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schwierigen Fragen und zu lösenden Problemen liebte Matthew Bücher. Und so kam es, dass die Zerstörung der Bibliothek in ihm ein Gemisch aus großer Freude und entsetztem Bestürzen auslöste. Freude, da die Bücher zwar aus den Regalen gerissen worden waren, aber immer noch in unordentlichen Haufen auf dem Boden lagen, und Bestürzung, weil jemand Dutzende der Folianten in den Kamin geworfen hatte, wo ihre geschwärzten Einbände sich wie Knochen stapelten.

      Niemand kennt seinen wahren Namen. Niemand weiß, ob ER ein Mann oder eine Frau ist, oder als Professor an einer Schule oder Universität lehrte. Niemand kennt sein Alter oder könnte ihn beschreiben …

      Ein graues Sofa stand im Zimmer, das mit einem Messer aufgeschlitzt und seiner Füllung entledigt worden war. Ein Pult war anscheinend zur Zielscheibe eines Betrunkenen mit einem Schmiedehammer geworden. An den Wänden waren die Stellen zu sehen, an denen Gemälde gehangen hatten; es sah aus, als hätte jemand versucht, selbst die Tapete abzureißen, um die hellen Flecken zu entfernen. Matthew nahm an, dass derjenige, der die Bücher verbrannt hatte, dies um der Wärme und des Lichts willen getan und vermutlich eine ganze Nacht damit zugebracht hatte.

      Wer konnte es den Menschen vorwerfen, herzukommen und sich die Dinge anzueignen, die hier zu finden waren? Matthew war sich bewusst, dass er nicht die einzige Berühmtheit war, die die aufgebauschten Geschichten im Ohrenkneifer ins Leben gerufen hatte. Auch der Landsitz war berühmt geworden und war am Ende von denen, die eine Handvoll Ruhm besitzen wollten, angegriffen worden. Ruhm, oder eine hübsche Vase für das Küchenfenster.

      Matthew betrachtete den angerichteten Schaden. Sieben Bücherbretter waren an der Wand befestigt. Es gab eine kleine Trittleiter, von der aus sich die am weitesten oben stehenden Bücher herausziehen ließen. An beiden Enden des Bretts standen noch je acht bis neun Bücher, aber die aus der Mitte waren auf den Boden geworfen worden, damit mit der Axt besser auf die Wand eingeschlagen werden konnte. Es war wohl mehr als nur eine Axt gewesen, dachte Matthew. Vielleicht eine ganze Schiffsbesatzung, so groß, wie die Zerstörung war. Es war also nicht genug gewesen, das Mobiliar fortzuschaffen – selbst auf die Wände des Hauses war bei der Suche nach verstecktem Geld eingehackt worden. Sollen sie es haben, falls sie welches gefunden haben, dachte er. Ich will die Bücher. So viele, wie in die Satteltaschen passen.

      Danach wollte er nochmals in den Wald gehen, um nach Hinweisen zu suchen, wie die vier Menschen so spurlos hatten verschwinden können. Rechtzeitig vor Sonnenuntergang wollte er sich wieder auf Dante schwingen, um das Grundstück zu verlassen.

      Er betrat die Ruine der Bibliothek, kniete sich hin und begann die übrig gebliebenen Schätze zu untersuchen. Er hielt sich für jemanden, der in den Kolonien lebte, recht belesen, wenn auch nicht im Vergleich zu den Londoner Intellektuellen. In London gab es eine ganze Straße voller Buchläden, zwischen deren Regalen man in aller Ruhe in den gerade hereingekommenen neuen Büchern blättern konnte – zumindest stellte die Gazette es so dar. Matthews einzige Möglichkeit, an Bücher zu kommen, beschränkte sich dagegen auf die schimmligen Überseetruhen derer, die bei der Atlantiküberfahrt ums Leben gekommen waren und daher keinerlei Erleuchtung mehr brauchten. Jedes im Hafen einlaufende Schiff versteigerte das Gepäck unterwegs verstorbener Passagiere. Meistens wurden alle verfügbaren Bücher von den Einwohnern Golden Hills aufgekauft; nicht als Lesematerial, sondern als Statussymbol. Teetischbücher nannte man sie.

      Und so sah Matthew sich von einem Reichtum an Büchern umgeben, die er noch nicht gelesen hatte und von denen er zum Großteil auch nie gehört hatte. Da waren in Leder gebundene Wälzer wie Die entflammte Welt, Sir Courtly Nice, Polexandre, Dich dürstet, Die Pilgerreise, Eine neue Theorie über die Erde, The Holy State and the Profane State, Die Korruption der Zeit durch Geld, King Arthur, Don Quixote de la Mancha und Annus Mirabilis, das Jahr der Wunder 1666. Es waren Bücher dünn wie Haferschleim und andere so dick wie Bratenstücke. Manche Bände waren auf Lateinisch, Französisch oder Spanisch verfasst. Es waren Predigten, Romane, Historien, philosophische Trakte und Abhandlungen über die Elemente, die Planeten, Eden und das Fegefeuer, und alles, was dazwischen lag. Matthew blätterte durch ein Buch mit dem Titel Die rachelustige Mätresse und entschied mit hochroten Wangen, dass er ein derartig skandalöses Werk nicht in seinem Haus haben konnte. Aber er legte es mit dem Gedanken beiseite, dass es Greathouses obszönem Geschmack entsprechen mochte.

