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der mit einer großen Beule auf der Stirn auf dem Boden saß.

      »Es reicht, dass Ihr ein Dummkopf seid, Mr. Giddins.« Lillehornes Stimme war ruhig, klar und eiskalt. »Auf das Ziehen eines Degens in der Öffentlichkeit mit dem Vorhaben, Schaden anzurichten, steht eine Strafe von zehn Peitschenhieben. Möchtet Ihr immer noch Genugtuung?«

      Giddins sagte nichts, streckte aber die Hand aus und nahm seinen Degen an sich.

      Das Gegröle auf der Straße, das immer mehr Männer – oder Betrunkene und Raufbolde – aus den anderen Wirtshäusern anzog, wurde lauter und verlangte nach Gerechtigkeit in der Form von Gewalt. Zed hielt weiter den Kopf gesenkt und Matthew stand der Schweiß im Nacken. Selbst Greathouse begann leicht beunruhigte Blicke auf den einzigen Ausgang zu werfen.

      »Manchmal ärgere ich mich über das, was zu tun ich gezwungen bin«, sagte Lillehorne. Dann sah er Matthew an und verzog spöttisch das Gesicht. »Seid Ihr es immer noch nicht müde, den jungen Helden zu spielen?« Ohne auf Antwort zu warten, fuhr er fort: »Also los. Ich geleite Euch nach draußen. Nack, Ihr haltet hier Wache, bis ich jemanden Gescheiteres schicke.« Den Spazierstock schulterhoch erhoben marschierte er auf die Tür zu.

      Greathouse nahm seine Mütze und den Mantel und ging ihm hinterher, gefolgt von Ted und Matthew. Die Schänkengänger, die noch der Sprache mächtig waren, warfen ihnen Flüche hinterher, und Nack bedachte den jungen Angestellten der Herrald Vermittlung mit mordlustigen Blicken. Die dreißig oder mehr Männer und ein halbes Dutzend betrunkene Frauen zählende Menge auf der Straße drängte sich an den Eingang.

      »Macht Platz! Alle Mann Platz machen!«, befahl Lillehorne, aber selbst die Stimme eines Hauptwachtmeisters reichte nicht aus, die aufgebrachten Gemüter zur Raison zu bringen. Matthew wusste nur zu gut, dass es drei Dinge gab, die in New York einen Menschenauflauf verursachten, egal um welche Uhrzeit: ein Hausierer, der Stadtschreier und die Aussicht auf einen Faustkampf.

      Durch die aufgebrachten Menschen hindurch sah er, dass Bonehead seine Reise durchs Fenster mit einer Platzwunde auf der Augenbraue überlebt hatte. Für einen Kampf war er jedoch offensichtlich noch nicht ausreichend genesen, denn er torkelte Schläge in die Luft austeilend wie ein Kreisel umher. Jemand packte ihn an den Armen und hielt sie fest, ein anderer schnappte ihn um die Taille, und dann sprangen fünf andere Männer grölend auf ihn. Jeder kämpfte gegen jeden und Bonehead wurde verprügelt, ohne einen einzigen Schlag austeilen zu können. Ein dürrer alter Bettler streckte eine Schellentrommel in die Luft, tanzte und schüttelte sie – aber ein Mann mit Musikgeschmack schlug sie ihm aus der Hand, woraufhin der Bettler zu kämpfen und zu fluchen begann wie ein Rasender.

      Die restlichen Menschen drängten sich immer noch um ihre wahre Beute: Zed. Sie zerrten an ihm und sprangen dann schnell weg. Einer riss an seinem zerfetzten Gehrock, aber Zed behielt den Kopf gesenkt und reagierte nicht. Abstoßendes Gelächter – das Gelächter von Scheusalen und Feiglingen – stieg in den Nachthimmel. Matthew merkte auf dem langsamen und gefährlichen Weg die Wall Street hinunter plötzlich, dass der Wind sich gelegt hatte. Kein Luftzug bewegte sich und er konnte das Meer riechen.

      »Hört zu.« Greathouse war neben Matthew angelangt. Seine Stimme klang angespannt – eine große Seltenheit. »Morgen früh um halb acht bei Sally Almond. Dann erkläre ich Euch alles.« Eine Flasche zersplitterte an einer Wand und er stockte einen Moment. »Falls wir hier mit heiler Haut rauskommen«, fügte er hinzu.

      »Aus dem Weg! Und zwar alle!«, schrie Lillehorne. »Ich meine es ernst, Spraggs! Lass uns vorbei, oder ich schwöre, ich schlag dir das Hirn aus dem Kopf!« Er hob seinen Spazierstock, hauptsächlich als Effekthascherei. Der Menschenauflauf wurde immer größer und Hände ballten sich zu Fäusten. »Nelson Routledge! Habt Ihr nichts Besseres zu tun, als …« Er beendete seinen Satz nicht, denn in der nächsten Sekunde waren schon keine Worte mehr nötig.

