein Vater war der glücklichste Mann auf der Welt, weil du alles für ihn getan hast. Darum hattest du auch nie Zeit für mich. Und darum hat Papi sein Testament nicht geändert, weil er wußte, sie ist für einen Jungen wie mich besser als jede Stiefmutter.«

      Ein Frösteln überlief Klaudia. »Ja, so war es wohl«, preßte sie mühsam heraus.

      Beate hatte eiskalt gelogen. Aber nie würde sie ein Wort der Kritik für die Schwägerin finden. Sie wußte, wie Beate an Sandro hing und daß dem Jungen nichts bei seiner Tante fehlte. Er besucht seit einem Jahr das Gymnasium, auf dem Reinhard seinen Sohn gern gesehen hätte. Dort brachte Beate ihn jeden Morgen durch die halbe Stadt hin. Sie nahm dafür sogar ein geringeres Einkommen in Kauf, weil sie weniger Patienten betreuen konnte. Und nur, weil Reinhard ihr einen nicht geringen Teil seines Vermögens vermacht hatte und außerdem hervorragend für Sandro gesorgt wurde, erlitt sie keine finanziellen Einbußen.

      In wenigen Jahren würde Tante Bea den Jungen bestimmt auch auf das Internat in Schleswig-Holstein schicken, von dem Reinhard immer so begeistert erzählt hatte. Sie nahm ihre Pflichten ja sehr ernst.

      Und wenn sie es nicht tat, weil der Junge ihr ein und alles war und sie nicht auf ihn verzichten wollte? Ob sie sich dann für ihn starkmachen sollte? Klaudia wußte nicht, ob sie sich dann einem Kampf und dem Haß ihrer Schwägerin stellen würde.

      Trotzdem empfand sie Mitleid mit Beate. Sie wußte zu gut, wie Sandro die Zeit mit ihr, seiner jungen Stiefmutter genoß. Ging es ihr nicht auch so? Dieses Gefühl der Unabhängigkeit und Lebensfreude hatte sie in ihrer Ehe nie gehabt. Jetzt teilte sie es mit dem Jungen, und das beides verband mehr denn je.

      »Es tut mir leid. Ich habe ganz vergessen, Tante Bea anzurufen und sie um ihr Einverständnis zu fragen.«

      »Du hast es nicht vergessen. Du vergißt nie was! Du hast nur Angst gehabt, sie sagt nein.«

      »Ich habe es wirklich vergessen, Sandro«, verteidigte Klaudia sich.

      »Quatsch!«

      Sie wollte etwas erwidern, aber sie beließ es bei einem weisen Lächeln. Wie sollte er begreifen, daß ihr im Grunde seit Wochen jedes Gefühl für ernsthafte Gedanken fehlte? Wie sollte ein Knirps von elf Jahren verstehen, wie sie die Begegnung mit Kai auf der Hochzeit ihrer Assistentin Rena aus der Bahn geworfen hatte?

      Erst nach diesen Ferientagen wollte sie Sandro schonend beibringen, daß es außer ihm noch einen Menschen gab, mit dem sie so grenzenlos glücklich war wie mit ihm. Vielleicht verstand er dann Tante Bea besser. Sie war nur für ihn da und brachte jedes Opfer für ihn. Und Klaudia begriff schmerzlich, daß der Tag bevorstand, an dem Sandro sich auch von ihr abwenden konnte, weil ein Mann, der alte Freund, in ihr Leben getreten war.

      »Wie alt ist denn dein alter Freund?« rieß Sandro sie aus den Gedanken.

      »Nur einige Jahre älter als ich.«

      »Dann ist er nicht so alt wie Onkel Detlef. Ist er grauhaarig und dick? Ist er auch ein Bio-Bauer?«

      »Er ist Arzt in Brädrum. Nein, dick ist er nicht.« Sie mußte lachen. »Er wurschtelt gern in seinem Garten und hat sich gerade ein Segelboot gekauft. Sein Haus ist aber ziemlich alt. Du und ich werden unter dem Dache in einer Kammer schlafen müssen.«

      »Au Backe, das wird lustig!« meinte Sandro versöhnt und griff wieder nach einem der Comic-Hefte, die Klaudia für längere Fahrten für ihn im Auto bereithielt. Sandro liebte diese Hefte, denn Tante Bea duldete diesen »Schund« nicht in ihrem Haus.

