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mir wenigtens einige Zerstreuungen zu verschaffen. Nachdem er mir monatelang ein Vergnügen versprochen hatte, führte er mich in die Bouffons, in ein Konzert, auf einen Ball, wo ich eine Geliebte zu finden hoffte. Eine Geliebte! Das hieß für mich Unabhängigkeit. Aber verschämt und schüchtern, wie ich war, weder die Sprache der Salons noch irgend jemanden dort kannte, kehrte ich stets mit demselben unerfahrenen, von unerfüllten Wünschen übervollem Herzen wieder nach Hause zurück. Am nächsten Morgen mußte ich dann, von meinem Vater wie ein Schwadronspferd an der Kandare gehalten, von früh an erst zu einem Advokaten, dann in die Fakultät, dann in den Justizpalast. Hätte ich versucht, von dem einförmigen Weg, den mein Vater mir vorgezeichnet hatte, abzuweichen, hätte ich seinen Zorn auf mich geladen; er hatte mir gedroht, mich bei meinem ersten Vergehen als Schiffsjunge nach den Antillen einzuschiffen. Wenn ich dennoch gelegentlich wagte, mich dieser Gefahr auszusetzen, auf ein oder zwei Stunden, für irgendein harmloses Vergnügen, so stand ich furchtbare Angst dabei aus. Stell dir vor, die schwärmerischste Phantasie, das liebevollste Herz, das zärtlichste Gemüt, den poetischsten Geist immerfort dem unnachgiebigsten, sauertöpfischsten, kältesten Menschen der Welt ausgesetzt; kurzum, verheirate ein junges Mädchen mit einem Skelett, und du wirst die merkwürdigen Szenen eines solchen Daseins verstehen, die ich dir nur andeuten kann: Fluchtpläne, die beim Anblick meines Vaters zunichte wurden, Verzweiflungsausbrüche, die der Schlaf besänftigte, unterdrückte Wünsche und finstere Schwermut, die in der Musik Linderung fanden. Ich verströmte mein Unglück in Melodien. Mozart oder Beethoven waren häufig meine verschwiegenen Vertrauten. Heute muß ich lächeln, wenn ich mich all der Vorurteile erinnere, die mein Gewissen in dieser Periode der Unschuld und Tugend beunruhigten. Den Fuß in eine Gaststätte zu setzen, hätte ich für mein Verderben gehalten. Ein Café malte ich mir als einen Ort des Lasters aus, wo die Männer ihre Ehre einbüßen und ihr Vermögen aufs Spiel setzen. Geld beim Spiel zu riskieren, dazu hätte ich freilich erst welches haben müssen. Oh! selbst wenn es dich einschläfern sollte, will ich dir doch eine der schrecklichsten Freuden meines Lebens erzählen, eine jener Freuden, die sich mit Krallen in unser Herz bohren, wie ein glühendes Eisen in die Schulter eines Sträflings. Ich war auf dem Ball des Duc de Navarreins, einem Cousin meines Vaters. Damit du meine Situation völlig begreifen kannst, mußt du wissen, daß ich einen schäbigen alten Rock trug, plumpe Schuhe, eine Kutscherkrawatte und abgetragene Handschuhe. Ich hatte mich in eine Ecke gestellt, um nach Herzenslust Eis essen zu können und die hübschen Frauen anzusehen. Mein Vater entdeckte mich. Aus einem Grund, den ich niemals erraten habe, so sehr verblüffte mich dieser Vertrauensakt, gab er mir seine Börse und seine Schlüssel zum Aufbewahren. Zehn Schritte von mir entfernt spielten einige Herren. Ich hörte das Gold klingen. Ich war zwanzig und von dem Wunsch beseelt, einmal einen ganzen Tag lang den Lastern meines Alters zu huldigen. Meine Phantasie nährte Sehnsüchte, wie