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zwischen die Rippen bekommen!«

      Also sprach Herr Verloc und strengte seinen erfinderischen Geist an, um die Rätsel der Zukunft zu lösen. Seine Stimme klang düster, da er das richtige Gefühl für die Lage hatte. Alles war gerade so gekommen, wie er es nicht gewünscht hatte. Die Zukunft war in Frage gestellt. Vielleicht hatte seine Urteilskraft vorübergehend gelitten unter der Angst vor Herrn Vladimirs toller Bosheit. Bei einem Mann über Vierzig mag es entschuldbar sein, wenn er durch die Aussicht auf den Verlust seiner Stellung den Verstand verliert, ganz besonders dann, wenn dieser Mann ein Geheimagent der politischen Polizei ist, der sich geborgen wähnt im Bewußtsein seines hohen Wertes und der Wertschätzung hoher Persönlichkeiten. Er war entschuldbar.

      Nun hatte die Sache mit einem Krach geendet. Herr Verloc war kalt, aber nicht heiter. Ein Geheimagent, der aus Rachsucht sein Geheimnis den Winden preisgibt und sein verstecktes Tun den Augen der Menge, wird dadurch zur Zielscheibe für verzweifelte und blutdürstige Wut. Ohne die Gefahr unnütz zu übertreiben, versuchte Herr Verloc doch, sie seiner Frau klar vor Augen zu stellen. Er wiederholte, daß er nicht die Absicht habe, sich von den Revolutionären beseitigen zu lassen.

      Er sah seiner Frau gerade in die Augen. Die erweiterte Pupille der Frau nahm seinen Blick in ihre unergründlichen Tiefen auf.

      »Dazu habe ich dich zu lieb«, sagte er mit einem kurzen, nervösen Lachen.

      Eine schwache Röte überflog Frau Verlocs geisterhaftes, bleiches Gesicht. Sobald die Gesichte der Vergangenheit an ihr vorübergezogen waren, hatte sie die Worte ihres Mannes nicht nur gehört, sondern auch verstanden. Infolge ihres grellen Gegensatzes zu ihrem eigenen Gemütszustand hatten diese Worte eine Wirkung, die dem Ersticken nahe kam. Frau Verlocs Gemütszustand hatte den Vorzug der Einfachheit für sich; doch war er nicht gesund. Dazu stand er zu sehr unter dem Einfluß einer fixen Idee. Jede kleinste Windung ihres Hirns war ausgefüllt von dem Gedanken, daß dieser Mann, mit dem sie sieben Jahre lang ohne Widerwillen zusammengelebt hatte, den »armen Jungen« von ihr genommen hatte, um ihn zu töten – der Mann, an den sie sich mit Seele und Leib gewöhnt hatte; der Mann, dem sie vertraut, hatte den Jungen weggenommen, um ihn zu töten! In seiner Form, seinem Gehalt und seiner Wirkung, die umfassend sogar auf das Aussehen unbeseelter Dinge sich zu erstrecken schien, war das ein Gedanke, über dem man still sitzen konnte, ohne aus der Verwunderung herauszukommen. Frau Verloc saß still. Und in ihren Gedanken (nicht in der Küche) wanderte Herrn Verlocs Gestalt auf und ab, wie gewöhnlich in Hut und Überrock, und stampfte mit den Stiefeln auf ihrem Hirn herum. Wahrscheinlich sprach er auch; doch Frau Verlocs Gedanken übertönten meistens seine Stimme.

      Dann und wann schuf sich allerdings die Stimme Gehör. Ein paar zusammenhängende Worte tauchten auf, die allgemein zuversichtlich klangen. Bei jedem solchen Anlaß verloren Frau Verlocs erweiterte Pupillen ihre ferne Starrheit und verfolgten die Bewegungen ihres Gatten mit düsterer, gespannter Aufmerksamkeit. Genau unterrichtet von allem, was zu seinem geheimen Gewerbe gehörte, erhoffte Herr Verloc für seine Pläne besten Erfolg. Er glaubte tatsächlich, daß es im Grunde leicht fallen würde, den Messern wütender Revolutionäre zu entgehen. Er hatte die Stärke wie die Länge ihres Arms (beruflich) zu oft übertrieben, um sich über die eine oder die andere sonderlichen Täuschungen hinzugeben. Denn um richtig übertreiben zu können, muß man erst genau abgeschätzt haben. Er wußte auch, wieviel Tugend und wieviel Niedertracht vergessen werden kann – in zwei langen Jahren. Seine erste, wirklich vertrauliche Unterredung mit seiner Frau war überzeugt zuversichtlich. Nebenbei hielt er es auch sonst für richtig, soviel Zuversicht zu zeigen, wie er nur aufbringen konnte. Das mußte der armen Frau Mut machen. Nach seiner Freilassung, die, wie sein ganzes Leben, geheim gehalten werden würde, wollten sie zusammen verschwinden, ohne Zeit zu verlieren. Was die Verwischung ihrer Fährte anbetraf, so bat er seine Frau, sich auf ihn zu verlassen. Er wüßte schon, wie er es machen müßte, daß der Teufel selbst – – –

      Er schwenkte die Hand. Er schien sich rühmen zu wollen. Doch wollte er ihr nur Mut machen. Die Absicht war gut, doch hatte Herr Verloc das Unglück, sich mit seiner Zuhörerin nicht im Einklang zu befinden.

