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willst du heute nicht ausreiten? Du könntest bei den Nachbarn deine Aufwartung machen und gleich den Neuzugang begutachten. Es soll sich um ein sehr hübsches Mädchen direkt aus London handeln …« Lord Cyrus Humbert lachte amüsiert auf. »Wäre mal was anderes bei den dort sonst üblichen stets sauertöpfischen Mienen, nicht wahr?«

      Sein Neffe Timothy bedachte den Onkel mit einem tadelnden Blick. »Redet man so über seine Nachbarn?«

      Der Lord machte eine wegwerfende Geste. »Wenn sie Hanley heißen, dann schon!« Er zündete seine Pfeife an und machte es sich in seinem Lieblingssessel bequem.

      Timothy Humbert setzte sich ebenfalls. Er war ein gut aussehender, hochgewachsener junger Mann mit dunklem Haar und klugen, grauen Augen, kam geradewegs von der Universität und hatte seine Zulassung als Anwalt in der Tasche.

      Vor ein paar Wochen war er für einen längeren Besuch nach Dartmoor gekommen. Der junge Mann, der früh die Eltern verloren hatte, verdankte seinem Onkel viel. Lord Cyrus hatte dafür gesorgt, dass er die besten Schulen und die Universität besuchen konnte. Hinter dem exzentrischen Auftreten des Lords klopfte das Herz eines Philanthropen.

      »Diese Hanleys scheinen dir gegen den Strich zu gehen, Onkel«, stellte Timothy nun nachdenklich fest. »Warum eigentlich? Sind Sie denn nicht sogar weitläufig mit uns verwandt?«

      »Einige unserer Vorfahren waren so dumm, sich auf Heiraten mit diesen Leuten anzulassen. Ich sage dir, es ist keinem Humbert je gut bekommen, in die Familie Hanley einzuheiraten.«

      »Und warum nicht? Wurden sie unglücklich?«

      »Nicht nur das. In einer Ehe mit einem Hanley wird man nicht alt. Das solltest du dir merken und danach handeln.«

      »Dann halte ich mich wohl besser von dem schönen Mädchen aus London fern«, scherzte er und erhob sich. »Aber ich werde trotzdem ausreiten. Auch wenn ich um Hanley-Hall einen Bogen mache. Briggs, Hanleys Verwalter, hat etwas dagegen, wenn man auch nur den Grund seines Brotherrn betritt.«

      »Leg dich besser nicht mit dem Kerl an, er ist auffahrend und stets bewaffnet. Ich möchte mich nicht um dich sorgen müssen, mein Junge.«

      Timothy bedachte seinen Onkel mit einem abwägenden Blick und verließ dann den elegant eingerichteten Wohnraum. Der junge Mann war der Meinung, dass Lord Cyrus es ein wenig übertrieb mit seiner Abneigung gegen die Nachbarn. Er selbst fand die Hanleys ebenfalls nicht unbedingt sympathisch. Doch sein Onkel gefiel sich darin, stets neue Horrorgeschichten über sie zu erzählen. Ein wenig neugierig war der junge Mann zudem auf das Mädchen, das nun in Hanley-Hall lebte. Und diese Neugierde führte ihn etwas näher an den benachbarten Landsitz als beabsichtigt. Dies wurde ihm allerdings erst bewusst, als unvermittelt Briggs aus einem Gebüsch am Wegesrand kam und ihm den Weg vertrat. Der finstere Geselle wedelte mit seinem Gewehr vor Timothys Nase herum und schnauzte diesen an: »Was wollen Sie hier? Es ist nicht das erste Mal, dass ich Sie erwische. Schreiben Sie es sich gefälligst endlich hinter die Ohren: Das ist hier Privatbesitz, da haben Sie nichts zu suchen!«

      »Warum sind Sie so unfreundlich, Mann? Ich reite hier nur aus. Und es ist nun mal eine Tatsache, dass unser Besitz an den der Hanleys grenzt. Nehmen Sie sich in Zukunft gefälligst zusammen, oder aber ich werde mal ein ernstes Wort mit Ihrem Brotherren reden, verstanden?«

      Briggs knirschte mit den Zähnen. Sein Finger spielte nervös mit dem Abzug, glücklicherweise hielt er seine Flinte nach unten. Denn der Schuss, der sich nun löste, krachte in die Erde, während Timothys Rappe zuerst auf die Hinterhand stieg und dann in Panik davon stob. Der Verwalter grinste hinterhältig und murmelte: »Tut mir leid, Sir, soll nicht wieder vorkommen …«

      Timothy hatte seine liebe Mühe, das Pferd zu beruhigen. Er hatte bereits die Hälfte des Heimwegs hinter sich gebracht, als »Thunder« endlich in einen entspannten Trab fiel. Der junge Anwalt ärgerte sich über den unverschämten Verwalter und war an diesem Tag geneigt, seinem Onkel in Sachen Hanleys Recht zu geben. Dann aber sah er aus der Ferne eine schmale Gestalt. Es war ein junges Mädchen mit goldblondem Haar, das sich Hanley-Hall näherte. Trotz der Entfernung übte Heather einen erfrischenden Liebreiz auf den jungen Mann aus, der diesen sogleich seinen Ärger vergessen ließ.

