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Draht zusammengebundene Bein- und Armknochen, Brustkörbe und Hände vervollständigten die Dekoration, die nur einem Leichenbeschauer gefallen konnte. Einige honigfarbene Aktenschränke standen mitten im großen Zimmer. Auf ihnen lagen weitere Knochen. Es waren auch Tierskelette darunter, ein Anzeichen dafür, dass McCaggers Knochen um ihrer Form und Mannigfaltigkeit willen sammelte. Neben einem langen Tisch, der mit Bechergläsern vollgestellt war, in denen seltsame – aber mit Sicherheit beunruhigende – Dinge in Flüssigkeiten trieben, stand McCaggers‘ Gestell, das seine Degen, Äxte, Messer, Musketen, Pistolen und rohere Waffen wie mit grausig aussehenden Nägeln beschlagene Knüppel beherbergte. Vor dieser Sammlung von Instrumenten, die Menschen zu Knochen reduzierten, stand Hudson Greathouse und bewunderte die üppig verzierte Pistole in seiner Hand.

      Er sah von der Pistole hoch, warf Berry einen Blick zu und sagte mit einem unscheinbaren Lächeln: »Ach, Miss Grigsby.«

      Berry erwiderte nichts. Sie stand noch immer bewegungslos, betrachtete das grausige Zimmer, und Matthew fragte sich, ob es ihr die Sprache verschlagen hatte.

      »Das ist Mr. McCaggers‘ Sammlung«, hörte Matthew sich sagen, als ob sie das beruhigen würde.

      Schweigen dehnte sich aus, bis McCaggers schließlich fragte: »Möchte jemand Tee? Der ist zwar kalt, aber …«

      »Was für eine großartige …« Berry stockte und suchte nach dem richtigen Wort. »Galerie«, entschied sie. Ihre Stimme klang ruhig und klar und sie streckte einen Arm nach dem kindergroßen Skelett aus, das ihr am nächsten hing. Matthew dachte, dass sie es berühren wollte, und verzog das Gesicht. Aber es hing zu hoch für sie, wenn auch nur um ein paar Zentimeter. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Leichenbeschauer zu, und als Matthew ein paar Schritte zur Seite trat, konnte er sehen, wie sie den Mann musterte, der in diesem Museum lebte. »Ich nehme an, dass das Leichen waren, die niemand kannte? Der Friedhof von New York wird sich doch wohl nicht so schnell füllen, dass dort kein Platz mehr ist?«

      »Tatsächlich nicht. Und ja, Eure Annahme stimmt.« McCaggers erlaubte sich ein leichtes Lächeln. Er nahm seine Brille ab, zog aus seiner schwarzen Kniehose ein Taschentuch und begann die Brillengläser zu polieren.

      Um Berry besser sehen zu können, dachte Matthew.

      McCaggers war nur drei Jahre älter als Matthew, blass und von durchschnittlicher Größe mit hellbraunem Haar, das über seiner hohen Stirn dünn wurde. Er war in ein einfaches weißes Hemd gekleidet, dessen Ärmel er aufgerollt hatte, und war wie üblich einen oder zwei Tage von der letzten anständigen Rasur entfernt. Nichtsdestotrotz war seine Dachstube so ordentlich sauber wie Sally Almonds Küche. Er setzte sich die Brille wieder auf und schien Berry in einem neuen Licht zu sehen. »Ich bekomme hier selten Besuch. Und die Leute, die kommen, zucken meist zusammen und wollen so schnell wie möglich wieder gehen. Die meisten Menschen haben … äh … eine solche Angst vor dem Tod.«

      »Na ja«, meinte Berry. »Angenehm finde ich den Gedanken nicht.« Sie warf Matthew einen kurzen Blick zu, der zeigte, dass sie ihre eigene Begegnung mit dem Sterben mittels Falkenkrallen und mörderischen Messern auf Chapels Landsitz noch nicht ganz überwunden hatte. »Aber was die reine Ästhetik angeht, sind Eure Stücke sehr interessant. Kunstvoll, könnte man sagen.«

      »Oh, aber ja!« McCaggers grinste fast, offenbar glücklich, eine verwandte Seele entdeckt zu haben. »Die Knochen sind schön, nicht wahr? Wie ich Matthew schon einmal gesagt habe – für mich stellen sie alles dar, was am Leben und am Tod faszinierend ist.« Er sah so stolz zu den Skeletten hoch, dass Matthew eine Gänsehaut bekam. »Der junge Mann und die Frau – diese beiden da – habe ich aus Bristol mitgebracht. Das Mädchen und der alte Mann sind hier gefunden worden. Wisst Ihr, mein Vater war in Bristol Leichenbeschauer. Wie auch schon mein Großvater vor …«

      Das laute Klacken des Pistolenabzugs hielt McCaggers davon ab, den Rest seiner Familiengeschichte zu erzählen.