      Der selbstbewußte Ton drängte sich Frau Verlocs Ohren auf, die doch die meisten Worte unbeachtet ließ; denn was konnten Worte ihr jetzt noch sagen? Was konnten Worte ihr bedeuten, im Guten oder im Bösen, angesichts ihrer fixen Idee? Ihr dunkler Blick folgte dem Mann, der sich seiner Straflosigkeit rühmte – dem Mann, der den armen Stevie von Hause weggenommen hatte, um ihn irgendwo umzubringen. Frau Verloc konnte sich nicht mehr genau erinnern, wo, doch ihr Herz begann hörbar zu schlagen.

      Herr Verloc drückte nun im Ton ehelicher Zuversichtlichkeit die feste Hoffnung aus, daß noch eine lange Reihe ruhiger Lebensjahre vor ihnen beiden läge. Auf die Frage der Mittel ging er nicht ein. Ein ruhiges Leben mußte es werden, und naturgemäß im Schatten verborgen, unter friedfertigen Menschen, bescheiden, wie das Leben der Veilchen. Herrn Verlocs Worte waren: »eine Weile versteckt bleiben.« Und weit fort von England natürlich. Es war nicht klar, ob Herr Verloc an Spanien oder an Südamerika dachte; bestimmt aber an das Ausland.

      Dieses letzte Wort traf Frau Verlocs Ohr und brachte einen endgültigen Eindruck hervor. Der Mann da redete von Auswanderung. Der Eindruck war völlig zusammenhanglos; und so groß ist die Macht der Gewohnheit, daß Frau Verloc sich sofort und unüberlegt fragte: »Und was wird aus Stevie?«

      Es war eine Art Vergeßlichkeit; doch kam ihr sofort zum Bewußtsein, daß von nun an diese Art Sorge überflüssig war. Nie wieder würde sich der Anlaß dazu bieten. Der arme Junge war weggeführt und umgebracht worden. Der arme Junge war tot. Diese Vergeßlichkeit schärfte Frau Verlocs Verstandestätigkeit. Sie begann Folgerungen ins Auge zu fassen, die Herrn Verloc wohl überrascht hätten. Es war also nicht mehr nötig, daß sie hier bliebe, in dieser Küche, in diesem Hause, mit diesem Manne – da der Junge für immer gegangen war. Nicht mehr nötig. Und dabei erhob sich Frau Verloc, wie von einer Feder emporgeschnellt. Doch konnte sie ebensowenig einsehen, was sie überhaupt noch in der Welt hielt, und dies zwang sie zum Verweilen. Herr Verloc beobachtete sie mit ehelicher Besorgnis.

      »Nun siehst du dir schon wieder mehr gleich«, meinte er verlegen. Seine Zuversicht wurde gestört von einem ungewohnten Ausdruck in den dunklen Augen seiner Frau. Gerade in diesem Augenblick begann Frau Verloc an sich hinunterzusehen, wie erlöst von allen irdischen Banden. Sie hatte ihre Freiheit. Ihre Verpflichtung gegen das Leben, verkörpert in dem Manne dort drüben, war zu Ende. Sie war ein freies Weib. Wäre diese Ansicht Herrn Verloc irgendwie zur Kenntnis gekommen, so hätte sie ihn zweifellos höchlichst empört. In seinen Herzensangelegenheiten war Herr Verloc immer freigebig gewesen, allerdings aber aus der Überzeugung heraus, um seiner selbst willen geliebt zu werden. Hierin deckten sich seine sittlichen Begriffe völlig mit seiner Eitelkeit, und er war unbekehrbar. Daß es sich im Fall seiner tugendhaften, gesetzmäßigen Verbindung nicht anders verhalten konnte, war ihm unumstößliche Gewißheit. Er war älter geworden, fetter, massiger, in dem festen Glauben, daß er keine Reize brauchte, um seiner selbst willen geliebt zu werden. Als er nun sah, wie Frau Verloc sich anschickte, wortlos aus der Küche hinauszugehen, da war er enttäuscht.

      »Wohin gehst du?« rief er ziemlich scharf. »Hinauf?«

      Frau Verloc hielt im Türrahmen an. Klugheit, aus Furcht, der maßlosen Furcht geboren, der Mann könnte sich nähern und sie berühren, trieb sie, ihm (von zwei Stufen aus) zuzunicken, mit einem Zucken der Lippen, das Herr Verloc in ehelicher Gutgläubigkeit als ein leichtes, verschwommenes Lächeln deutete.

      »Das ist recht«, ermutigte er sie bärbeißig. »Du brauchst völlige Ruhe. Geh nur. Es wird nicht lange dauern, bis ich dir nachkomme.«

      Frau Verloc, das freie Weib, die tatsächlich keine Idee gehabt hatte, wohin sie wollte, befolgte die Anregung in starrer Ruhe.

      Herr Verloc beobachtete sie. Sie verschwand im Treppenhaus. Er war enttäuscht. Etwas in ihm wäre befriedigt gewesen, wenn sie sich an seine Brust geworfen hätte. Doch war er großmütig und nachsichtig. Winnie war immer schweigsam und Gefühlsäußerungen abgeneigt gewesen. Auch Herr Verloc war im allgemeinen kein Freund von Worten und Zärtlichkeiten. Doch dies war kein gewöhnlicher Abend. Es war ein Anlaß, wo ein Mann wünschen konnte, in unverhohlenen Liebesbeweisen Kraft und Trost zu finden. Herr Verloc seufzte und drehte

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