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verlegt worden und wird zumindest ein paar Tage in der Klinik bleiben müssen. Die Ärzte werden versuchen, sie davon zu überzeugen, daß sie eine Entziehungskur machen muß.«

      »Entziehungskur«, murmelte er.

      Sie sah ihn neugierig an. Von seiner gestrigen Aggressivität war nichts mehr zu spüren, sie hatte ihn sogar in Verdacht, daß er sich am liebsten entschuldigt hätte, aber so weit würde er wohl kaum gehen.

      »Ja«, bestätigte sie, »wie ich Ihnen schon sagte, ist Frau Roth alkohol- und drogenabhängig – wobei ich denke, daß der Alkohol das größere Problem ist. Wenn sie nicht aufhört zu trinken, wird sie bald nicht mehr leben.«

      »Und wird sie sich darauf einlassen?«

      »Wahrscheinlich nicht«, erklärte Stefanie sachlich. »Ihr liegt nichts mehr am Leben, deshalb trinkt sie. Ich glaube, sie sieht keinen Grund, damit aufzuhören.«

      »Wie kommt es, daß Sie so viel über sie wissen?«

      Stefanie war erstaunt. »Frau Roth kommt seit Jahren hierher, Herr Wingensiefen. Ich unterhalte mich jedesmal mit ihr, manchmal trinken wir sogar einen Kaffee miteinander, wenn es sich ergibt. Es bleibt nicht aus, daß man über die Jahre hinweg einiges über die Gäste erfährt.«

      Er schwieg, denn für ihn galt das nicht. Er wußte von den Prominenten im King’s Palace nur, was man in jeder Zeitung lesen konnte – und weniger bekannte Gäste nahm er erst gar nicht zur Kenntnis. Er war niemand, der sich übermäßig für andere Menschen interessierte.

      Bevor das Schweigen peinlich wurde, fragte er hastig: »Haben Sie die Absicht, Frau Roth in der Kurfürstenklinik zu besuchen? Ich will damit nicht sagen, daß das zu Ihren Aufgaben gehört – das ist natürlich nicht der Fall! Aber wenn Sie trotzdem daran denken sollten, dann…«

      Sie unterbrach sich. »Ich habe es tatsächlich vor, nur kann ich noch nicht genau sagen, wann es sich einrichten läßt. Heute ganz sicher nicht mehr, aber vielleicht morgen.«

      Er schien erleichtert zu sein. »Dann grüßen Sie sie bitte ganz herzlich von mir. Ja, und… Wie ist das denn mit der Suite, die sie bei uns bewohnt?«

      »Machen Sie sich darüber keine Sorgen«, Stefanies Stimme klang ein wenig spöttisch, »dem Hotel wird sicher kein Schaden durch Frau Roth entstehen.«

      »Na, schön. Dann will ich Sie nicht länger aufhalten, Frau Wagner. Auf Wiedersehen.«

      Er verschwand, und sie brauchte noch einige Sekunden, um sich von ihrer Überraschung zu erholen. Dieser kurze Besuch – war das nun seine Art gewesen, sich bei ihr zu entschuldigen?

      Es klopfte erneut, und ihre Sekretärin steckte den Kopf zur Tür herein. »Was hat er denn gewollt?« fragte sie mit gedämpfter Stimme. »Sich entschuldigen, weil er gestern so herumgebrüllt hat?«

      »So ähnlich«, antwortete Stefanie.

      »Tatsächlich? Er macht Fortschritte«, stellte die Sekretärin fest und verschwand.

      Stefanie aber wandte sich erneut ihrer Arbeit zu. Der Groll von gestern war vergessen, heute machte ihr alles, was sie tat, wieder den denkbar größten Spaß.

      *

      »Harter Tag, nicht?« fragte Adrian, als er abend mit Marc Weyrich langsam die Notaufnahme verließ. Julia Martensen und Bernd Schäfer gingen vor ihnen, in eine angeregte Diskussion vertieft.

      »Ja, das schon, aber mich stört das nicht«, erwiderte Marc. »Ich bin froh, wenn viel los ist – nur so lerne ich etwas.«

      »Ich war zwischendrin noch einmal bei Frau Roth«, berichtete Adrian, »vielen Dank übrigens, daß Sie sie vorhin auf die Innere gebracht haben, als es bei uns so chaotisch zuging.«

      »Das habe ich gern gemacht«, sagte Marc und sah unwillkürlich Janine Gerold vor sich.

      »Frau Roth ist nach wie vor störrisch«, meinte Adrian. »Ich kann nur hoffen, daß sich ihre Haltung bald ändert. Sie braucht Hilfe, und sie hat, meiner Meinung nach, nicht mehr sehr lange Zeit.«

      Marc nickte, in Gedanken noch immer bei den schönen grünen Augen der jungen Ärztin.