      Er entdeckte historische Romane solchen Umfangs, dass er befürchtete, Dante würde sich den Rücken verletzten, wenn er zwei davon in jeder Satteltasche mitnähme. Die acht Bände langen Briefe eines türkischen Spitzels faszinierten ihn und er legte sich auch diese beiseite. Er war einmal in den Genuss – vielleicht nicht unbedingt das richtige Wort – eines Banketts in diesem Hause gekommen, aber das hier war der wahre Festschmaus, der ihn nach mehr und mehr verlangen ließ und ihm sogar etwas fiebrigen Schweiß auf die Stirn trieb. Denn er würde die grausame Wahl treffen müssen, was er mitnahm und was er zurücklassen würde. Londons Freiheit in Ketten enthüllt? Eine Abhandlung über die Religion mit Verstand? Ach was; lieber nahm er Das Glücksspiel der Liebe und Eine Frau als Preis mit.

      Matthew wünschte sich, er wäre mit einem Wagen gekommen. Er hatte bereits zu viele Bücher beiseitegelegt und würde sie für die endgültige Auswahl alle noch einmal durchgehen müssen. Und auf den Brettern an der Wand standen auch noch Bücher! Er erhob sich und ging auf die letzten Überlebenden der Zerstörungswut zu.

      Auf dem dritten Brett links sah er sofort etwas, das er haben wollte: Der Schachspieler. Und fast exakt darüber zogen die auf den Buchrücken gestanzten Worte Das Leben und Sterben des Mr. Badman seine Augen an. Er ließ seinen Blick nach oben schweifen. Dort, auf dem obersten Brett ganz links stand ein dicker Foliant mit dem Titel Die Geschichte des Schlosses: Über das Handwerk der alten Ägypter und Römer. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, als hätte ihm jemand eine Auswahl besten Gebäcks gereicht. Chapel mochte ein bösartiger Hurensohn gewesen sein, aber wenn er auch nur ein Viertel dieser Bücher gelesen hatte, war er immerhin ein gelehrter bösartiger Hurensohn gewesen.

      Matthew holte sich die Trittleiter und stieg darauf, um das Schachspieler-Buch aus dem Regal zu nehmen. Er blätterte es durch, traf eine schnelle Entscheidung und legte es für die Endauswahl beiseite. Eine Abhandlung über Mondstrahlen zog ihn als Nächstes an, doch er entschied sich dagegen. Dann streckte er die Finger nach der Geschichte des Schlosses aus und musste beide Hände nehmen, da der Wälzer ein Gewicht wie eine gusseiserne Bratpfanne hatte. Nein, das würde Dante sich niemals auf den Rücken laden lassen. Er wollte das Buch gerade wieder zurückstellen, als sich etwas darin bewegte.

      Matthew erschrak so sehr, dass er fast von der Leiter fiel. Er hielt das Buch waagerecht vor sich und wollte es aufklappen, nur um zu erkennen, dass es gar kein Buch war.

      Es handelte sich um eine als Buch getarnte Kassette. Die Geschichte des Schlosses war selbst verschlossen, und zwar genau an der Stelle, wo sich eigentlich die Seiten befinden sollten. Der Deckel gab nicht nach. Was auch immer sich darin befand, war keine leichte Lektüre. Aber wo war der Schlüssel?

      Das wusste wohl nur Gott. In diesen Trümmern würde man nichts finden.

      Matthews Blick richtete sich auf den goldenen Titel eines anderen Buchs: Die erhabene Kunst der Logik.

      Denk nach, mahnte er sich.

      Wenn es meins wäre, wo hätte ich dann den Schlüssel versteckt? Nicht weit weg. Wohl irgendwo in diesem Zimmer. Dort, wo ich ihn schnell holen könnte. Er grübelte. Wenn eine abgeschlossene Kassette als Buch über Schlösser getarnt war, könnte es doch anderswo in der Bibliothek ein Buch über Schlüssel geben, in dem der Schlüssel versteckt war? Aber so einen Titel hatte er nicht gesehen, und er hatte sich jedes einzelne Buch auf dem Fußboden angesehen. Die Geschichte des Schlüssels war nicht darunter gewesen. Natürlich hätte das Buch auch im Kamin gelandet sein können.

      Oder … nicht.

      Matthew ging die Titel der in der Nähe stehenden Bücher durch. Nichts mit Schlüsseln war darunter. Er nahm Die Geschichte des Schlosses, stieg von der Leiter und legte das Buch auf den zertrümmerten Schreibtisch. Die einzige Schublade des Pults stand offen. Jemand hatte ein Tintenfass

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