      »Wir haben Geschäftliches zu bereden«, sagte Greathouse und nickte in Richtung eines Tisches auf der anderen Seite der Dachkammer, wo Licht auf Zed fiel, der einige der Zangen, Greifzirkel und kleinen Messer säuberte, die der Leichenbeschauer bei seiner Arbeit brauchte. Zed trug ein graues Hemd und braune Kniehosen; kein Vergleich zu dem Anzug des Vorabends. Als er aufsah und registrierte, dass ihn alle anstarrten, starrte er gleichmütig zurück und drehte seinen Stuhl dann so um, dass den Zuschauern sein breiter Rücken zugewandt war. Mit bewundernswerter Würde fuhr er mit der Arbeit fort.

      »Ihr interessiert Euch also für Kunst?«, fuhr McCaggers an Berry gewandt fort.

      Heiliger Herr im Himmel!, dachte Matthew. Wenn Effrem hier wäre, könnte ihn eine so offensichtliche Anspielung auf Berrys Interesse glatt eifersüchtig machen.

      »Allerdings, Sir«, gab Berry zurück. »Sehr.«

      Matthew hätte McCaggers von Berrys Zeichentalent erzählen können, das geholfen hatte, das Rätsel um die Königin der Verdammten zu lösen, aber er war nicht danach gefragt worden. Er sah schnell zu Greathouse hinüber, der wirkte, als sei er bereit, den Leichenbeschauer zu erschießen.

      »Ah!« McCaggers hauchte den Laut wie ein hehres Wort. Seine Augen musterten Berry von der Schuhspitze bis zum Hut. »Und als Lehrerin … interessiert Euch das … wie soll ich sagen … Ungewöhnliche

      Jetzt schien Berry etwas verwirrt zu sein. »Wie meint Ihr das?«

      »Das Ungewöhnliche«, wiederholte McCaggers. »Nicht nur in der Kunst, sondern auch in der … Schöpfung?«

      Berry warf Matthew einen hilfesuchenden Blick zu, aber Matthew zuckte mit den Schultern. Er hatte keine Ahnung, worauf McCaggers hinauswollte.

      »Jetzt hört mal«, meldete Greathouse sich zu Wort. »Falls Ihr es vergessen habt, wir sind wegen …«

      »Ich vergesse nichts«, kam die leicht frostige Antwort. »Niemals. Miss Grigsby?« Seine Stimme erwärmte sich bei ihrem Namen. »Darf ich Euch meinen größten Schatz zeigen?«

      »Äh … ich bin mir nicht sicher, ob ich …«

      »Aber natürlich seid Ihr ihm würdig. Sich für Kunst und die Schöpfung zu interessieren und obendrein noch Lehrerin zu sein! Also, ich glaube schon, dass Ihr ein … Rätsel, auf das es keine Lösung gibt, sehen möchtet. Möchtet Ihr?«

      »Alle Rätsel haben Lösungen«, sagte Greathouse. »Man muss nur diejenige finden, die passt.«

      »Das sagt Ihr.« Mit dieser Bemerkung drehte McCaggers sich um und ging an einem Regal mit uralten, in abgewetztes Leder gebundenen Folianten vorbei zu einer massiven alten, schwarzen Kommode, die neben einem Gestell mit Fächern voller zusammengerollter Papiere stand. Aus der untersten Schublade holte McCaggers ein kleines rotes Samtkästchen heraus und trug es zu Berry, als befände sich der edelste Smaragd Brasiliens darin. »Dies ist mein größter Schatz«, sagte er leise. »Ein Rätsel, für das es keine Lösung gibt. Mein Großvater hat es als Lohn für verrichtete Arbeit erhalten. Mein Vater hat es mir vermacht. Und jetzt …« Er hielt inne, war kurz davor, das Kästchen zu öffnen. Matthew merkte, dass selbst Zed zu arbeiten aufgehört hatte und gespannt herübersah. »Ich habe dies noch nie jemandem gezeigt, Miss Grigsby. Darf ich Euch Berry nennen?«

      Sie starrte das Kästchen an und nickte.

      »Gott erschafft alles«, sagte McCaggers, auf dessen Brillengläsern rotes Licht reflektierte. »Und alles passt in Gottes Plan. Was also ist das hier

      Er öffnete den roten Samtdeckel, und als er das Kästchen etwas drehte, konnten sowohl Berry als auch Matthew den Inhalt sehen: Es war ein hässliches Stück dunkelbraunes Holz, rundlich und voller Eindellungen, vielleicht fünfzehn Zentimeter lang, das an einem Ende zu einer klingenartigen Spitze zulief.

      »Hm«, machte Matthew mit hochgezogener Augenbraue, was darauf hindeutete, dass er sich über McCaggers lustig machte. »Sehr interessant.«

      »Und der Ton, in dem Ihr das sagt, verrät mir natürlich, dass Ihr keinerlei Ahnung habt, was Ihr Euch da anseht. Berry, möchtet Ihr einmal raten, was es ist?«

      Greathouse

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