      Zed hob den Kopf dem schwarzen Himmel entgegen und gab tief in seiner Kehle einen Laut von sich, der ähnlich dem Brüllen eines verwundeten Stiers begann und hoch und höher emporstieg, hoch in die furchterregende Leere über den Dächern und Schornsteinen, den Docks und Scheunen, den Pferchen und Ställen und Schlachthäusern. Zuerst hörte er sich wie ein verwundeter Stier an, ja – aber irgendwo in seinem Höhenflug wurde aus dem Schrei der eines kleinen Kindes, das verlassen war und Angst vor der Dunkelheit hatte.

      Das Geräusch erstickte allen Lärm. Man konnte hören, wie der Schrei in eine Richtung über die Stadt hinwegrollte und in die andere über das Wasser.

      Alle Hände erstarrten. Alle Fäuste öffneten sich und alle Gesichter, selbst die höhnischen, versoffenen und gemeinäugigen, überfiel um den Mund herum die Beklemmung von Scham, denn jeder in der Menge kannte Wörter für Qual, aber niemand hatte darüber je so schrecklich ausdrucksvoll reden gehört.

      Zed senkte wieder den Kopf. Matthew starrte zu Boden. Es war an der Zeit, dass sich alle zu ihren Frauen, Ehemännern, Liebhabern und Kindern nach Hause begaben. In ihre Betten. Nach Hause, wo sie hingehörten.

      Blitze zuckten, Donner grollte, und noch bevor die Menschenmenge sich auflöste, ergoss der Regen sich mit solch wütender Gewalt auf sie, als hätte die Welt sich auf ihrer Achse verschoben und als drängte der kalte Atlantik in Flutwellen an Land. Manche rannten, um sich unterzustellen, andere stapften langsam mit hochgezogenen Schultern und grimmigen Gesichtern von dannen, und innerhalb weniger Minuten lag die Wall Street leer in den Regenfluten da.

      Kapitel 3

      »Also gut.« Matthew faltete auf dem Tisch die Hände. Er hatte gerade seinen Dreispitz an einen Haken gehängt und sich hingesetzt, aber Greathouse war zu beschäftigt damit, sein aus acht Eiern, vier ölig glänzenden Würstchen und sechs Maisfladen bestehendes Frühstück auf dem riesigen roten Servierteller zu verzehren, um ihm Aufmerksamkeit zu zollen. »Worum geht’s?«

      Greathouse hielt beim Essen lange genug inne, um an seinem Tee zu nippen, der so heiß und schwarz war, wie es Sally Almonds Schänke in der Nassau Street zu servieren nur möglich war.

      Man konnte sich kaum einen größeren Unterschied vorstellen als zwischen diesem geachteten Wirtshaus und der abstoßenden Pinte, die sie am Abend zuvor besucht hatten. Das Rathaus war einst der Mittelpunkt der Stadt gewesen, aber jetzt konnte man sagen, dass Sallys Gaststätte – ein ordentliches weißes Steinhaus mit grauem Schieferdach, über das eine massive Eiche ragte – diese Bezeichnung verdiente, denn die Straßen und Häuser dehnten sich immer mehr gen Norden aus. Die Schänke war warm und freundlich und roch stets nach Gewürzen, Räucherfleisch und frischgebackenem Kuchen. Die Fußbodenbretter wurden peinlich sauber gehalten, hie und da standen Vasen mit frischen Blumen, und beim ersten Herbstfrost wurde der große offene Kamin angefeuert. Sally Almonds Schänke wurde sowohl von Einheimischen als auch Durchreisenden zum Frühstück, Mittagstisch und Abendessen frequentiert, und Madam Almond spazierte oft mit einer Laute zwischen den Tischen umher und sang mit leichter und sehr angenehmer Stimme.

      Die ganze Nacht über hatte es geregnet, doch zur Morgendämmerung hatte es aufgehört. Aus einem großen Fenster, das zu den Fußgängern, vorbeiratternden Pferdewagen, Karren und dem Vieh in der Nassau Street hinausging, konnte man silberne Streifen Sonnenlicht die Wolken durchbrechen sehen. Direkt gegenüber lag Mary Belovaires gelbgemauertes Gasthaus, in dem Greathouse wohnte, bis er, so seine Worte, »eine passendere Unterkunft für einen Junggesellen« finden konnte. Damit meinte er, dass Madam Belovaire bei aller Freundlichkeit dazu neigte, das Kommen und Gehen ihrer Gäste zu überwachen und dabei so weit ging, ihnen den regelmäßigen Besuch des Gottesdienstes, des Nichtgebrauchs von Schimpfworten und Alkohol, sowie beste Manieren im Umgang mit dem anderen Geschlecht gegenüber nahezulegen. All das verursachte bei Greathouse ständiges Zähneknirschen. Neuerdings hatte Madam Belovaire sich als Ehevermittlerin versucht und ihm eine ganze Anzahl respektabler und anständiger Damen vorgestellt, die in Greathouse ungefähr das gleiche Interesse wie eine Schüssel Sülze erregten. Daher war es nicht verwunderlich, dass Greathouse in letzter Zeit in der Stone Street 7 bis tief in die Nacht hinein arbeitete. Matthew wusste, dass der Mann dort in Gesellschaft einer Brandyflasche auf einem schmalen Klappbett schlief.

      Was nicht heißen soll, dass die

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