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an, der mit einem Mal wusste, was den kranken Mann aus dem Bett getrieben hatte.

      »Ich habe meine Überlegungen beendet«, sagte Woodward. »Komm und bereite Feder und Papier zu.«

      »Ihr meint … Ihr wollt damit sagen …« Bidwell bekam vor Aufregung kaum die Worte heraus. »Ihr habt Euer Urteil gefällt?«

      »Komm hoch, Matthew«, wiederholte Woodward und wandte sich dann an Bidwell. »Wenn Ihr mir bitte zurück ans Bett helfen könntet?«

      Am liebsten hätte Bidwell den Richter hochgehoben und getragen, aber er konnte sich beherrschen. Matthew ging die Treppe hinauf und half dem Herrscher von Fount Royal, Woodward durch den Flur zurück in sein Zimmer zu geleiten. Nachdem Woodward sich wieder ins Bett gelegt und den Kopf ans blutgesprenkelte Kissen gelehnt hatte, sagte er: »Ich danke Euch, Mr. Bidwell. Ihr könnt nun gehen.«

      »Wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich gern noch bleiben und das Urteil hören.« Bidwell hatte die Tür bereits zugemacht und am Bett Posten bezogen.

      »Ich habe etwas dagegen, Sir. Bis das Urteil der Beschuldigten verkündet ist«, Woodward hielt inne und schnappte nach Luft, »bleibt es Sache des Gerichts. Alles andere schickt sich nicht.«

      »Ja, aber …«

      »Geht«, sagte Woodward. »Eure Anwesenheit verzögert unsere Arbeit.« Er warf Matthew, der am Fußende des Betts stand, einen irritierten Blick zu. »Feder und Papier! Sofort!«

      Matthew drehte sich um, um das Kästchen zu holen, in dem außer blanken Seiten Papier auch die Feder und das Tintenfass lagen.

      Bidwell ging zur Tür, versuchte es aber noch ein letztes Mal. »Sagt mir nur, ob ich das Holz für einen Scheiterhaufen zusammentragen lassen soll.«

      Bidwells beharrliche Missachtung aller Anstandsformen brachte Woodward dazu, die Augen zusammenkneifen. Dann schlug er sie wieder auf und sagte knapp: »Sir … Ihr könnt Matthew begleiten, wenn er der Beschuldigten mein Urteil verkündet. Und jetzt … lasst uns bitte allein.«

      »Na gut. Ich gehe.«

      »Und … Mr. Bidwell … bitte bleibt nicht draußen vor der Tür stehen.«

      »Ich gebe Euch mein Wort als Gentleman. Ich werde unten warten.« Bidwell verließ das Zimmer und schloss die Tür.

      Woodward starrte durchs Fenster in den goldenen, sonnendurchfluteten Morgen hinaus. Es wird ein schöner Tag werden, dachte er. Schöner, als er einen in über einem Monat erlebt hatte. »Datiere das Urteil«, befahl er Matthew, obwohl das kaum nötig war.

      Matthew saß auf dem Hocker neben dem Bett und benutzte das Holzkästchen auf seinen Knien als einen improvisierten Schreibtisch. Er tunkte die Federspitze in die Tinte und schrieb oben auf das Papier: Siebzehnter Mai, im Jahre des Herrn 1699.

      »Mach das Urteil bereit«, drängte Woodward ihn, den Blick auf die Welt vor dem Fenster gerichtet.

      Matthew schrieb den Anfang, den er oft genug unter schwierigen Umständen verfasst hatte, um auch jetzt die richtigen Worte zu benutzen. Es dauerte nur einen kurzen Moment und ein wiederholtes Eintauchen der Feder: An diesem Tage befindet in der Siedlung Fount Royal, in der Carolina-Kolonie, der vom königlichen Hof ernannte Richter Isaac Temple Woodward die des Mordes und der Hexerei bezichtigte Angeklagte, eine als Rachel Howarth bekannte weibliche Bürgerin …

      Er musste innehalten, um seine Hand auszuschütteln. »Schreib weiter«, sagte Woodward. »Es muss gemacht werden.«

      Matthew hatte einen Geschmack wie von Asche im Mund. Er tauchte die Feder erneut ein und sprach jetzt die Worte, die er schrieb: »… der Anklage des Mordes an Reverend Burlton Grove …« Wieder zögerte er. Seine Feder schwebte über dem Papier, um das Urteil des Richters mitzuschreiben. Die Haut seines Gesichts schien sich unerträglich straff zusammengezogen zu haben, und sein Schädel brannte.

      Plötzlich schnipste Woodward mit den Fingern. Matthew sah ihn fragend an, und als der Richter einen Finger auf die Lippen legte und dann zur Tür deutete, begriff Matthew, was er ihm bedeuten wollte. Leise legte Matthew seine Schreibutensilien und das Holzkästchen beiseite, erhob sich von seinem Hocker, ging zur Tür und öffnete sie schnell.

