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auch an der Riviera eine Landung der Amerikaner erwartet wurde. Auf 2600 Meter bezogen wir Stellung. Eines Tages hörte ich, dass es unten auf unserem Stützpunkt in Terme di Valdieri (ein berühmtes oberitalienisches Thermalbad) einen Sanitäter gäbe, der ebenfalls so ein verrückter Bergnarr wie ich sei.

      Ich fragte den Oberarzt nach dem kletternden Sanitäter. »Wenn der als Kletterer auch so lausig ist wie als Sanitäter, dann müsste er schon längst abgestürzt sein!«, sagte er.

      Hermann und ich sind sofort zur Sache gekommen: Wir sind zu einem der Granitblöcke bei dem Heilbad klettern gegangen und hetzten uns gegenseitig in immer schwierigere Wandstellen hinein. Nur vor einer haben wir kapituliert: Wir wollten nicht, dass einer von uns an dem sauschweren Wandl stürzt, sich verletzt und dann wegen Selbstverstümmelung vor ein Kriegsgericht gestellt wird. So streng waren nämlich damals die Bräuche.

      Wenn er den Krieg überlebte – so sagte Hermann damals –, wollte er gerne einmal etwas ganz Großes in den Bergen machen. Jeder von uns hatte damals seine Wunschträume und keiner wusste, ob er den Krieg überleben wird.

      Im Karwendel hatte ich 1946 und 1947 die ersten Frieden-Bergsommer nach dem Krieg erlebt. 1946 waren wir noch die einzigen Übernachtungsgäste in der Falkenhütte.

      Wenn es regnete, stiegen wir zur Ladizalm ab. Das war unser Schlaraffenland – dort gab es Milch, Butter und Käse. Wir erzählten den Hirten vom Leben im zerstörten Wien, sie erzählten uns Geschichten aus ihrer (wie es uns schien) heil gebliebenen paradiesischen Welt.

      1947 waren wir nicht mehr die einzigen Übernachtungsgäste. Vor dem Schlafengehen ging ich jeden Abend vor die Hütte und schaute hinauf zur Lalidererwand, in der wir vor einem Jahr um unser Leben gekämpft und ein ganz wundersames Erlebnis gehabt hatten.

      Plötzlich hörten wir Stimmen in der Wand, eine helle Stimme war zu hören und eine dunkle. Wir waren aber an diesem Tag die einzigen Menschen in der Hütte.

      Bald kamen die Stimmen von unten, dann wiederum von oben. Irgendwie war es unheimlich. Obwohl wir wussten, dass es keine Berggeister waren, sondern Menschen, die irgendwo redeten und deren Stimmen von den Lüften in die Wand getragen wurden. Trotzdem war es unheimlich.

      Die Lalidererwand war für mich keine Wand wie jede andere. Zweimal hatte ich mich in ihr weitab von allen anderen Menschen gefühlt. Als einsame Wand wollte ich sie in Erinnerung behalten. Seit ich 1947 am letzten Abend vor unserer Heimfahrt vor der Hüttentür zu der Lalidererwand hinaufgeschaut hatte, bin ich nie wieder ins Karwendel gefahren.

      ANDERE LEUTE

      Der Schwanda ist der Schwanda!

      Hans Schwanda (1904–1983) war mein alpiner Lehrmeister, mein Kletterpartner, mein Freund. »Die größte Kunst beim Bergsteigen ist, dass man auch alt wird dabei!«, hatte er uns Jungen immer wieder gesagt. In seiner Zeit war das Bergsteigen noch wesentlich gefährlicher, als es heute ist.

      Als Freikletterer war Schwanda der Star unter den Wiener Bergsteigern. »Maestro« nannte ihn der Erstbegeher der Großen-Zinne-Nordwand, Emilio Comici. Schwanda hatte viele der höchsten Alpenberge erstiegen und schwierigste Felswände durchstiegen, war auch auf den Bergen Afrikas und Asiens unterwegs, hatte Erstbegehungen und Ski-Erstbefahrungen gemacht, Bergbücher geschrieben – hatte das Bergsteigen als etwas Herrliches, aber doch nur als eine Nebensache in seinem Leben gesehen. »Weil i muss ja net auf die Berg aufi. Könnt ja auch was anderes machen!« Schwanda war ein Original. »Der Schwanda ist der Schwanda!«, sagten alle, die ihn kannten.

      Wie war der Schwanda?

      Schwanda war ein echtes Wiener Kind ... bei ihm musste alles »mit leichter Hand gehen« (was aus dem Wienerischen übersetzt etwa »ohne Mühe« bedeutet). »Wenn’s leicht geht!«, sagte er bei allem, bevor er es anpackte.

      Mit leichter Hand wurde er auch nach dem Besuch des Konservatoriums ein bekannter Gitarresolist, der mit einem klassischen Programm in vielen Städten gastierte und in den Schutzhütten, kaum dass er sie betreten hatte, eine Gitarre in die Hand gedrückt bekam.

