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meinetwegen, da du dir's in den Kopf gesetzt hast«, sagte Grandet, sie an den Schultern vorwärtsschiebend; »aber sieh dich vor, daß du nicht einen Brand verursachst.«

      Dann stieg der Geizhals mit unverständlichem Gebrumm die Treppe hinunter.

      Charles blieb verdutzt inmitten seiner Koffer stehen. Er warf einen Blick auf die Wände der Mansarde, die mit billiger gelbgeblümter Tapete beklebt waren, auf den Kamin aus kanneliertem Kalkstein, den man nicht ansehen konnte, ohne zu frösteln, auf die gelblackierten Rohrstühle, auf den riesigen Nachttisch, auf dem ein Kavalleriesergeant ganz gut hätte seine Volten reiten können, auf den magern Teppichstreifen, der vor einem Bett lag, dessen mottenzerfressene Vorhänge zitterten, als wollten sie jeden Augenblick herunterfallen. Dann sah er ernst zur Großen Nanon hinüber und sagte: »Hören Sie, liebes Kind, bin ich hier wohl bei Monsieur Grandet, dem früheren Bürgermeister von Saumur, Bruder des Monsieur Grandet in Paris?«

      »Jawohl, Monsieur! Bei dem nettesten, freundlichsten Menschen, ja bei dem allerbesten Menschen, den es geben kann! Soll ich Ihnen helfen, die Koffer auszupacken?«

      »Wahrhaftig, alter Bursche, das wäre ganz annehmbar. Haben Sie nicht bei der Marine der kaiserlichen Garde gedient?«

      »Oh, oh, oh, oh!« sagte Nanon, »was ist das, Marine? Ist es eingesalzen, fährt es auf dem Wasser?«

      »Hier, holen Sie mir aus dem Koffer meinen Schlafrock. Hier ist der Schlüssel.«

      Nanon war ganz hingerissen von diesem grünseidenen Schlafrock mit goldgewirkten Blumen.

      »Das werden Sie zum Schlafen anziehen?« fragte sie.

      »Ja.«

      »Heilige Jungfrau! Welch schöne Altardecke könnte das abgeben! Aber, mein lieber, hübscher junger Monsieur, geben Sie doch das der Kirche! Sie würden damit Ihre Seele retten, so aber werden Sie sie verlieren. Oh! wie hübsch Sie so aussehen! Ich will doch Mademoiselle holen, damit sie Sie so sieht.«

      »Hören Sie mal, Nanon – so heißen Sie ja wohl –, halten Sie jetzt den Mund! Lassen Sie mich nun schlafen. Ich werde meine Sachen morgen auspacken. Und wenn Ihnen mein Rock so gut gefällt, so sollen Sie Gelegenheit haben, Ihre Seele zu retten. Ich bin ein guter Christ; wenn ich wieder abreise, so sollen Sie ihn zum Geschenk erhalten, und dann können Sie damit machen, was Sie wollen.«

      Nanon blieb wie angewurzelt stehen und starrte Charles an, sie konnte seinen Worten nicht glauben.

      »Mir diesen ganzen Staat schenken?« sagte sie im Abgehen. »Er träumt schon, der junge Monsieur. Gute Nacht!«

      »Gute Nacht, Nanon!«

      ›Was soll ich eigentlich hier?‹ fragte sich Charles im Einschlafen. ›Mein Vater ist kein Tropf; meine Reise muß irgendeine Bewandtnis haben. Still! Ernste Geschäfte auf morgen! sagte irgend so ein griechischer Esel.‹

      ›Heilige Jungfrau! Wie hübsch er ist, mein Cousin!‹ unterbrach sich Eugénie in ihrem Nachtgebet, das an diesem Abend unbeendigt blieb.

      Madame Grandet dachte gar nichts, als sie schlafen ging. Durch die Tür, die ihr Zimmer mit dem des Geizhalses verband, hörte sie ihn drüben unablässig auf und ab gehen. Wie alle schüchternen Frauen hatte sie den Charakter ihres Eheherrn genau studiert und kannte alle seine Schwankungen. So wie die Seemöwe den Sturm vorausempfindet, ahnte sie an allerlei kaum merklichen Zeichen den Orkan voraus, der in Grandet tobte, und aus Vorsicht verhielt sie sich nun totenstill. Grandet blickte auf die Tür, die in sein Geheimkabinett führte und die innen mit Eisenblech beschlagen war, und dachte: ›Welch verrückte Idee meines Bruders, mir sein Kind zu vermachen. Schöne Erbschaft das! Ich habe keine zwanzig Taler zu verschenken. Aber was sind zwanzig Taler für so einen Gecken? Wie er mein Barometer anstarrte, so, als wollte er es gleich in den Ofen stecken.‹

      Als Grandet jetzt über die Konsequenzen dieses leidvollen Testamentes nachdachte, war er vielleicht aufgeregter, als sein Bruder gewesen sein mochte, als er das Testament verfaßte.

      ›Ich werde das goldene Kleid bekommen? . . .‹ dachte Nanon, die sich im Traum mit dem Altartuch bekleidet sah und von Blumen und Stoffen, Damast und Brokat träumte – zum erstenmal in ihrem Leben, wie Eugénie zum erstenmal von der Liebe träumte.