      Bidwell befand sich auf ein Knie gestützt im Flur und wienerte sich geschäftig mit seinem pfaublauen Ärmel den Schuh. Er drehte den Kopf und sah Matthew mit hochgezogenen Augenbrauen an, als wollte er fragen, warum der Gerichtsdiener sich so leise aus dem Richterzimmer geschlichen hatte.

      »Von wegen Gentleman!«, zischte Woodward leise.

      »Ich dachte, Ihr wolltet unten warten«, erinnerte Matthew den Mann, der seinen Schuh nun zum Glänzen gebracht hatte und sich mit empörter Miene aufrichtete.

      »Habe ich etwa gesagt, dass ich hinunter rennen werde? Ich habe gesehen, dass mein Schuh schmutzig ist!«

      »Euer Versprechen ist schmutzig, Sir!«, sagte Woodward mit angesichts seiner geschwächten Kondition überraschend fester Stimme.

      »Na gut! Dann gehe ich eben.« Bidwell rückte seine Perücke zurecht, die sich beim Aufrichten etwas verschoben hatte. »Könnt Ihr mir denn Vorwürfe machen, dass ich es wissen will? Ich habe so lange darauf gewartet!«

      »Dann könnt Ihr auch noch etwas länger warten.« Woodward machte eine scheuchende Handbewegung. »Matthew, schließ die Tür.« Matthew setzte sich wieder, nahm das Kästchen auf die Knie und legte seine Schreibutensilien zurecht.

      »Lies es noch mal vor«, sagte Woodward.

      »Jawohl, Sir.« Matthew atmete tief ein. »… die des Mordes und der Hexerei bezichtigte Angeklagte, eine als Rachel Howarth bekannte weibliche Bürgerin, der Anklage des Mordes an Reverend Burlton Grove …«

      »Schuldig«, kam die geflüsterte Antwort. »Mit einer Einschränkung: Dass die Angeklagte den Mord nicht selbst begangen hat … sondern ihn durch ihre Worte, Taten oder ihren Umgang veranlasst hat.«

      »Sir!«, sagte Matthew, dem das Herz in der Brust hämmerte. »Bitte! Es gibt keinerlei Beweise, dass …«

      »Ruhe!« Woodward stützte sich auf die Ellbogen und richtete sich etwas auf. Sein Gesicht war von einer Mischung aus Verärgerung, Enttäuschung und Schmerzen verzogen. »Ich dulde kein einziges deiner Widerworte mehr, hast du mich verstanden?« Er starrte Matthew in die Augen. »Schreibe den nächsten Punkt der Anklage auf.«

      Matthew hätte die Feder hinwerfen und das Tintenfass umwerfen können, aber er tat es nicht. Er kannte seine Pflichten, auch wenn er mit der Entscheidung des Richters nicht einverstanden war. Er schluckte den bitteren Geschmack in seinem Mund hinunter, tunkte das elende Instrument blinder Verdammnis – seine Feder – in die Tinte und sprach vor, was er schrieb: »Ich befinde die besagte Angeklagte der Anklage des Mordes an Daniel Howarth …«

      »Schuldig, mit einer Einschränkung. Der gleichen wie zuvor.« Woodward starrte Matthew wütend an, dessen Hand sich nicht bewegt hatte. »Ich würde das gern noch heute fertig bekommen.«

      Matthew blieb keine andere Wahl, als das Urteil auszustellen. Es trieb ihm die Schamesröte in die Wangen. Jetzt wusste er natürlich, wie der nächste Entscheid ausfallen musste. »Ich befinde die besagte Angeklagte der Anklage der Hexerei …«

      »Schuldig«, sagte Woodward schnell. Er schloss die Augen und lehnte seinen Kopf an das befleckte Kissen. Er atmete schwer. Matthew hörte, wie es tief in der Lunge des Richters rasselte. »Schreib die Einleitung des Urteils.«

      Wie betäubt fuhr Matthew mit der Feder über das Papier. Kraft meines Amtes als kolonialer Richter verurteile ich die besagte Angeklagte Rachel Howarth … Er hielt inne und wartete.

      Woodward öffnete die Augen und starrte zur Decke empor. Für einen Moment war der Gesang der Vögel im Frühlingslicht zu hören. »Der königlichen Gesetzgebung nach zum Tod auf dem Scheiterhaufen«, sagte Woodward. »Dieses Urteil soll am Montag, dem zweiundzwanzigsten Mai 1699, vollstreckt werden. Im Falle von Unbilden der Witterung am nächstmöglichen Datum.« Sein Blick schweifte zu Matthew

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