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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger
Читать онлайн.Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Год выпуска 0
isbn 9788075837325
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Viele vom Sturme gebrochene Stämme liegen unter dem Schnee und strecken völlig gespensterhaft einzelne Äste heraus, so wie man sagt, daß manchmal aus dem Grabe der Erschlagenen eine drohende Hand wächst. Daneben steht der Strunk und hat eine Schneemütze über seine Splitter gedrückt. Dort wölbt sich ein rundes Hügelches, ein Küppelchen auf. Darunter ein Junges, ein kleiner Tannling, träumend die ferne Zeit, da mitten im Winter die jungen Tannlinge auferstehen werden aus dem Schnee, um kindlichen Augen und Herzen zur Lust in einer Flammenkrone zu strahlen. Denn eine Zeit wird sein dereinst in deutschen Landen, in welcher durch die Winternebel nieder die Sterne des Himmels gleiten, in welcher die Lichter, die von Bergen und aus Waldschluchten nächtig der Kirche zueilen, um des lieben Herrn Christi Geburt zu feiern, herbeiflimmern und sich versammeln werden – wie im Frühling die aus sonnigen Strichen kommende Vögleinschaar – um den grünen Wipfel, der im Heime des Menschen steht.
Um die Quelle, die im Sommer lebendig sprudelte aus moosigem Gestein, haben die Flocken kunstvoll sinnig, wie Bienen Zellen bauen, ein Gewölbe gemauert, ein Brunnenhaus, unter welchem, von grüner Kresse noch umkränzt, kaum hörbar das Wässerlein murmelt.
Und so legt sich das endlose Schneetuch hin über Auen und Wälder, und die Tannen stehen in ungezählten weißen, schwarzgesprenkelten Zacken und Spitzen empor, wie ein ungeheurer Dom der Gothen.
In den Thälern ruht das Grau des Nebels, aber hehr über den Höhen leuchtet das weite Rund des Felsengebirges; nicht die Wände leuchten jetzt, sondern die Schneefelder, die sich heute noch an steilsten Hängen halten, morgen aber von Odin’s Athemzug gelöst donnernd in den Abgrund fahren.
»Des Winters Leichentuch,« dieses Wort haben danklose und gedankenlose Menschen gemacht. Hätte es denn Keiner noch empfunden, wie erquickend, belebend, versöhnend und aufmunternd der Gang über eine Winterlandschaft ist! Hat denn Keiner den aus knisterndem Schneegeflocke wehenden kühlen Hauch getrunken, in welchem reiner als aus dem Athem der sommerlichen Blätter, reiner als aus dem Dufte der Blumen, der Lebensfunke in unsere Nerven übergeht? Hat denn Keiner noch die süße Ruhe gefühlt, in welche das kampfmüde Reich der Pflanzen und Thierchen unter der lichtdurchwirkten Schneehülle gesunken ist? Keiner an die jungen Kräfte gedacht, die sich unter dieser Hülle beständig entwickeln und sammeln, um nach wenigen Monden eine Welt voll neuer Herrlichkeit vor uns aufzubauen? Wie eine aus weißer Seide gewobene Decke, so hat Mutter Natur den Winter niedergesenkt auf die Wiege des Frühlings. Kennen die Bewohner jener Gegenden, denen der weiße Winter versagt ist, bei denen es sich vom Großvater vererbt auf den Enkel, wenn die welken Blätter der Pinien eines Morgens mit Schneereif überzogen sind – kennen sie die Wonnen des Frühlings in dem Maße, wie der Nordländer, der auf lustig gleitendem Schlitten den lieblichen Tagen der Blüthe entgegenfährt.
