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       Clementine Helm

      Drei Erzählungen für junge Mädchen

      Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020

       [email protected]

      EAN 4064066111793

       Esther Wieburg.

       Verwaist.

       Erstes Kapitel. Der Abschied.

       Zweites Kapitel. Die neue Heimath.

       Drittes Kapitel. Erster Morgen.

       Viertes Kapitel. Schooßhund und Zughüte.

       Fünftes Kapitel. Wiedersehn.

       Sechstes Kapitel. Treue Hülfe.

       Siebentes Kapitel. Im fremden Lande.

       Achtes Kapitel. Die Heimath.

       Neue Wege.

       Inhaltsverzeichnis

      »Wie gesagt, Herr Pastor, darin kann ich Ihnen nicht Recht geben, das ist keine Erziehung für ein Mädchen! Einen Jungen mögen Sie alle diese Dinge lernen lassen, meinetwegen; aber ein Mädchen kann in ihrem ganzen Leben nichts damit anfangen. Das ist meine Meinung, und dabei bleibe ich, sowahr ich Friederike Booland heiße!«

      Frau Friederike Booland, die Sprecherin dieser energischen Worte, bekräftigte den Schluß ihrer Rede damit, daß sie ihre große, knochige Hand laut schallend auf den Schreibtisch niederfallen ließ, neben welchem sie stand. An diesem Schreibtische aber saß derjenige, dem ihre Rede galt, Pastor Wieburg, der Geistliche im Dorfe Rahmstedt. Seit Jahren schon lebte Frau Booland hier im Hause, nachdem ihr eigener Gatte, der Schulmeister des Dorfes, gestorben, und von jenem Tage an führte sie die Zügel des Haushaltes mit ebensoviel Energie als Gewissenhaftigkeit. Pastor Wieburg hätte keine bessere Haushälterin finden können und so überließ er ihr getrost alle Regierungssorgen. Nur ein Departement hatte er sich vorbehalten, und das war die Erziehung seines einzigen Kindes, eines kleinen, dunkeläugigen Mädchens. So großen Respect Frau Booland nun auch vor allen Meinungen und Ansichten ihres Brodherrn hatte, in diesem Punkte war sie seine stete Gegnerin, und sie scheute sich nicht, dies immer wieder gegen ihn auszusprechen, so wenig Erfolg ihre Worte auch haben mochten. Pastor Wieburg hörte ihre Reden geduldig an, ohne den Fluß derselben durch Widerspruch zu hemmen, so lange seine Pfeife brannte. War diese jedoch zu Ende, so stand er ruhig von seinem Stuhle auf, ging nach dem Ofen, die Asche aus der Pfeife zu klopfen, und dann sagte er gleichmüthig: »Schon recht, Frau Booland; aber jetzt möchte ich Ruhe haben, meine Predigt fertig zu arbeiten. Sie sind wohl so gut, und kommen ein andermal wieder.«

      Frau Booland blieb alsdann freilich nichts übrig, als sich mit einem Knix zu empfehlen. Aber ihr sonst gutmüthiges Gesicht war dann durchaus nicht sonnenhell, und leise vor sich hin brummend ging sie die Treppe hinunter, um sie nach einiger Zeit von Neuem zu ersteigen und abermals ihre Vorwürfe anzubringen.

      »Er ist und bleibt unverbesserlich!« rief sie auch heute voll Aerger, als sie die Thür der Studirstube etwas kräftiger als gewöhnlich geschlossen hatte und zu ihrem Haushalte zurückkehrte. »Es ist, als ob ich zur Wand redete, so wenig Eindruck machen meine Worte auf ihn! Wenn er nur wenigstens mit mir stritte oder mir seine Meinung sagte. Aber nein, steif und ruhig sitzt er in seinem Stuhle und läßt mich reden und reden, und am Ende muß ich wieder abziehen und alles bleibt beim Alten. O diese Männer!«

      Als Frau Booland in ihrem gerechten Grimme das Wohnzimmer im Untergeschoß des Pfarrhauses betrat, flogen ihre Blicke nach einer Ecke in der Nähe des Fensters, wo ein niedriger Arbeitstisch stand, an dem ein kleines Mädchen schrieb. Es war Esther, ihre junge Pflegebefohlene, für deren Wohl und Wehe die brave Frau soeben vergeblich gekämpft hatte.

