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Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking
Читать онлайн.Название Ausgewählte historische Romane
Год выпуска 0
isbn 9788027225880
Автор произведения Levin Schucking
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Daß in den strahlend hellerleuchteten Sälen des Jägerhofs kein deutsches Wort laut wurde, brauchen wir nicht zu erwähnen. Die Herren in den glänzenden Uniformen debütierten ihre Fleuretten, ihre Bonmots und ihre Zweideutigkeiten auf französisch, und die Damen in ihren weitausgeschnittenen, engen, kurzen Roben erwiderten sie in demselben Idiom ... es war bewundernswürdig, wie schnell sie es gelernt hatten!
In einem der letzten Zimmer der Reihe, einem großen Kabinett, stand der Spieltisch des Großherzogs. Graf Beugnot, dessen Gemahlin und der Graf Nesselrode bildeten die Partie des glücklichen Soldaten, der in dem Schloß der bergischen Herzoge als Souverän gebot.
Während Beugnot die Karten mischte, erzählte Murat von seiner Fahrt in Gesellschaft der Gräfin von Epaville nach der Rheider Burg, und dann schilderte er sehr lebhaft, wie er am Morgen die Dame zuerst empfangen, wie er natürlich geglaubt, es sei eine Schwester des Ermordeten, wie er sie als solche angeredet, und wie er dann Mühe gehabt, sie zu beruhigen, als sie auf diese Weise erfahren, daß der Graf von Epaville den Garçon gespielt und seine treue Gattin in der Ferne vollständig verleugnet habe.
Er lachte herzlich bei dem Gedanken an diese Szene und sagte: »Der Zorn über den Ungetreuen hatte von diesem Augenblicke an die kleine Frau auf wunderbare Weise über ihren Verlust getröstet. Ihre Tränen waren plötzlich getrocknet, und ich sah zu meinem Verdruß, daß mir die Aufgabe, die hübsche Witwe zu trösten, viel zu leicht gemacht worden!«
»Es muß das,« bemerkte Nesselrode, »aber auch für ein treues Frauenherz eine höchst bittere Erfahrung sein! Was würden Sie tun,« wandte er sich an seine Partnerin, die Gräfin Beugnot, »wenn Sie so etwas von Beugnot hörten, gnädigste Gräfin?«
»Daß er den Junggesellen spielte? Ich würde ihn bitten, nun auch in der Rolle zu bleiben und nie mehr – nie mehr sich einfallen zu lassen, den Ehemann zu spielen!«
Die Herren lachten.
»Was wird die kleine Frau nun beginnen?« fragte Nesselrode. »Wird sie hier bleiben oder ihr Hoflager in ihrer Burg aufschlagen?«
»Ich weiß es nicht,« versetzte Murat. »Als sie ihr Schloß in Augenschein genommen, fand sie die Besitzung etwas melancholisch, aber die Lage scharmant. Wir fanden dort einen Monsieur de Huckarde, den Ermanns für den Mörder des Grafen gehalten hatte – der Mensch hatte auch die absurde Marotte, sich zu der Tat zu bekennen – er hatte die kindische Vorstellung von unserer Justiz, sie werde sich dadurch auf die unrichtige Fährte bringen lassen. Zu meiner Ueberraschung aber waren Madame d’Epaville und dieser Monsieur de Huckarde alte Bekannte, gute Freunde... und auf der Rückfahrt in die Stadt entwickelte die kleine Dame eine große Beredsamkeit, um mir die Liebenswürdigkeit dieses Herrn – den ich, nebenbei gesagt, für seine Lüge ins Polizeigefängnis geschickt habe – zu schildern. Sie wußte nicht aufzuhören von dem, was er gesagt und getan während einer langen Reise, welche sie mit ihm gemacht haben wollte ... ich glaube fast, sie hatte große Lust, mit ihm das Duett aus Don Giovanni aufzuführen: Là ci darem la mano!«
»Nur mit dem Unterschiede, daß hier es Zerlina ist, die das Schloß in der Nähe hat,« fiel Beugnot ein.