Und wenn in einem der Himmelskörper dort oben ein Auge offen ist, das ausspäht nach Licht, und wenn dieses Auge an seinen nächtlichen Himmel die blasse Scheibe der Erde betrachtet, aus welchen Strichen sonst wird ihm der hellste Schimmer entgegengrüßen, als aus den winterlichen Zonen! Denn licht ist unsere Welt, wenn die Sonne strahlt auf das schneeumhüllte Land! –
Dergleichen Winterphantasien spielen gern in der träumerischen Seele des Germanen. Doch vielleicht nicht so an jenem Tage, da Wahnfred, der Mann aus dem Gestade, auf dem Rücken ein schweres Bündel und ein Schußgewehr geschnallt, sich durch Schnee und Wildstrupp emporarbeitete aus den Wänden der Rabenkirche, an den Lehnen der Mieslingschluchten, an dem felsigen Vorgeschiebe des Trasank bis zu jener Höhung, wo die Grunde von Trawies zu Ende gehen und der Ritscherwald beginnt. Der Ritscher schließt sich an den Birstling und an den Tärnwald, mit dem er auf gleichem Gebirgszuge liegt, hat jedoch eine höhere Lage und breitet sich auf einer weiten Hochebene hin, stets allmählich aufsteigend und emporziehend an das Felsengebirge, bis an diesem die Bäume immer schütterer und verwitterter, die Felsblöcke immer dichter und mächtiger werden, und sich so der ungeheure Wald allmählich verwebt mit dem Gesteine des Hochgebirges. Der Ritscherwald hat nur wenige Gräben und Schluchten, die Wässerlein rinnen in seichten Rinnsalen entlang und scheinen zum großen Theile wieder zu versickern, bevor sie hinab zu Bächen und Flüssen gelangen. Zahlreich ragen zwischen Bäumen und auf sandigen Heidegründen massige Felsblöcke, die vom Hochgebirge herniedergerollt zu sein scheinen und ein gar verwittertes Aussehen zeigen. Heute ist dieser Urwald zum großen Theile hingeschlachtet, sind die Quellen, die einst so zahlreich waren, zum großen Theile versiegt. Zur Zeit dieser Begebenheiten aber führte kein Weg und kein Steg in den so ab- und so hochgelegenen Wald, der Mensch suchte ihn nicht mit Gewinngier, wie heute, er mied ihn, er fürchtete ihn seiner Wildnisse und seiner Raubthiere wegen, und so wucherte in demselben, was wuchern wollte. Das Gestämme der Tannen, der Buchen und Eichen war üppig und wuchtig – ein Riesengeschlecht. Schauerlich wilde Formen, theils dicht umflochten von Reisigmassen, theils erstorben und fahl, ragten auf, und der Specht, der Habicht, der Adler, und was eben fähig war zum Streite, das lebte hier und herrschte. Einmal des Jahres brauste das wilde Heer der Klosterjagden durch den Wald und fahndete nach dem Wolf und dem Eber und führte eine reiche Beute von Hirschen heim.
So war das Bergreich, in welches Wahnfred nun einzog. Der Mann, wie das damalige Geschlecht überhaupt, kannte die Naturbetrachtung noch nicht solchergestalt, wie wir Heutigen; er fürchtete sich vor den Alpenstürmen, vor den Wildwässern, vor den Lawinen, ihm war die Wildheit, die wir heute Schönheit nennen, drückend dämonenhaft. So hatte die Natur dazumal keine Seele; erst der Mensch muß die seine in sie hineinlegen, und je größer das Herz eines Beschauers ist, desto bedeutungsvoller wird ihm die Außenwelt. Viele sind gewöhnt worden, den sie umgebenden Ring der Welt auf sich selbst zu beziehen, während eine große Seele bereit ist, das Herz opferfreudig in die Außenwelt zu versenken.
Einen ähnlichen, aber unbewußten Drang fühlte auch Wahnfred; er sah, er hatte sich selbst verwirkt, so wollte er sich hingeben, nur wußte er nicht, an wen. Jetzt dachte er an nichts, als an Flucht, um sich zu retten für eine freiwillige Sühne.
Hoch aufathmete er, als er mit seiner Last zu Höhe gelangt war, rings um ihn der sonnige Glanz des Winters. Nun blickte er zurück in das Engthal der Trach, das von den Wänden des Trasank sich zweigte und in vielen Windungen zwischen schroffen Waldbergen hinausging, vorüber dort an dem ätherblauenden, kegelförmig aufstrebenden Johannisberge, linksab gegen das Gestade. Da in der Tiefe der Nebel lag, war es zu schauen, wie ein langgestreckter, grauer, welliger See, von steilen Ufern umrahmt, die theils in der Sonne blinkten, theils im dämmernden Blau des Schattens lagen. Schräge gegenüber stand der Rockenberg und die Felswand mit dem Wasserfalle an der Wildwiesen. Über den Bäumen strebte ein Bändchen blauen Rauches auf aus dem Hause des Waldhüters. Dort draußen, wo sich der See ein wenig weitete, ragten aus dem Nebel die Zacken einer Wand, der Dreiwand.