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und Lesen konnte sie des öfteren nachgehen, weil Anna ihr einen großen Teil der Hausarbeit abnahm.

      Trotzdem konnte sich zumindest Anna nicht rückhaltlos über das Ganze freuen. Irgendwie rechnete sie noch immer damit, daß sie das Haus der Burgners eines Tages wieder würde verlassen müssen.

      Eine Woche vor Weihnachten faßte sie sich dann ein Herz und sprach das Thema an. Und sie stellte dabei fest, daß Silvia und Richard schon darauf gewartet hatten.

      »Wie soll das mit uns nun eigentlich weitergehen?« wollte Anna wissen, und die Angst griff ihr dabei mit eisiger Hand ans Herz.

      Silvia und Richard wechselten einen Blick.

      »Darüber haben wir auch schon nachgedacht«, gab Silvia offen zu.

      »Ja, und ich glaube, wir haben eine Lösung gefunden«, fügte Richard mit einem sanften Lächeln hinzu.

      Der liebevolle Ton, in dem Richard mit ihr sprach, wärmte Annas Herz immer wieder aufs neue. Und plötzlich wußte sie, daß sie sich umsonst Sorgen gemacht hatte. Silvia und Ri­chard würden sie nicht mehr wegschicken – niemals mehr.

      »Wir möchten das Dachgeschoß unseres Hauses ausbauen«, fuhr Ri­chard jetzt fort. »Auf diese Weise hättest du dein eigenes Reich, wenn du dich mal zurückziehen möchtest. Schließlich braucht doch jeder von uns einen gewissen Freiraum, nicht wahr?«

      Ein strahlendes Lächeln erhellte Annas Gesicht. »Dann darf ich also wirklich bei euch bleiben?«

      »Natürlich«, bekräftigte Richard. »Was hattest du denn gedacht?«

      Silvia schlug in die gleiche Kerbe. »Unser aller Leben ist doch viel ausgefüllter geworden, seit wir zusammen sind.«

      Anna ließ die Worte in sich nachklingen. Ja, Silvia hatte recht. Ihr Leben war jetzt wirklich ausgefüllt. Sie hatte nach dreiunddreißig Jahren endlich wieder das Gefühl, gebraucht zu werden, und das war das Schönste, was es auf dieser Welt gab.

      *

      Zwei Tage vor Weihnachten gab Professor Thiersch endlich grünes Licht für Leandra. Sie durfte nach Hause, doch der Chefarzt schärfte ihr ein, sich noch sehr zu schonen.

      »Aber ich werde gesund bleiben…, ich werde leben, oder?« fragte Lean­dra, die durch diese Bemerkung schon wieder verunsichert worden war. Sie konnte noch immer nicht so recht an ihre Heilung glauben.

      Professor Thiersch nickte. »Ja, Frau Schütz, Ihr Blut ist gesund, und ich bin sicher, daß es das auch bleiben wird.« Mit einer Herzlichkeit, die er nur äußerst selten zeigte, ergriff er Lean­dras Hand. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Frau Schütz. Und besuchen Sie mich, wenn Sie ein Baby haben. Ich würde es gern sehen.«

      Leandra strahlte, und unwillkürlich dachte sie daran, daß sie vor diesem Mann einmal Angst gehabt hatte. Doch in den vergangenen Wochen hatte sie ihn richtig liebgewonnen.

      »Gehen wir, Liebling?« Mit einer sanften Geste umfing Christian die Schulter seiner jungen Frau.

      Leandra lächelte ihn zärtlich an. »Ja, Chris, fahren wir nach Hause.«

      Der Weg zu der kleinen Wohnung, die sie unmittelbar nach ihrer Hochzeit gemietet hatten, war nicht weit. Und kaum hatten sie ihr eigenes Reich betreten, da führte Leandras erster Weg in das Kinderzimmer, das sie schon vor Monaten eingerichtet hatten.

      Zärtlich streichelte sie das helle Holz des Gitterbettchens und betrachtete die bunte Spieluhr, die über dem Bett hing, dann drehte sie sich zu Christian um, der hinter ihr stand und sie liebevoll anschaute.

      »Glaubst du, daß sich unser Wunsch jetzt endlich erfüllen wird?« fragte sie.

      Christian nahm sie in die Arme und nickte. »Ich bin sicher, Liebes. Nächstes Jahr wird in diesem Bett ein kleines Baby liegen.«

      *

      Dr. Daniel war gerade im Begriff sein Sprechzimmer zu verlassen, als die Empfangsdame noch eine Besucherin anmeldete.

      »Frau Deichmann möchte sie kurz sprechen«, erklärte sie.

