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Royal? Oh, junger Herr, das sind noch zwei, drei Stunden zu Pferde, wenn die Straße gut ist. So, wie's da draußen wettert, schätz ich mal, dass es wohl doppelt so lange braucht. Und gleich ist's dunkel. Da würde ich Jack One Eye oder einem roten Wilden nicht ohne Fackel und Muskete begegnen wollen.« Shawcombe sah wieder den älteren Reisenden an. »Also werdet Ihr wohl hier übernachten?«

      »Natürlich.« Woodward begann, seinen schweren Mantel aufzuknöpfen. »Wir wären dumm, in der Dunkelheit weiterzufahren.«

      »Ich schätze mal, Ihr habt Gepäck, das hereingebracht werden muss?« Shawcombes Lächeln verschwand, als er den Kopf drehte. »Abner! Beweg deinen Arsch und hol ihnen die Sachen! Mädel, du hilfst!«

      Das Mädchen hatte bewegungslos mit dem Rücken an die Wand gelehnt dagestanden, den Blick auf den Boden gerichtet und die bloßen Arme über der Brust gekreuzt. Sie gab keinen Ton von sich, ging aber auf Shawcombes Aufforderung hin zur Tür. Ihre Füße und Beine waren in kniehohe Hirschlederstiefel gekleidet. »Bei dem Wetter scheucht man nicht mal ein Schwein vor die Tür!«, beschwerte sich Abner und blieb sitzen.

      »Stimmt, aber für einen alten Eber wie dich ist es genau richtig!«, gab Shawcombe zurück. Sein Blick war wieder stechend wie ein Dolch. »Steh auf und hol die Sachen!« Abner brummelte etwas in seinen Bart, hievte sich auf die Füße und hinkte dem Mädchen hinterher, als litten seine Beine unter einer schweren Verkrüppelung.

      Matthew hatte Shawcombe fragen wollen, wer ›Jack One Eye‹ war, aber ihm war der Gedanke zuwider, dass sich das Mädchen und der alte Mann – vor allem das Mädchen – mit den schweren Koffern abschleppen mussten. »Ich sollte mit anfassen.« Er bewegte sich auf die Tür zu, doch Shawcombe packte ihn am Arm.

      »Das ist unnötig. Die beiden Weichlinge werden faul, wenn sie immer nur rumsitzen. Die sollen für ihr Essen was tun.«

      Matthew hielt inne und sah dem anderen in die Augen. Er entdeckte etwas darin – Dummheit, Engstirnigkeit, vielleicht reine Grausamkeit –, das ihn anwiderte. Er hatte Männer wie diesen schon oftmals gesehen, und er wusste, dass es sich um einen Tyrannen handelte, der seine Macht über Menschen genoss, die körperlich oder geistig unterlegen waren. Außerdem entdeckte er ein Funkeln von etwas, dass das Begreifen seiner Wahrnehmung sein mochte – was bedeutete, dass Shawcombe vielleicht intelligenter war, als Matthew angenommen hatte. Shawcombe grinste leicht mit verzogenem Mund. Langsam aber bestimmt begann Matthew, seinen Arm dem Griff des Wirts zu entziehen. Shawcombe grinste immer noch, wollte aber nicht loslassen. »Ich habe gesagt«, wiederholte Matthew, »dass ich mit anfassen sollte.«

      Shawcombe ließ nicht los. Immerhin bemerkte Woodward endlich, der sich den Mantel ausgezogen hatte, dass sich vor ihm ein kleines Drama abspielte. »Ja«, meinte er. »Ich glaube, dass sie Hilfe mit den Koffern benötigen werden.«

      »Wie Ihr meint, Sir.« Sofort ließ Shawcombes Hand den Arm des jungen Mannes los. »Ich würd' ja selber gehen, aber mein Rücken ist hin. Früher hab ich die schweren Strohballen im Hafen an der Thames geschleppt, aber das kann ich ni…«

      Matthew grummelte und wandte sich um. Er ging zur Tür hinaus in das letzte blaue Licht der Abenddämmerung und die gesegnete frische Luft. Der alte Mann hatte sich Woodwards Perückenschachtel gegriffen, während das Mädchen hinter dem Wagen versuchte, sich einen der Schrankkoffer auf den Rücken zu laden. »Warte«, rief Matthew und eilte durch den Matsch auf sie zu. »Lass mich helfen.« Er packte einen der Ledergriffe, und im gleichen Moment huschte das Mädchen von ihm weg, als habe er Lepra. Ihr Ende des Schrankkoffers krachte in den Matsch. Sie stand mit hochgezogenen Schultern im Regen, ihr strähniges Haar hing ihr ins Gesicht.

      »Ha!«, gluckste Abner. Im klaren Dämmerlicht sah seine Haut so stumpfgrau aus wie nasses Pergament. »Nutzlos ist das, mit der zu reden – sie sagt nichts. Zu niemand. Die ist reif fürs Tollhaus. Ist, was sie ist.«

      »Wie heißt sie?«

      Abners schorfige Stirn runzelte sich. »Mädel«, antwortete er. Er lachte, als sei die Frage die dümmste gewesen, die ein Mensch je gestellt hatte, und trug die Perückenschachtel ins Haus.