man ihresgleichen wohl kaum in den Gelüsten der Kurtisanen oder in den Träumen der jungen Mädchen findet. Seit einem Jahr träumte ich davon, elegant gekleidet im Wagen zu fahren, eine schöne Frau an meiner Seite, den großen Herrn zu spielen, bei Véry zu dinieren, am Abend ins Schauspiel zu gehen, entschlossen, erst am nächsten Tag zu meinem Vater zurückzukehren und dann gegen ihn mit einem Abenteuer gewappnet zu sein, verwickelter als die Hochzeit des Figaro, so daß er mir unmöglich auf die Schliche kommen könnte. Dieses ganze Vergnügen hatte ich auf 50 Taler geschätzt. Stand ich nicht noch unter dem kindlichen Zauber des Schulschwänzens? Ich ging also in ein Boudoir, wo ich allein war, und zählte mit brennenden Augen und zitternden Fingern das Geld meines Vaters: 100 Taler! Von dieser Summe heraufbeschworen, umtanzten mich die Glücksbilder meines erträumten Streiches wie die Hexen Macbeths ihren Kessel, aber verlockend, berauschend, verführerisch. Ich ward zum tollkühnen Schelm. Ohne auf das Klingen in meinen Ohren noch auf das rasende Klopfen meines Herzens zu achten, nahm ich zwei 20-Francs-Stücke, die ich noch heute vor mir sehe. Ihre Jahreszahlen waren abgegriffen, und das Bild Bonapartes glotzte mir entgegen. Ich steckte die Börse in meine Tasche, trat an einen Spieltisch; die beiden Goldstücke in meiner feuchten Hand, umkreiste ich die Spieler wie ein Sperber den Hühnerstall. Von unbeschreiblichen Ängsten gepeinigt, warf ich rasch einen scharfen Blick um mich. Nachdem ich mich vergewissert hatte, von keinem meiner Bekannten bemerkt worden zu sein, setzte ich auf das Spiel eines kleinen, fetten, lustigen Mannes, auf dessen Kopf ich mehr Gebete und Gelübde häufte, als während dreier Stürme auf dem Meer zum Himmel geschickt werden. Dann pflanzte ich mich mit einem für mein Alter überraschenden Instinkt von Verruchtheit oder Machiavellismus an einer Tür auf, ließ meinen Blick durch die Salons streifen, ohne etwas darin wahrzunehmen. Meine Seele und meine Augen schwebten über dem verhängnisvollen grünen Tisch. Von jenem Abend datiert die erste physiologische Beobachtung, der ich jene eigentümliche durchdringende Geistesschärfe verdanke, die mir einige Geheimnisse unserer Doppelnatur enthüllt hat. Ich drehte dem Tisch den Rücken zu, von dem mein zukünftiges Glück abhing, ein Glück um so tiefer vielleicht, als es verbrecherisch war; zwischen den beiden Spielern und mir befand sich eine vier oder fünf Reihen dichte Mauer aus plaudernden Menschen. Stimmengemurmel verhinderte, daß man den Klang des Goldes unterscheiden konnte, der sich mit der Musik des Orchesters mischte; doch mit der den Leidenschaften eigenen Macht, Zeit und Raum aufzuheben, hörte ich allen diesen Hindernissen zum Trotz deutlich die Worte der beiden Spieler; ich kannte ihre Stiche, ich wußte, welcher von den beiden den König aufdeckte, als ob ich die Karten gesehen hätte; kurzum, zehn Schritte von dem Spiel entfernt, erbleichte ich bei seinen unvorhergesehenen Wendungen. Mein Vater ging plötzlich an mir vorbei, und da verstand ich das Wort der heiligen Schrift: »Der Geist Gottes ging an ihm vorüber!