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ihm gebracht hatten.

      Des Grassins blieb in Paris aus folgenden Gründen: Zunächst war er zum Deputierten ernannt worden; ferner verliebte er sich – er, der Familienvater, den das Leben in Saumur freilich längst gelangweilt hatte – in Florine, eine der hübschesten Schauspielerinnen vom Théâtre de Madame; bei dem Bankier brach der ehemalige Quartiermeister wieder durch. Es ist überflüssig, von seinem Betragen zu reden; es wurde in Saumur als äußerst unmoralisch angesehen. Seine Frau war froh, daß sie mit ihm keine Gütergemeinschaft hatte und Erfahrung genug besaß, um das Haus in Saumur selbständig zu leiten. Die Geschäfte wurden nun unter ihrem Namen weitergeführt, um die Lücke, welche die Tollheiten des Grassins' ihrem Vermögen geschlagen hatten, wieder auszufüllen. Die Cruchotaner wußten die schlimme Lage der armen Frau, die gleichsam Witwe war, so gut auszunutzen, daß sie ihre Tochter recht schlecht verheiratete und für ihren Sohn auf die Verbindung mit Eugénie Grandet verzichten mußte. Adolphe ging zu seinem Vater nach Paris und wurde dort, wie man sagt, ein recht schlimmer Bursche. Die Cruchots triumphierten.

      »Ihr Gatte ist nicht bei Sinnen«, sagte Grandet, als er Madame des Grassins, gegen Sicherheit natürlich, eine gewisse Summe borgte. »Ich bedauere Sie aufrichtig, Sie sind eine gute kleine Frau.«

      »Ach Monsieur«, erwiderte die arme Frau, »wer hätte denken können, daß er damals, als er von Ihnen Abschied nahm, um nach Paris zu gehen, geradenwegs in sein Unglück rannte?«

      »Der Himmel ist mein Zeuge, Madame, daß ich bis zuletzt alles getan habe, um ihn von dieser Reise abzuhalten. Monsieur le Président wollte ihm diese Sache durchaus abnehmen; aber er bestand darauf, selbst hinzureisen, und wir wissen ja nun weshalb.« So empfand also Grandet nicht die geringste Dankbarkeit für die des Grassins.

      In allen Lebenslagen hat die Frau mehr Schmerz und Kummer als der Mann und leidet mehr als er. Der Mann hat seine Kraft und kann seine Macht bestätigen, er handelt, er kommt und geht, beschäftigt sich, denkt, er umarmt die Zukunft und findet darin Trost. So machte es Charles. Die Frau aber bleibt zurück, steht dem Kummer von Angesicht zu Angesicht gegenüber, nichts zerstreut sie; sie steigt bis in die Tiefen des Abgrunds hinab, der sich vor ihr aufgetan hat, der unermeßlich ist, wie ihre Gelübde und ihre Tränen. So machte es Eugénie. Sie überließ sich ihrem Schicksal. Fühlen, lieben, leiden, sich aufopfern – das wird immer das Leben der Frauen ausmachen. Eugénie sollte ganz und gar Frau werden; für sie gab es nur Leid und keine Tröstungen. Ihr Glück war, um Bossuets herrlichen Ausspruch anzuwenden, zusammengehäuft wie die spitzen Nägel auf dem Mauerrand, und wurde doch niemals so viel, um ihr auch nur die hohle Hand zu füllen. Der Kummer läßt nie auf sich warten, und für sie kam er gar bald.

      Am Tage nach Charles' Abreise nahm das Haus Grandet für alle sein altes Gesicht wieder an, ausgenommen für Eugénie, die es plötzlich öde und leer fand. Ohne daß ihr Vater darum wußte, verlangte sie, Charles' Zimmer solle genau in dem Zustand bleiben, wie er es verlassen hatte. Madame Grandet und Nanon machten sich dabei willig zu Mitschuldigen. »Wer weiß, ob er nicht viel früher zurückkommt, als wir glauben?« sagte sie.

      »Ja, ich würde ihn gern wieder hier sehen«, erwiderte Nanon. »Ich hatte mich schon an ihn gewöhnt! Das war ein recht sanfter, recht guter junger Mann, sozusagen hübsch und gutmütig wie ein Mädchen.«

      Eugénie sah Nanon an.

      »Heilige Jungfrau, Mademoiselle, Sie machen ein Paar Augen, als hätten Sie Ihre Seele hingegeben! Sie dürfen die Leute nicht so ansehen!«

      Seit diesem Tage wurde die Schönheit von Mademoiselle Grandet von neuer, tieferer Art. Die traurigen Liebesgedanken, die nach und nach ihre Seele einspannen, die Würde der Frau, die sich geliebt weiß, gaben ihren Zügen jenes Strahlen, das die Maler durch einen Heiligenschein versinnbildlichen. Vor der Ankunft ihres Cousins glich Eugénie der heiligen Jungfrau vor der Verkündigung; nach seiner Abreise glich sie der Jungfrau-Mutter: sie hatte die Liebe empfangen. Diese beiden Marien, die einige spanische Maler so verschieden und so herrlich dargestellt haben, bilden eine der strahlendsten Gestalten im bilderreichen Christentum.