      Matthew betrachtete das Mädchen eine Weile. Sie fing an, in der Kälte zu zittern, gab jedoch keinen Ton von sich und hob auch nicht den Blick, der starr auf den Matsch zwischen ihnen gerichtet war. Wenn er Abner nicht zum Anpacken bewegen konnte, würde Matthew den Schrankkoffer – und auch den zweiten – allein tragen müssen. Er sah zu den Baumkronen empor. Der Regen, der nun stärker fiel, prasselte ihm ins Gesicht. Es war müßig, hier zu stehen, mit den Füßen im Schlamm, und sich über seine Stellung in der Welt zu beklagen; es war ihm bereits schlechter ergangen und konnte es auch eines Tages wieder. Und was das Mädchen anbelangte, wer kannte schon ihre Geschichte? Wen kümmerte es überhaupt? Niemanden. Warum also sollte er sich dann Gedanken machen? Er begann, den Schrankkoffer durch den Schlamm zu zerren, hielt jedoch inne, bevor er die Veranda erreichte.

      »Geh hinein«, sagte er zu dem Mädchen. »Ich bringe den Rest.«

      Sie bewegte sich nicht. Er vermutete, dass sie dort verharren würde, bis Shawcombes Stimme auf sie einpeitschte.

      Es ging ihn nichts an. Matthew hievte den Koffer auf die Veranda, doch bevor er ihn zur Türschwelle zerrte, warf er wieder einen Blick auf das Mädchen und sah, dass sie ihren Kopf in den Nacken gelegt, die Arme ausgestreckt, die Augen geschlossen und den Mund geöffnet hatte, um den Regen zu fangen. Ihm kam der Gedanke, dass sie sich vielleicht auf diese verrückte Art Shawcombes Geruch von der Haut wusch.

      Kapitel 2

      »Äußerst unangenehm«, sagte Isaac Woodward kurz nachdem Matthew unter das Bett mit der Strohmatratze geschaut und entdeckt hatte, dass es keinen Nachttopf gab. »Sicherlich nur ein Versehen.«

      Bestürzt schüttelte Matthew den Kopf. »Ich dachte, wir würden ein anständiges Zimmer bekommen. Aber selbst die Scheune wäre besser gewesen.«

      »Von einer Nacht in dieser Unterkunft werden wir nicht sterben.« Woodward deutete mit dem Kinn auf das mit einem Brett verschlossene Fenster, gegen das der Platzregen prasselte. »Ich möchte behaupten, dass wir umkommen würden, wenn wir in diesem Wetter weiterfahren müssten. Sei also dankbar, Matthew.« Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Kleidung zu, die er zum Abendessen anlegen wollte. Er hatte seinen Koffer geöffnet und sorgfältig ein sauberes weißes Leinenhemd, frische Strümpfe und ein Paar graue Kniebundhosen auf das Bett gelegt. Auch Matthews Koffer stand offen und ein sauberer Satz Kleidung lag bereit. Woodward bestand darauf, dass sie sich zum Essen wie zivilisierte Menschen kleideten; egal, wo sie sich unter welchen Bedingungen befanden. Oft kam es Matthew sinnlos vor, sich wie ein Kardinal herauszuputzen, nur um dann eine Armenspeise zu vertilgen. Doch er begriff, dass es für Woodward von unverzichtbarer Wichtigkeit war, da er sich sonst nicht wohlfühlte.

      Woodward hatte den Perückenständer aus seinem Schrankkoffer geholt und ihn auf den kleinen Tisch gestellt, der mit dem Bett und einem Kieferholzstuhl die gesamte Einrichtung der Kammer darstellte. Woodward hatte eine seiner drei Perücken daraufgesetzt: Eine recht passabel braun gefärbte mit kleinen Löckchen, die bis in Schulterhöhe fielen. Im rauchigen Schummerlicht, das von der am Wandhaken über dem Tisch hängenden Laterne ausging, betrachtete Woodward sein kahles Haupt in einem mit Silber eingefassten Handspiegel, der mit ihm aus England gekommen war. Sein weißer Skalp war von einem Dutzend oder mehr rötlicher Altersflecken gesprenkelt – ein durch und durch widerwärtiger Anblick, wie er fand. Um die Ohren herum trug er einen dünnen grauen Haarkranz. In seiner weißen Unterwäsche dastehend musterte er die Flecke. Sein dicker Bauch hing über den stramm gezogenen Hosenbund und unten stachen seine Beine aus der Hose bleich und dünn wie die eines Reihers hervor. Er seufzte leise. »Die Zeit meint es alles andere als gut«, sagte er. »Jedes Mal, wenn ich in diesen Spiegel schaue, finde ich etwas Neues zu lamentieren. Behüte deine Jugend, Matthew. Sie ist ein kostbares Gut.«

      »Ja, Sir.« Die Worte klangen fast ausdruckslos. Da Woodward oft in poetischem Ton Reden über die Leiden des Alterns hielt, war es für den Jüngeren kein neues Gesprächsthema. Matthew zog sich ein frisches weißes Hemd an.

      »Einst

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