      War dies die neue Bewohnerin des Nachbaranwesens? Zauberhaft sah sie aus, anmutig und fast ein wenig wie eine Elfe aus dem Märchenreich. Timothy konnte kaum glauben, dass ein so reizendes Geschöpf im Hause der sauertöpfischen Prudence und ihres vergnügungssüchtigen Mannes Reginald leben sollte. Ein keckes Lächeln zeigte sich nun auf dem gut geschnittenen Gesicht des jungen Anwalts. War dies das Mädchen aus London, so konnte ihn nichts und niemand davon abhalten, ihre Bekanntschaft zu machen!

      *

      In den nun folgenden Wochen gab Heather sich große Mühe, sich in Hanley-Hall einzuleben. Sie half Agatha täglich und lernte auf diese Weise eine ganze Menge über feine Kuchen und edle Nachspeisen. Sie unterhielt sich gern mit Polly, denn sie mochte deren direkte, offene Art. Doch mit den Hanleys fand sie keine gemeinsame Basis. Man sah sich nur zu den Mahlzeiten, sonst war Heather sich nun selbst überlassen. Ihre Verwandten schienen das Interesse an ihr gänzlich verloren zu haben. Als sie einmal andeutete, dass es sinnvoll sein könnte, eine Gesellschaft zu geben, damit sie die Menschen in der Umgebung kennen lernen könne, schmetterte Prudence sie unfreundlich ab.

      »In dieser Gegend gibt es nur Torfstecher. Außerdem haben wir kein Geld für so einen überflüssigen Unsinn. Du lebst nicht mehr in London, mein Kind, das solltest du nicht vergessen!«

      Heather hatte daran gedacht, die Gesellschaft selbst zu bezahlen, aber sie traute sich nicht, diesen Vorschlag zu machen. Und so blieben ihr als kleine Abwechslung in ihrem eintönigen Alltag nur die Spaziergänge, die sie nun täglich unternahm und nach und nach immer weiter ausdehnte.

      Mittlerweile kannte das junge Mädchen sich recht gut in der Umgebung von Hanley-Hall aus. Der Frühling kam im Hochmoor spät, doch inzwischen waren auch hier die Tage länger und wärmer geworden. Es war ein sonniger Nachmittag, an dem Heather einem Weg folgte, der mitten in das Gebiet führte, wo Torf gestochen wurde. Aus der Ferne sah sie einige der Männer bei der Arbeit, doch niemand kümmerte sich um sie. Schließlich erreichte Heather einen kleinen Birkenhain, in dem ein verlassenes Häuschen stand. Sie traute sich nicht, näher heranzugehen, passierte das Gebäude in einiger Entfernung. Als sie den Hain hinter sich ließ, öffnete sich vor ihr ein herrlicher Blick auf den Kanal.

      Heather blieb stehen und betrachtete das tiefblaue Wasser, das im Sonnenlicht funkelte und am Horizont in den ebenso azurfarbenen Himmel überzugehen schien. Herrlich war das! Das junge Mädchen hätte hier stundenlang so stehen können. Die Luft war frisch, es roch nach feuchter Erde, Baumrinde und Moos, ein wenig auch nach Heidekraut und den kleinen Blüten der wilden Kräuter, die am Wegesrand wuchsen. Die Sonne hatte schon Kraft, sie streichelte die Haut und sorgte dafür, dass Heather sich sehr wohl fühlte.

      Dann aber unterbrach ein Geräusch die Stille. Pferdegetrappel, das sich rasch näherte. Heather wunderte sich, denn sie konnte sich nicht denken, wer in dieser abgelegenen Gegend ausritt. Bislang hatte sie außer Hanley-Hall kein weiteres Herrenhaus in der Umgebung ausmachen können. Als sie sich umschaute, gewahrte sie einen Reiter auf einem stolzen Rappen. Der junge Mann hielt auf sie zu und stieg dann neben ihr vom Pferd. Er war Heather auf den ersten Blick sympathisch. Als er sich ihr vorstellte, wunderte sie sich allerdings ein wenig.

      »Ivy Grove? Davon habe ich noch nie gehört«, gab sie zu.

      Timothy Humbert lächelte ihr charmant zu. »Wir sind sogar direkte Nachbarn. Allerdings liegt der Besitz meines Onkels gut zwei Meilen von Hanley-Hall entfernt. Deshalb sind wir uns wohl auch noch nicht über den Weg gelaufen, was ich sehr schade finde.«

      Heather erwiderte sein Lächeln schüchtern. Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte, denn sie konnte ihm ja nicht erzählen, dass ihre Verwandten zu geizig waren, um eine Gesellschaft zu geben, bei der sie sich hätten kennen lernen können. »Das Land ist weitläufig«, meinte sie vage. »Ich habe mich noch immer nicht recht eingelebt.«

      »Sie stammen aus London?«

      »Ja, aber woher …«

      Sein Lächeln

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