      Im reinen und einförmigen Leben der jungen Mädchen kommt einmal eine köstliche Stunde, da die Sonne ihre Strahlen in ihre Seele gießt, da die Blumen ihnen wie lebende Gedanken sind und das Blut des Herzens wie warme befruchtende Kraft zum Hirn strömt und den Gedanken umformt zu unbestimmtem Wünschen – ein Tag voll unschuldiger Melancholie und lieblicher Freuden! Wenn die Kinder sehen gelernt haben, so lächeln sie; wenn ein junges Mädchen die Sentimentalität in der Natur empfindet, lächelt sie dieses Kinderlächeln. Wenn das Licht die erste Liebe des Lebens ist, ist nicht die Liebe das Licht des Herzens? Für Eugénie war der Augenblick gekommen, die Dinge des Lebens klar zu sehen.

      Wie alle Provinzmädchen Frühaufsteherin, erhob sie sich zeitig, verrichtete ihre Morgenandacht und begann ihre Toilette – eine Beschäftigung, die fürderhin Sinn und Vernunft haben würde. Zunächst glättete sie ihr kastanienbraunes Haar, wand es mit größter Sorgfalt in dicken Zöpfen um den Kopf und achtete wohl darauf, daß die einzelnen Haare nicht aus den Flechten sprangen; sie legte in ihre Frisur eine Symmetrie, die die schlichte Reinheit ihres Antlitzes vorteilhaft hob, da sie ihren kindlichen Zügen einen einfach-edlen Rahmen gab. Sie wusch sich die Hände lange und eifrig in klarem Wasser, das ihre Haut rötete und spröde machte; bei dieser Gelegenheit betrachtete sie ihre schönen runden Arme und fragte sich, wie es der Cousin wohl anstelle, so zarte, weiße Hände, so wohlgeformte Nägel zu haben. Sie zog ein Paar ganz neue Strümpfe und ihre hübschesten Schuhe an. Sie schnürte sich fest, ohne ein Schnürloch zu überspringen. Zum erstenmal in ihrem Leben hatte sie den Wunsch, möglichst vorteilhaft zu erscheinen, und sie wußte daher das Glück zu schätzen, ein neues, hübsch gemachtes Kleid zu besitzen, das ihr wirklich gut stand.

      Als ihre Toilette beendet war, hörte sie die Kirchenuhr schlagen und verwunderte sich, nicht mehr als sieben Schläge zu vernehmen. Der Wunsch, genügend Zeit zu haben, um sich sorgfältig anzukleiden, hatte sie zu früh aus dem Bett getrieben. Da sie die Kunst nicht kannte, eine Haarlocke zehnmal anders zu legen und die Wirkung zu prüfen, setzte sie sich ans Fenster, kreuzte zufrieden die Arme und blickte in den Hof, auf den engen Garten und die Terrassen, die diesen abschlossen.

      Das alles sah melancholisch und eng aus, entbehrte aber nicht jener eigenartigen Schönheit, die eine Eigentümlichkeit öder Landschaften und ungepflegter Gärten ist. Nahe bei der Küche befand sich ein von großen Steinen eingefaßter Brunnen, dessen Zugwinde von einem eisernen Bogen herabhing. Diesen Eisenreifen hatte eine Rebe sich zur Stütze ausersehen, und sie umschlang ihn mit welken, schlaffen, rot verdorrten Armen, denn es war Herbst. Von da schwang sich die biegsame Ranke zur Hausmauer, lief am ganzen Hause entlang und landete auf einem Holzschuppen, wo das Holz so ordentlich aufgeschichtet lag wie etwa der Bücherschatz eines Bibliophilen.

      Das Pflaster des Hofes wies dunkle Flecke auf: Moos und Grasbüschel oder Unebenheiten des Bodens. Die starken Mauern zeigten ihr grünes, stellenweise braun geflecktes Kleid, und die acht Treppenstufen, die von der Tiefe des Hofes zur Gartentür hinaufführten, waren zerbrochen und ganz begraben unter hohen Pflanzen – wie das Grab eines Ritters, den seine Witwe zur Zeit der Kreuzzüge beerdigt hatte. Über einigen ausgehöhlten verwitterten Steinen erhob sich ein von der Zeit morsches Lattentor, das kaum noch in den Angeln hing, aber von allerlei Schlinggewächs üppig umrankt war. Die beiden Seiten der Tür wurden von den gewundenen Ästen zweier verkrüppelter Apfelbäume eingerahmt. Drei parallel laufende, kiesbestreute Wege trennten die von Buchsbaum eingefaßten Beete; am Ende der Gartenterrasse erhoben sich ein paar schattige Lindenbäume. An der einen Seite standen Himbeerbüsche, an der andern ein riesiger Nußbaum, der seine Äste bis über das Arbeitszimmer des Böttchers breitete. Ein klarer Tag und die an den Ufern der Loire so liebliche Herbstsonne begannen den Reif zu schmelzen, mit dem die Nacht dies malerische Bild, das Mauerwerk und die Pflanzen im Hof und im Garten behangen hatte.

      Eugénie fand in der Betrachtung dieser so gewohnten Dinge ganz neue Reize. Tausend bunte Gedanken erwachten in ihrer Seele, wuchsen und wurden heißer und kräftiger, gleich den Sonnenstrahlen draußen im Freien.

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