« Ich hatte gewonnen. Behend wie ein Aal, der durch die zerrissene Masche eines Netzes entkommt, schlängelte ich mich hurtig durch das die Spieler umwogende Gedränge zum Tisch. Die schmerzhafte Anspannung meiner Nerven löste sich in Freude auf. Ich fühlte mich wie ein Verurteilter, der auf dem Wege zum Richtplatz dem König begegnet ist. Zufällig fehlten einem ordensgeschmückten Herrn 40 Francs, auf die er Anspruch hatte. Mißtrauische Blicke richteten sich argwöhnisch auf mich, ich erbleichte, und Schweißtropfen perlten von meiner Stirn. Das Verbrechen, meinen Vater bestohlen zu haben, schien mir gerächt. Da sagte der gute dicke kleine Mann mit einer wahrhaft engelgleichen Stimme: »Diese Messieurs hier hatten alle gesetzt«, und er bezahlte die 40 Francs. Nun erhob ich meine Stirn wieder und warf triumphierende Blicke auf die Spieler. Nachdem ich die der Börse meines Vaters entwendeten Goldstücke wieder ersetzt hatte, ließ ich meinen Gewinn bei dem würdigen, biederen Herrn stehen, dessen Glückssträhne anhielt. Als ich 160 Francs besaß, wickelte ich sie in mein Taschentuch, so daß sie auf unserem Nachhauseweg nicht aneinander klingen konnten, und spielte nicht mehr. – »Was haben Sie beim Spiel gemacht?« fragte mein Vater mich, als wir in die Droschke stiegen. – »Ich sah zu«, antwortete ich zitternd. – »Nun«, fuhr mein Vater fort, »es wäre nicht schlimm gewesen, wenn Sie sich aus Eigenliebe hätten dazu verleiten lassen, auch einen kleinen Einsatz zu wagen. In den Augen der Welt scheinen Sie alt genug, um Dummheiten begehen zu dürfen. Auch würde ich es entschuldigen, Raphael, wenn Sie sich meiner Börse bedient hätten …« Ich antwortete nicht. Zu Hause gab ich meinem Vater seine Schlüssel und sein Geld zurück. Er ging in sein Zimmer, leerte die Börse auf dem Kaminsims, zählte das Geld, wandte sich mit einer recht liebenswürdigen Miene zu mir und sagte, wobei er nach jedem Satz eine mehr oder minder lange, bedeutsame Pause einlegte: »Mein Sohn, Sie sind nun bald zwanzig Jahre alt. Ich bin mit Ihnen zufrieden. Sie brauchen ein Taschengeld, sei es auch nur, Sie sparen und die Dinge des Lebens kennen zu lehren. Von heute ab gebe ich Ihnen 100 Francs monatlich. Sie können darüber verfügen, wie es Ihnen beliebt. Hier ist das Geld für die ersten drei Monate«, fügte er hinzu, indem er mit der Hand sacht über eine Rolle Goldes fuhr, als wollte er die Summe nochmals überprüfen. Ich gestehe, daß ich nahe daran war, mich ihm zu Füßen zu werfen, ihm zu bekennen, daß ich ein Dieb, ein Nichtswürdiger, und … schlimmer als das, ein Lügner wäre. Die Scham hielt mich davon ab. Ich wollte ihn umarmen, er schob mich sanft zurück. – »Du bist jetzt ein Mann, mein Kind«, sagte er zu mir. »Was ich tue, ist einfach gerecht, wofür du mir nicht zu danken hast. Wenn ich ein Recht auf Ihre Dankbarkeit habe, Raphael«, fuhr er mit einem sanften, aber würdevollen Ton fort, »so ist es dafür, daß ich Ihre Jugend vor den Gefahren bewahrt habe, denen alle jungen Leute in Paris zum Opfer fallen. Von jetzt an werden wir Freunde sein. In einem Jahr sind Sie Doktor der Rechte. Sie haben sich, nicht ohne einige Unannehmlichkeiten und mancherlei Entbehrungen, solide Kenntnisse und die Liebe zur Arbeit angeeignet, unentbehrlich für Männer, die zu leitenden Stellungen berufen sind.
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