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denn die Ebbe hatte bereits einen schmalen Sandstreifen unterhalb der Bäume freigelegt. Der Ebbstrom, der uns in so unangenehmer Weise aufgehalten hatte, glich jetzt den Schaden für uns wieder aus, indem er unsere Verfolger aufhielt. Die einzige Gefahr drohte uns von dem Geschütz.

      »Wenn ich es wagen dürfte,« sagte der Kapitän, »würde ich einen Augenblick halten und noch einen wegputzen.«

      Aber es war klar, daß die Meuterer sich durch nichts aufhalten lassen wollten. Sie hatten sich nach ihrem gefallenen Kameraden nicht einmal umgesehen, obgleich er nicht tot war; denn ich sah, wie er von der Kanone wegzukriechen versuchte.

      »Fertig!« rief der Squire.

      »Halt!« rief der Kapitän, schnell wie ein Echo.

      Und er und Redruth setzten mit aller Wucht die Riemen rückwärts ein, und der Stern des Bootes kam unter Wasser. In demselben Augenblick kam der Knall der Kanone. Dies war der erste Schuß, den Jim hörte; denn der Knall von dem Musketenschuß des Squires hatte ihn nicht erreicht. Wie die Kugel flog, konnte keiner von uns genau sagen; aber ich denke mir, sie muß über unsere Köpfe weg geflogen sein, und der Luftdruck, den sie verursachte, mag wohl zu unserem Mißgeschick beigetragen haben.

      Jedenfalls sank das Boot, den Stern voran, in drei Fuß tiefes Wasser; der Kapitän und ich blieben einander gegenüber auf unseren Füßen stehen. Die andern drei kamen mit dem ganzen Körper ins Wasser und schnauften und sprudelten, als sie wieder auftauchten.

      Dies hatte nicht viel zu bedeuten. Kein Leben war verloren gegangen, und wir konnten in Sicherheit an den Strand waten. Aber alle unsere Vorräte lagen im Wasser, und, was noch schlimmer war, von den fünf Musketen waren nur noch zwei brauchbar. Die meinige hatte ich, sozusagen triebmäßig, über den Kopf gehalten. Der Kapitän hatte seine Büchse an einem Riemen über der Schulter getragen, und zwar als ein kluger Mann mit dem Schloß nach oben. Die anderen drei Musketen waren völlig naß geworden, als das Boot versank.

      Unsere Sorgen wurden noch dadurch vermehrt, daß wir bereits Stimmen im Walde am Strande näher kommen hörten; es bestand daher nicht allein die Gefahr, daß wir in unserem halb wehrlosen Zustande von dem Pfahlwerk abgeschnitten wurden, sondern wir mußten auch befürchten, daß Hunter und Joyce vielleicht nicht so kaltblütig sein würden, standzuhalten, wenn sie von einem halben Dutzend Piraten angegriffen würden. Hunter war allerdings zuverlässig – das wußten wir; mit Joyce aber war es zweifelhaft: er war ein freundlicher, höflicher Mann – ein guter Bedienter, der zuverlässig einen Rock sauber ausbürstete, aber nicht eigentlich ein Kriegsmann.

      Mit allen diesen Befürchtungen im Herzen, wateten wir so schnell, wie wir konnten, an Land; die arme Jolle und die größte Hälfte unseres ganzen Mundvorrates und Pulvers ließen wir hinter uns.

       Fortsetzung der Erzählung des Doktors: Der Ausgang des Gefechtes am ersten Tage

       Inhaltsverzeichnis

      Wir liefen so schnell wie möglich durch das schmale Stück Wald, das uns vom Pfahlwerk trennte, und bei jedem Schritt, den wir machten, klangen die Stimmen der Meuterer näher. Bald konnten wir ihre eiligen Schritte hören und das Knacken der Zweige, wenn sie durch ein Gebüsch brachen.

      Ich begann zu merken, daß wir ein ernstliches Gefecht haben würden, sah nach dem Zündkraut meiner Muskete und sagte:

      »Kapitän! Trelawney ist ein sicherer Schütze. Geben Sie ihm Ihr Gewehr; sein eigenes ist unbrauchbar.«

      Sie tauschten ihre Gewehre aus, und Trelawney, der sich die ganze Zeit über sehr ruhig und kaltblütig benommen hatte, blieb einen Augenblick stehen, um nachzusehen, ob das Gewehr vollkommen in Ordnung sei. Da ich bemerkte, daß Gray unbewaffnet war, gab ich ihm meinen Stutzsäbel. Es tat uns allen vom Herzen gut, zu sehen, wie er in die Hand spuckte, seine Augenbrauen zusammenzog und die Klinge durch die Luft pfeifen ließ. Wir sahen an jeder Muskel seines Körpers klar und deutlich, daß unser neuer Waffengefährte sein Salz wert war.