      Mit der Gitarre zog er einmal durch Norwegen und Schweden bis hinauf zum Nordkap, spielte da und dort und verdiente sich so das Reisegeld.

      In einer Stadt in Schweden sollte ein russischer Balalaikaspieler auftreten, musste aber plötzlich absagen. Schwanda sprang für ihn ein.

      Man setzte ihm eine russische Pelzmütze auf – und er spielte ganz locker auf seiner Gitarre Landler und Walzer und sang: »I bin a Steirerbua und hab a Kernnatur!«

      Das Publikum war begeistert.

      »Jetzt eröffne ich ein Sporthaus!«, sagte Schwanda eines Tages.

      »Mit einem Stemmeisen?«, fragte ich.

      »Mach keine blöden Witze! Das Sporthaus Schwanda wird die Sensation von Wien werden!«

      Das Sporthaus war zuallererst ein Hofraum im Hause des Österreichischen Touristenklubs. Noch einen Tag vor der Eröffnung konnte man darin vor allem nur leere Regale bewundern. »Das schaut ein bisserl sparsam aus!«, grübelte Schwanda. »Wenn ich wenigstens einige leere Kartons hätte, mit denen ich die Regale füllen könnte!«

      »Leere Kartons? Die kannst du von mir haben!«, sagte einer der Freunde. Und schon einige Stunden später wurde ein Auto voll leerer Kartons beim Sporthaus Schwanda abgeladen. Diese verstaute er in die Regale, versah sie mit sauberen Schildchen.

      Wenn nun ein Kunde kam und nach einem lilagelbblauen Anorak Größe 99 für seine Braut fragte, erklärte Schwanda voll Eifer, dass er diesen selbstverständlich lagernd habe, kletterte zu irgendeinem der leeren Kartons hinauf, kramte darin ein wenig in der Luft herum und sagte dann: »Leider, leider! Ich sehe gerade, dass die Größe 99 ausverkauft ist! Diese lilagelbblauen Anoraks gehen weg wie die warmen Semmeln! Aber heute Nachmittag kommt schon wieder eine neue Lieferung!« Und wenn der Kunde versprach, am Nachmittag wiederzukommen, setzte sich Schwanda aufs Fahrradl, holte vom Erzeuger schnell einen lilagelbblauen Anorak Größe 99.

      Die Wiener Bergsteiger genossen es mit Behagen, den alten Bergvagabunden Schwanda hinter einer Verkaufsbudel zu sehen. Und sehr oft läutete auch das Telefon ...

      »Sagen Sie, Herr Schwanda, wie kommt man am besten in Ihr Sportgeschäft?«

      »Da muss ich wissen, wo Sie sind!«

      »Natürlich in der Irrenanstalt Steinhof. Ein normaler Mensch geht doch nicht zu Ihnen einkaufen!«

      Schwanda wurde am Telefon gefragt, ob er schon den neuen Eispickel mit dem eingebauten Plattenspieler lagernd habe, ob es wahr sei, dass er endlich den sich selbst tragenden Rucksack erfunden hätte ...

      Und dann rief einmal ein Mann an, der ein bisserl unklar redete. Worauf Schwanda ins Telefon brüllte: »Du deppeter Bua, rutsch mir den Buckel runter!«

      Dieser Mann war aber tatsächlich ein Kunde, der nur eine Auskunft wollte!

      Auch sein Sportgeschäft hatte Schwanda mit leichter Hand gegründet. In dieser Zeit entstanden auch noch andere neue Sportgeschäfte und das Wort Expandieren beherrschte die Geschäftswelt. Schwanda wollte klein bleiben ...

      »Ich möcht doch auch mit jedem Kunden reden können!« (Viele von den damals schnell groß gewordenen Sportgeschäften haben bald Pleite gemacht, das kleine Sporthaus Schwanda gibt es als Familienbetrieb heute noch.)

      In aller Stille hatte Schwanda sein Geschäft eröffnet, er wollte kein großes Trara. Aber einige Tage später erlebte er eine Überraschung.

      Mit einer Marschskizze zum Sporthaus Schwanda wollte er den Wienern das Aufsuchen erleichtern ... Vom Stephansplatz aus, vom Schwedenplatz und vom Luegerplatz.

      »Machen wir dem Schwanda a Freud. Markieren wir die Zustiege zu seinem Geschäft!« Der Freundeskreis um Schwanda war – so wie er – für eine Gaudi immer zu haben, und so waren wir etwa zwanzig Mann, die in finsterer Nacht an die Auslagen der vornehmen Stadtgeschäfte bunte Richtungspfeile mit der Aufschrift »Zum Sporthaus Schwanda« anbrachten. Sogar auf das hohe Denkmal

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