      Auf dem Heimweg von der Messe, zu der sie am Tage nach Charles' Abreise ging und wohin alltäglich zu gehen sie den Schwur getan hatte, kaufte sie beim Buchhändler eine Weltkarte, die sie neben ihrem Spiegel an die Wand nagelte. Nun konnte sie ihrem Cousin auf seiner Reise nach Indien folgen, konnte morgens und abends ein wenig zu ihm auf das große Schiff steigen, ihm tausend Fragen stellen, zu ihm sagen: ›Geht es dir gut? Leidest du nicht? Denkst du auch an mich, wenn du jenen Stern erblickst, dessen Schönheit und dessen Zweck du mich kennen gelehrt hast?‹

      Später am Vormittag saß sie gedankenvoll unter dem Nußbaum auf der wurmstichigen, moosbewachsenen Bank, wo sie einander soviel Zärtlichkeiten gesagt hatten, soviel Kindereien, und wo sie die Luftschlösser bauten für ihr zukünftiges Leben. Sie saß und dachte an die Zukunft und blickte zu dem Stückchen Himmel hinauf, das die Wallmauern ihrer Sehnsucht offen ließen; und ihr Blick schweifte hinauf zum Dachgiebel, unter dem Charles' Zimmer lag. Es war die einsame große Liebe in ihr, die wahre Liebe, die beständig ist, die alle Gedanken beherrscht und zum Inhalt oder, wie unsere Väter gesagt haben würden, zum Stoff des Lebens wird.

      Wenn am Abend die sogenannten Freunde Grandets kamen, um ihr gewohntes Spiel zu machen, war sie heiter; sie heuchelte. Den ganzen Vormittag aber plauderte sie mit ihrer Mutter und Nanon von Charles. Nanon hatte begriffen, daß sie an den Leiden ihrer jungen Herrin teilnehmen konnte, ohne die Pflichten gegen ihren alten Schutzherrn zu verletzen, und sie sagte zu Eugénie: »Wenn ich einen Mann für mich gehabt hätte, ich wäre ihm – bis in die Hölle hinein gefolgt. Ich hätte ihn – ach, ich wäre für ihn gestorben; aber – nichts, gar nichts! Ich werde sterben, ohne zu wissen, was das Leben ist. Denken Sie sich nur, Mademoiselle, der alte Cornoiller, der ja ein ganz guter Kerl ist, stellt mir nach, weil er weiß, daß ich mir etwas erspart habe, gerade so, wie alle herkommen und Ihnen den Hof machen und doch nur nach dem Schatz des Herrn schielen. Ich sehe das sehr wohl; denn wenn ich auch groß und dick bin wie ein Turm, so bin ich doch sehr feinfühlig. Nun sehen Sie, Mademoiselle, wenn das auch nicht die Liebe ist, so macht es mir doch Freude.«

      So gingen zwei Monate hin. Das früher so einförmige häusliche Leben der drei Frauen war nun reicher und lebhafter geworden durch das ungeheure Geheimnis, das sie verband. Für sie lebte Charles noch immer hier, ging ein und aus in diesem großen Saal mit dem grauen Gebälk. Morgens und abends öffnete Eugénie die Truhe und betrachtete das Bild ihrer Tante. Eines Sonntagmorgens überraschte sie ihre Mutter, als sie in den Zügen des Bildnisses nach einer Ähnlichkeit mit Charles suchte. Madame Grandet wurde nun in das entsetzliche Geheimnis eingeweiht – in den Tausch von Eugénies Ersparnissen gegen die zwei kleinen Porträts.

      »Du hast ihm alles gegeben?« sagte die Mutter verstört. »Was willst du denn am Neujahrstag deinem Vater sagen, wenn er das Gold sehen will?«

      Eugénies Augen wurden starr, und die beiden Frauen waren den ganzen Vormittag im Bann eines tödlichen Schreckens. Sie waren so verwirrt, daß sie das Hochamt versäumten und nur zur kurzen Messe gingen. In drei Tagen ging das Jahr 1819 zu Ende. In drei Tagen sollte etwas Schreckliches geschehen, ein bürgerliches Trauerspiel ohne Gift und Dolch und ohne Blutvergießen, das aber denen, die es erlebten, grausamer schien als alle Tragödien, die sich im erlauchten Hause der Atriden abspielten.

      »Was soll aus uns werden?« sagte Madame Grandet zu ihrer Tochter und ließ ihr Strickzeug in den Schoß fallen.

      Die arme Mutter hatte seit zwei Monaten soviel Unruhe erlebt, daß die wollenen Überärmel, die sie für den Winter nötig hatte, noch nicht fertig geworden waren. Diese so unscheinbare kleine Tatsache hatte für sie gar traurige Folgen. Da ihr die warme Hülle fehlte, wurde sie bei einem Angstschweiß, den ein Zornesausbruch ihres Mannes ihr verursachte, von einer heftigen Erkältung erfaßt.

      »Mein armes Kind, hättest du mir dein Geheimnis anvertraut, so hätten wir Zeit gehabt, nach Paris an Monsieur des Grassins zu schreiben. Er hätte uns den deinigen ähnliche Goldstücke schicken können, und obgleich Grandet sie gut kennt, wäre es vielleicht . . .«

      »Aber wo hätten wir denn so viel Geld hernehmen sollen?«

      »Ich hätte mein Vermögen verpfändet. Übrigens hätte wohl auch Monsieur des Grassins uns . . .«

      »Es

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