      »Schreiben und schreiben, und nichts als lesen und schreiben den ganzen Tag!« rief Frau Booland verdrießlich. »Bist du denn noch nicht bald fertig für heute, Estherchen? Du sollst noch ein Bischen in die Luft, Kind, ich denke, du hast genug gelernt. Hast den ganzen Nachmittag schon studirt, der Kopf muß dir ja brummen von all' der grausamen Gelehrsamkeit, du armer kleiner Fisch.«

      »Ich bin bald fertig, Tante, nur noch dies eine Verbum muß ich zu Ende schreiben,« entgegnete das kleine Mädchen aufsehend. »Vater schilt sonst, denn er sagt ohnehin immer, ich sei nicht fleißig genug!«

      »Das Gott erbarm! Noch nicht fleißig genug!« rief die Wittwe, ihre Hände zusammenschlagend. »Es ist ein Elend, daß du kein Junge geworden bist, dann hätte dies Gelerne einen Sinn, aber so? Was in aller Welt willst du damit anfangen?«

      »Ich wollte auch lieber, ich wär' ein Junge, das weißt du ja, Tante! Und Vater will gewiß einen aus mir machen, daß er mich so viel lernen läßt,« rief Esther lachend und nickte der erzürnten Frau begütigend zu. »Aber bitte, Tante, ich möchte das Bischen Tageslicht noch gern benutzen, um meine Arbeit fertig zu machen. Ich komme dann auch gleich zu dir in den Garten.« Und ohne sich weiter stören zu lassen, schrieb das Kind eifrig weiter, während die letzten Strahlen der Herbstsonne über ihr dunkles Haar forthuschten und ihre blassen Wangen vom Abendroth leise geröthet wurden.

      Frau Booland hatte von ihrem Standpunkte aus allerdings guten Grund, sich über die Art und Weise zu beklagen, in welcher ihre kleine Pflegebefohlene von ihrem Vater erzogen wurde. Pastor Wieburg war ein durch und durch braver, rechtschaffener Mann und für seine Gemeinde ein trefflicher Seelsorger; außerdem aber ein ernster, ja strenger und verschlossener Gelehrter, der den Verkehr mit der Außenwelt mied und nur seinem Amte und seiner Wissenschaft lebte. So lange Esther, das einzige Kind seiner früh verstorbenen Gattin, noch zu klein war, um lernen zu können, hatte er sich sehr wenig um sie bekümmert, und sie völlig der Sorge Frau Booland's überlassen. Das schüchterne, kleine Mädchen war auch viel lieber in der Gesellschaft dieser guten Frau, als in der des ernsthaften, schweigsamen Vaters, der nur immer Ruhe gebot, wenn sie in seiner Nähe spielte und ihre Puppen stets sehr unsanft in die Ecke warf, hatte sich ja einmal eine in die Nähe seiner Bücher verirrt.

      Als Esther jedoch älter ward und ihr Vater bemerkte, daß in dem kleinen Körperchen eine starke Seele und viel Verstand wohnte, da wuchs sein Interesse für das Kind. Er hatte sich einen Sohn gewünscht, um auf ihn all' sein Wissen und seine Gelehrsamkeit zu übertragen; nun hatte er statt dessen eine kluge kleine Tochter bekommen, sie sollte ihm den Sohn ersetzen. Wirklich lernte die kleine Esther bald mit so viel Eifer und Erfolg, daß ihr Vater immer mehr Gefallen an ihr fand und sie wie einen Knaben unterrichtete. In der Zeit, wo andere kleine Mädchen mühsam einzelne Worte zusammen buchstabiren, und mit dem Schieferstifte unsichere Kritzeleien auf die Tafel malen, konnte unsere kleine Esther schon recht geläufig lesen und schreiben, und nicht etwa nur in ihrer Muttersprache, sondern auch in den Anfangsgründen des Lateinischen, dem sich später sogar das Griechische zugesellte. Bei diesem eifrigen

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