      Vierzig Schritte weiter kamen wir an den Waldsaum und sahen das Pfahlwerk gerade vor uns liegen. Wir erreichten die Umzäunung ungefähr an der Mitte der Südseite, und fast in demselben Augenblick erschienen sieben Meuterer – an ihrer Spitze der Bootsmann, Hiob Anderson – in vollem Lauf an der Südwestecke.

      Sie prallten zurück, wie wenn unsere Anwesenheit sie überraschte; und bevor sie zur Besinnung kamen, hatten nicht nur der Squire und ich, sondern auch Hunter und Joyce im Blockhause, Zeit genug, um zu feuern. Die vier Schüsse kamen nicht als Salve, sondern plackerten etwas; aber sie erfüllten ihren Zweck: einer von den Feinden stürzte zu Boden, und die übrigen kehrten sofort um und verschwanden unter den Bäumen.

      Nachdem wir wieder geladen hatten, gingen wir an der Außenseite der Palisade entlang, um nach dem gefallenen Feinde zu sehen. Er war mausetot – durchs Herz geschossen.

      Wir frohlockten über unseren guten Erfolg; da krachte gerade in demselben Augenblick ein Pistolenschuß aus dem Gebüsch, eine Kugel pfiff dicht an meinem Ohr vorüber, und der arme Redruth taumelte und fiel der Länge nach zu Boden. Der Squire sowohl wie ich erwiderten den Schuß; da wir aber kein Ziel sahen, so vergeudeten wir wahrscheinlich nur unser Pulver. Hierauf luden wir wieder unsere Gewehre und wandten unsere Aufmerksamkeit dem armen Tom zu.

      Der Kapitän und Gray waren schon dabei, ihn zu untersuchen, und ich sah mit einem halben Blick, daß alles vorüber war.

      Ich glaube, die Schnelligkeit, womit wir den Pistolenschuß erwidert hatten, hatte die Meuterer abermals auseinandergejagt; denn sie ließen uns ohne weitere Belästigung den braven alten Förster über die Palisade heben; sodann trugen wir den stöhnenden Mann, der viel Blut verlor, ins Blockhaus.

      Der arme alte Bursche! Er hatte vom ersten Beginn unserer Schwierigkeiten bis zu diesem Augenblick, da wir ihn im Blockhaus zum Sterben niederlegten, kein Wort von Überraschung, Klage, Furcht oder auch nur Zustimmung geäußert. Wie ein Trojaner hatte er seinen Posten hinter der Matratze in dem schmalen Gang behauptet; er hatte jeden Befehl schweigend, hartnäckig und genau ausgeführt; er war zwanzig Jahre älter als der älteste von uns; und nun mußte dieser brummige, aber treue und nützliche alte Diener für uns sterben.

      Der Squire fiel neben ihm auf die Knie nieder und küßte seine Hand und weinte dabei wie ein Kind.

      »Muß ich gehen, Herr Doktor?« fragte Tom.

      »Tom, mein Mann,« sagte ich, »Ihr geht heim.«

      »Ich wollte, ich hätte ihnen mit meiner Flinte erst einen aufbrennen können!« antwortete er.

      »Tom,« sagte der Squire, »sagt mir, daß Ihr mir vergebt – wollt Ihr das tun?«

      »Wäre das respektvoll, Squire?« war seine Antwort. »Indessen – so sei es, Amen!«

      Nach einem kurzen Schweigen sagte er, nach seiner Meinung solle wohl einer von uns ein Gebet lesen.

      »Es ist mal der Brauch so, Herr,« sagte er, wie wenn er um Entschuldigung zu bitten hätte. Nicht lange darauf verschied er, ohne noch ein Wort zu sprechen.

      Unterdessen hatte der Kapitän, dessen Taschen, wie mir bereits aufgefallen war, merkwürdig bepackt waren, eine große Menge verschiedener Gegenstände hervorgeholt – die britische Flagge, eine Bibel, ein Knäuel ziemlich dicken Bindfaden, Tinte, Federn, das Logbuch und mehrere Pfundpakete Tabak. Er hatte innerhalb der Einzäunung einen ziemlich langen Fichtenstamm gefunden, dessen Zweige bereits abgehackt waren; diesen richtete er mit Hunters Hilfe an der Ecke des Blockhauses auf, wo die Baumstämme im rechten Winkel aufeinanderstießen. Dann kletterte er auf das Dach und zog mit eigener Hand die englischen Farben auf.

      Diese Handlungen schienen sein Herz sehr zu erleichtern. Er betrat wieder das Blockhaus und begann unsere Vorräte aufzuzeichnen, wie wenn es sonst nichts auf der Welt gäbe. Bei alledem hatte er sich auch um Tom gekümmert, und sobald alles vorüber war, trat er mit einer zweiten Flagge

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