      *

      Einmal im Monat zwang Detlef Barmfeld sich zum Bügeln eines einzigen Oberhemds. Und wie immer schwitzte er Blut und Wasser dabei. Mit ungelenken Fingern zupfte er das Hemd zurecht, um zum Schluß mit dem Eisen über den Kragen zu fahren. Natürlich entstanden durch das Zupfen wieder Falten im Vorderteil. Unwirsch stöhnend wischte er sich über die feuchte Stirn.

      »Achtundvierzig, Detlef. Das ist Rekord!« hörte er von unten rufen. »So viele Eier hatten wir noch nie an einem Sonnabend. Ich bring sie in den Kühlraum und mach mich dann auf den Weg. Morgen nachmittag komme ich wieder. Sie können also ruhig zu Ihren Verwandten nach Hamburg-Niendorf fahren.«

      »Komm hoch, Helmut!« brüllte Detlef zurück. »Du kriegst noch Geld von mir.« Er stellte das Eisen beiseite und fummelte einige Scheine aus seiner Hosentasche.

      Helmut, der junge Mann, der ihm täglich half, ließ sich nicht lange bitten, wenn es um Geld ging. Er strahlte über sein Milchbubigesicht, als er in Detlefs Zimmer trat. Wie immer herrschte hier eine wüste Unordnung, aber das störte ihn nicht, solange der kauzige Barmfeld seinen Betrieb so akkurat führte und immer an die Auszahlung des Stundenlohns dachte.

      Helmut strich den Fünfzigmarkschein feierlich zwischen seinen Händen glatt, Detlef zwang sich wieder an sein Oberhemd.

      »Wenn ich mir das mal erlauben darf, Detlef, das mit den guten Landeiern von freilaufenden Hühnern lohnt die Mühe doch gar nicht.«

      »Das wird schon, Helmut. Kleinvieh macht auch Mist.«

      »Aber so’n Mist macht auch ’ne Menge Arbeit. Ich helf gern, aber was kommt dabei raus? Sie können sich nicht mal acht Mark für ’n gebügeltes Hemd leisten. Soll ich nicht mal anpacken? Ich hab’ das Bügeln von meiner Mutter gelernt.«

      Detlef schüttelte den Graukopf. »In meiner Generation mußten die Söhne nicht bügeln. Aber ich schaff das schon.«

      »Schön wird ’s nicht«, wagte Helmut zu bemerken. »Na, für die Verwandten reicht’s wohl.«

      Das unfreundliche Brummen von Detlef verriet ihm, daß er jetzt besser verschwinde. Also wünschte Helmut einen schönen Pfingstsonntag und verdrückte sich. Als er ins Freie trat, rauschte gerade ein Kleinwagen heran. Darin saß eine sympathische Frau mit rötlichen Haaren.

      Helmut ging aufs Auto zu und winkte ab. »Eier gibt’s erst wieder nach den Feiertagen.«

      »Deswegen komme ich nicht. Ich möchte zu Herrn Barmfeld.« Beate stieg aus, ohne den jungen Mann weiter zu beachten. Aber der blieb wie angewachsen neben ihr stehen.

      »Der bügelt gerade sein gutes Hemd. Macht er immer um diese Zeit, einmal im Monat, bevor er seine Verwandten in Hamburg-Niendorf besucht. Wenn Sie ihn stören, kriegt er ’s garantiert nie glatt.«

      Noch mit dem Autoschlüssel in der Hand, fuhr Beate herum.

      »Was sagen Sie? Verwandte? Verwandte in Hamburg-Niendorf?«

      »Jawoll, meine Dame. Sein Vetter wohnt da, ist Lehrer und hat zwei Kinder. Ich weiß Bescheid. Einmal monatlich fährt Barmfeld hin.«

      »Nichts wissen Sie!« hätte Beate fast erwidert. Aber sie riß sich gerade noch zusammen, quälte sich ein vieldeutiges Lächeln ab und meinte, sie wisse schon, wo sie Herrn Barmfeld finde.

      Mit der Reisetasche in der einen, ihrem Lederbeutel in der anderen Hand betrat sie das schäbige Gebäude, das vor Jahren mal eine Scheune gewesen war und zwischen den Gemüsefeldern wie eine trutzige, aber verfallene und unansehnliche Burg wirkte. Die Hühnerställe, die Detlef im letzten Jahr gebaut hatte, nahmen dem Anblick nichts von seiner Häßlichkeit.

      Langsam stieg sie die Treppe zu Detlefs Junggesellenbude hoch und stand dann unter der Tür zu seinem Schlafzimmer. Er sah nicht von seiner Arbeit hoch, so mühte er sich

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