      Adrian sah ihn an und bemerkte den versonnenen Gesichtsausdruck des anderen. Er lachte leise. »Entschuldigen Sie, Herr Weyrich, daß ich immer noch von unseren Patienten rede – ich sehe, Sie sind in Gedanken schon ganz woanders.«

      Marc lächelte verlegen. Fast wäre ihm herausgerutscht, daß er zumindest, was den Ort betraf, keineswegs woanders war, aber das behielt er lieber für sich. Es war schon schlimm genug, daß er diese junge Ärztin den ganzen Tag lang nicht mehr aus dem Kopf bekommen hatte – er mußte das nicht auch noch anderen erzählen. Und so sagte er: »Ja, Sie haben recht, Herr Winter.»

      »Wie sieht sie denn aus?« fragte Adrian, und das Lächeln auf seinem Gesicht vertiefte sich.

      »Sie hat wunderschöne Augen«, rutschte es Marc heraus. »Ich habe noch nie so schöne Augen bei einer Frau gesehen.«

      Adrians Gesichtsausdruck veränderte sich, denn ihm fiel Stefanie Wagner ein, die Frau mit den veilchenblauen Augen, mit der er morgen zum Essen verabredet war. Würde er es dann endlich schaffen, sie nach diesem Mann zu fragen, den er für ihren Freund hielt?

      Er merkte, daß Marc Weyrich ihm offenbar eine Frage gestellt hatte und fragte verlegen: »Wie bitte? Entschuldigen Sie, ich war mit meinen Gedanken gerade woanders.«

      »Ich habe gefragt, ob ich etwas Falsches gesagt habe«, erklärte Marc unsicher. »Irgendwie hatte ich den Eindruck.«

      »Nein, nein«, beeilte sich Adrian zu erklären, »keineswegs. Ich habe nur gerade an etwas denken müssen, das mir zu schaffen macht – aber das hat nichts mit dem zu tun, was Sie gesagt haben.« Das war nicht die Wahrheit, aber es beruhigte den jungen Kollegen aus Heidelberg sichtlich, und das war Adrians Absicht gewesen. Um das Thema zu wechseln, fragte er: »Haben Sie nicht morgen frei?«

      Marc nickte. »Ja, ich werde mir Berlin ein wenig ansehen.«

      »Und was haben Sie sich speziell vorgenommen?«

      Jetzt lachte Marc. »Alles!« sagte er. »Aber anfangen werde ich mit dem Zoo. Können Sie sich vorstellen, daß ich bisher noch nicht ein einziges Mal im Zoo war?«

      »Eigentlich nicht«, sagte Adrian, aber im selben Moment fiel ihm ein, daß er dem Zoo auch schon mindestens zwanzig Jahre lang keinen Besuch mehr abgestattet hatte. »Dann viel Spaß morgen.«

      »Sehen Sie mal nach Frau Roth?« fragte Marc. »Ich… ich mache mir Sorgen um sie, muß ich sagen.«

      »Ja, ich auch«, erwiderte Adrian. »Natürlich sehe ich nach ihr, Herr Weyrich.«

      Sie gingen ein wenig schneller und hatten gleich darauf Julia und Bernd erreicht, an deren Debatte über einen umstrittenen Kollegen sie sich beteiligten, bis sie sich vor der Klinik alle voneinander verabschiedeten, um ihren jeweiligen Heimweg anzutreten.

      *

      »Wieso gehen Sie nicht nach Hause?« fragte Alida ihre junge »Bewacherin«, wie sie Janine insgeheim nannte. »Sie sind den ganzen Tag hier gewesen, Ihr Dienst muß doch allmählich zu Ende sein.«

      »Wollen Sie mich loswerden, Frau Roth?« fragte Janine lächelnd und setzte sich an das Bett ihrer Patientin.

      »Ja!« antwortete Alida kurz und bündig. Sie sah ein wenig besser aus, das Gesicht hatte mehr Farbe, die Schatten unter den Augen waren nicht mehr so dunkel.

      »Dann bleibe ich noch«, erklärte Janine ruhig. »Mir scheint, es wäre nicht gut, Sie jetzt allein zu lassen. Wenn es dunkel ist, werden Sie noch ruhiger, das habe ich schon gemerkt.«

      »Sie halten sich wohl für ganz besonders schlau, was?« fragte Alida böse. »Lassen Sie mich doch endlich in Ruhe mit Ihrer sanften Stimme und Ihrem freundlichen Lächeln. Ich will Sie nicht mehr sehen, Frau Dr. Gerold!«

      »Dann machen Sie die Augen zu«, rief Janine gelassen.

      Das

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