      Dr. Daniel war überrascht. Es war das erste Mal, daß Anna Deichmann ihn in der Praxis aufsuchte. Normalerweise hatte sie ihn immer um Hausbesuche gebeten.

      »Schicken Sie sie gleich herein, Frau Meindl«, bat Dr. Daniel. Dann stand er auf, um der Patientin entgegenzugehen. Doch als sich die Tür öffnete und eine strahlende Anna Deichmann eintrat, blieb Dr. Daniel abrupt stehen. War das dieselbe Frau, die stets einen melancholischen Ausdruck in den Augen gehabt hatte? Konnte das die Frau sein, die so einsam gewesen war, daß sie einen Gynökologen um Hausbesuche gebeten hatte, nur um einmal mit jemandem sprechen zu können?

      »Guten Tag, Herr Doktor«, grüßte sie mit freundlicher, fester Stimme. Nichts erinnerte mehr an die oft nur mühsam vorgebrachten Worte.

      »Frau Deichmann!« stieß Dr. Daniel erstaunt hervor. »Das ist aber eine nette Überraschung.«

      Sie ergriff seine Hand und hielt sie länger als nötig fest.

      »Ich mußte einfach kommen, Herr Doktor«, erklärte sie, und in ihrer Stimme lag dabei ein Unterton, den Dr. Daniel noch nie bei ihr gehört hatte. »Ich wollte mich bei Ihnen bedanken.«

      »Bedanken?« wiederholte er. »Aber wofür denn? Ich habe doch gar nichts getan.«

      Mit einer einladenden Handbewegung bot er ihr Platz an. Anna setzte sich, dann sah sie den Arzt mit einem glücklichen Leuchten in den Augen an.

      »Doch, Herr Doktor, Sie haben sogar sehr viel für mich getan. Sie waren es, der mich auf Silvia aufmerksam gemacht hat.« Ihr Lächeln vertiefte sich. »Ich habe jetzt ein neues Zuhause…, ein Zuhause mit Kindern und Enkelkindern. Ich bin der glücklichste Mensch auf Gottes Erdboden.«

      »Das freut mich«, erklärte Dr. Daniel, und man sah ihm an, daß er diese Worte ehrlich meinte.

      »Richard hat sich seit Jahren nach einer Mutter gesehnt«, fuhr Anna fort. »Und er ist genau der Mann, den ich mir immer als Sohn gewünscht habe.« Jetzt konnte sie ihren Eifer nicht mehr bremsen. »Gleich im Frühjahr bauen wir das Dachgeschoß aus, damit ich mein eigenes kleines Reich habe – obwohl ich das wahrscheinlich kaum brauchen werde. Richard, Silvia, die Kinder und ich – wir sind eine große, glückliche Familie geworden.« Sie machte eine kleine Pause, dann setzte sie hinzu: »Und mein Häuschen werde ich vermieten…, oder ich lasse es einfach leerstehen. Vielleicht will ja eines meiner Enkelkinder mal dort einziehen.«

      Dr. Daniel lachte. »Na, Frau Deichmann, aber bis dahin vergehen aber noch einige Jährchen.«

      Anna nickte mit einem glücklichen Auflachen. »Da haben Sie allerdings recht, Herr Doktor. Trotzdem – man kann nie früh genug anfangen zu planen.« Sie stand auf. »So, jetzt muß ich mich beeilen. Ich habe den Kindern Dampfnudeln versprochen.« Sie griff nach Dr. Daniels Hand und verabschiedete sich. »Und nochmals vielen, vielen Dank, Herr Doktor. Sie haben mich zum glücklichsten Menschen der Welt gemacht.«

      *

      Beschwingt lief Dr. Daniel wenig später die Treppe zu seiner Wohnung hinauf. Und dort wartete schon die nächste Überraschung auf ihn.

      »Karina!« stieß er überrascht hervor, als er seine Tochter in der Küche sitzen sah. »Das ist schön, daß du für deinen alten Vater auch mal Zeit hast.«

      »Also hör mal, Papa!« widersprach Karina energisch. »Von ›alt‹ kann ja wohl wirklich keine Rede sein.« Sie stellte sich auf Zehenspitzen und küßte ihn auf die Wange. »Außerdem komme ich nicht zu dir.«

      Dr. Daniel seufzte. »Hätte ich mir ja denken können. Und wer ist der Glückliche, den du mit deiner Anwesenheit beehren willst?«

      Karina grinste. »Nicht der, sondern die. Ich möchte Frau Deichmann besuchen.«

      Da lächelte Dr. Daniel. »Diese Mühe hättest du dir sparen können. Frau Deichmann wird bestimmt keine Zeit für dich haben.«

      Völlig fassungslos starrte Karina ihren

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