»Erinnern sich Eure Hoheit,« nahm Nesselrode das Wort, »der Unglücksweissagung, welche das junge Mädchen neulich dem Grafen Epaville machte?«
»Sicherlich ... was ist damit?«
»Der Umstand, welcher anfangs so gravierend für die Ritterhausen schien, ist mir heute aufgeklärt worden. Man hat mir erzählt, baß unser Landesprophet, ein wandernder Geiger, der nebenbei den Geisterseher spielt, schon seit längerer Zeit die Weissagung machte, es werde aus der Rheider Burg ein Sarg, mit fürstlichem Wappen daran, fortgetragen werden.«
»In der Tat?« fragte Murat überrascht. »Weshalb hat man dann den Menschen nicht mit in die Untersuchung gezogen?«
»Was würde es gefruchtet haben? Man muß sich hüten, Schlüsse daraus zu ziehen. Dieser vagabundierende Geisterseher ist ein Prahler, ein Aufschneider, der sehr gut die abergläubische Scheu auszubeuten weiß, welche bei seinem Anblick die Gemüter des Landvolks erfüllt. An vielen haarsträubenden Geschichten, deren Mittelpunkt er sein soll, ist er dagegen sicherlich unschuldig; sie sind von ländlichen Freigeistern erfunden, um ihn zu verspotten. Es gibt namentlich eine höchst pittoreske darunter, die ihn nachts im Mondenschein im Bereiche eines Kirchhofs auf einem Leichensteine sitzen läßt, seiner Geige tolle, wilde Tanzmelodien entlockend, wozu die Toten rund um ihn her ausgelassene Reigen und Tänze aufführen, bis der erste Hahnenschrei dem tollen Spuk ein Ende macht. Ganz unbestreitbar gewiß ist jedoch, daß dieser Mensch, in einer nicht geringen Anzahl von Fällen, Tatsachen von Erheblichkeit vorausgesagt hat, welche genau so, wie er sie beschrieben, wirklich eingetreten sind.«
»Erzählen Sie uns das,« fiel hier die Gräfin Beugnot mit einem ungläubigen Lächeln ein.
»Nun,« sagte Nesselrode, »eine dieser Tatsachen scheint eben vorzuliegen. Es wird von mehreren Leuten versichert, daß unser Prophet, dessen volkstümlicher Name der Spielberend ist, den Sarg mit fürstlichen Wappen, feierlich von Militär und Herren in gestickten Uniformen begleitet, aus dem Portal der Rheider Burg hat tragen sehen; und Sie werden nicht in Abrede stellen, daß dies, Schauspiel am morgenden Tage in Wahrheit und Wirklichkeit dort statthaben wird – an den Sarg des Grafen von Epaville gehören die Wappen des Hauses Anglure.«
Es entstand jetzt eine lebhafte Debatte über Möglichkeit und Wahrheit solcher Geschichten, die von Beugnot und seiner Gattin geleugnet, von Murat und Nesselrode behauptet wurde.
Beugnot war ein witziger sarkastischer Kopf; er war ein glücklicher Erfinder von Bonmots oder glänzenden Phrasen – er war es auch, an den man viele Jahre später bei der Rückkunft der Bourbonen nach Frankreich sich wendete – Ludwig XVIII, mußte in diesem großen Augenblick, beim Wiederbetreten des französischen Bodens, ein schönes geistreiches Wort sagen, und deshalb nahm man seine Zuflucht zu Beugnot, der dann jenes: »Il n’y a rien de Changé, il n’y a qu’un Français de plus« vorschlug, welches darauf der Moniteur als des Königs Ausruf in jenem denkwürdigen Moment in alle Welt verkündete. An Gespenster aber glaubte Beugnot nicht, Murat jedoch setzte den Behauptungen Nesselrodes keinen völligen Unglauben entgegen, obwohl der kirchliche Glaube der Generation und der Zeit, welcher er angehörte, ganz und gar abhanden gekommen war. Er war Soldat, und der Soldat ist abergläubisch. Jene ganze kriegerische Epoche war es. Man weiß, wie zu derselben Zeit die Lenormand einen europäischen Ruf hatte und wie alle Welt von der Krone zu erzählen wußte, welche eine Zigeunerin der jungen Josefine Tascher de la Pagerie versprochen.
Während des lebhaften Gesprächs, welches sich über diesen Gegenstand entsponnen hatte, trat einer