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konzentriert, und dann hielt er das winzige Baby im Arm.

      »Na, du Mäuschen«, meinte er schmunzelnd. »Haben wir dich gerade noch gerettet, was?« Er übergab das Kleine dem neben ihm stehenden Dr. Weingärtner, der es sofort gründlich untersuchte und dann in den Brutkasten legte.

      In der Zwischenzeit beendete Dr. Kastner die Operation, dann ließ er Susanne in den Aufwachraum hi­nüberbringen. Er wusch sich die Hände, vertauschte den grünen gegen seinen weißen Kittel und trat schließlich in den Aufwachraum. Er wußte, daß die Patientin jeden Augenblick zu sich kommen konnte, und dann wollte er sofort zur Stelle sein.

      Es dauerte auch tatsächlich nicht lange, bis Susanne die Augen aufschlug. Ihr Blick traf den Arzt an ihrem Bett.

      »Mein Baby«, murmelte sie.

      »Keine Sorge, junge Frau«, beruhigte Dr. Kastner sie sofort. »Ihrer Kleinen geht’s gut.« Dann stand er auf. »Ich bringe sie Ihnen für einen Moment.«

      Kaum eine Minute später schob Dr. Kastner den Inkubator an Susannes Bett und half ihr, sich ein wenig aufzurichten, damit sie hineinschauen konnte. Tränen traten Susanne in die Augen, als sie das winzige Wesen betrachtete.

      »Ist das meine Schuld?« stammelte sie.

      Verständnislos sah Dr. Kastner sie an. »Ihre Schuld? Ich verstehe nicht ganz…«

      »Na ja… weil ich doch nie beim Arzt war…« Wieder betrachtete sie das schlafende Baby. »Sie ist so dünn… und klein.«

      Da lächelte Dr. Kastner. »Darüber müssen Sie sich keine Gedanken machen. Ihre kleine Prinzessin ist ein ganz normales Acht-Monats-Kind. Warten Sie ein paar Wochen, dann wird sie sich in nichts von anderen Babys ihres Alters unterscheiden.«

      Dankbar sah Susanne zu ihm auf. »Sie sind sehr nett, Herr Doktor.«

      Dr. Kastner errötete ein wenig, dann stand er auf. »Ich werde Sie jetzt auf die Station bringen, damit Sie sich noch ein bißchen ausruhen können. Und keine Sorge, um Ihre Kleine kümmern wir uns schon.« Er schwieg kurz. »Wie soll sie denn heißen?«

      »Stefanie«, flüsterte Susanne. Sie fühlte sich entsetzlich müde, aber das kam wahrscheinlich von der Narkose. Und so schlief sie auf dem Weg zu ihrem Zimmer schon wieder ein.

      *

      Dr. Daniel und Dr. Sommer waren noch in der Klinik geblieben, bis Dr. Kastner ihnen gesagt hatte, daß die Operation gut verlaufen war und er Susanne Hartwig von einem Mädchen entbunden hatte.

      »Dann können wir ja beruhigt nach Hause fahren«, meinte Dr. Sommer.

      »Deine Patientin und ihr Baby werden hier gut versorgt.«

      Dr. Daniel lächelte. »Das weiß ich doch. Und ich bin froh, daß alles so gut gelaufen ist. Wenn dem Baby etwas passiert wäre, hätte sie sich ein Leben lang Vorwürfe gemacht, weil sie während der ganzen Schwangerschaft nicht ein einziges Mal beim Arzt war.«

      Dr. Sommer schüttelte den Kopf. »Das ist aber auch wirklich leichtsinnig von ihr gewesen. Ich verstehe nicht, warum diese jungen Frauen ein solches Risiko eingehen.«

      »Übertreib nicht, Schorsch. Susanne Hartwig dürfte in dieser Hinsicht eine Ausnahme gewesen sein.«

      Doch Dr. Sommer winkte ab. »Du ahnst nicht, wie oft Frauen zur Entbindung kommen, die nie beim Arzt waren. Aber es ist sinnlos, darüber zu sprechen. Die meisten sehen nicht einmal ein, daß sie ein unnötiges Risiko eingegangen sind.« Dann legte er Dr. Daniel kameradschaftlich eine Hand auf die Schulter. »So, Robert, jetzt komm. Fahren wir nach Hause.«

      »Deine Frau wird sich herzlich bedanken, wenn du mitten in der Woche mit einem ungebetenen Gast daherkommst«, wandte Dr. Daniel ein.

      »Unsinn«, entgegnete Dr. Sommer gelassen. »Erstens ist Margit nie böse, wenn du der unverhoffte Gast bist, und zweitens ist sie gar nicht zu Hause. Sie hat heute Klassentreffen.«

      »Ach, so läuft der Hause im Pfeffer«, meinte Dr. Daniel schmunzelnd. »Du hast mich so spontan eingeladen, weil du nicht allein sein wolltest.«

      Dr. Sommer drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. »Laß gefälligst diese Unterstellungen.« Dann wurde er ernst. »Ich mache mir Sorgen um dich.«

      »Völlig unnötig, Schorsch. Ich komme gut zurecht«, behauptete Dr. Daniel, konnte seinen Freund dabei aber nicht in die Augen sehen.

      »Genauso schaust du aus«, meinte Dr. Sommer, und dabei klang in seiner Stimme eine Spur Sarkasmus mit. Dann schloß er die Beifahrertür seines Wagens auf und ließ Dr. Daniel einsteigen, bevor er hinter dem Steuer Platz nahm.

      Die Fahrt zu der hübschen Grünwalder Villa, die Dr. Sommer bewohnte, verlief nahezu schweigend. Dann verließen die beiden Männer das Auto, und Dr. Sommer schloß die Haustür auf.

      Schon beim Eintreten bemerkte Dr. Daniel die unnachahmliche Atmo­sphäre, die nur eine Frau verbreiten konnte, und dabei wurde ihm wieder einmal schmerzlich bewußt, wie sehr er Christine immer noch vermißte. In seiner Villa hatte früher ebenfalls diese Atmosphäre geherrscht, und obwohl sich Irene alle Mühe gab, war es einfach nicht so wie früher, und Dr. Daniel ahnte, daß es nie mehr so sein würde. Irene war seine Schwester, und er liebte sie sehr, aber Christine war ein Teil seines Herzens gewesen.

      »Meine Güte, Robert, was ist denn los?« Dr. Sommers erschrockene Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. »Du bist weiß wie die Wand. Fühlst du dich nicht wohl?«

      Mit einer Hand bedeckte Dr. Daniel seine Augen und unterdrückte nur mit Mühe ein schmwezvolles Schluchzen.

      »Ach, Schorsch, es ist verdammt schwer«, seufzte er. Dr. Sommer begriff sofort.

      »Setz dich, Robert. Ich bringe dir einen Cognak.« Er lächelte. »Das ist mein ganz spezieller Zaubertrank, und in manchen Fällen wirkt er wahre Wunder.«

      Dr. Sommer sah zu, wie sein Freund das Glas leerte und sich dann zurücklehnte. Er war noch immer sehr blaß, wirkte aber ein wenig gelöster als zuvor.

      »Es war zu früh, nicht wahr?« fragte Dr. Sommer, während er sich seinem Freund gegenübersetzte.

      Dr. Daniel wußte, was er meinte. »Nein, Schorsch, es war höchste Zeit für mich, nach Steinhausen zurückzukehren. Ich habe meine Praxis fünf Jahre lang geschlossen gehalten, und ich kann von Glück sagen, daß mir während dieser langen Zeit nicht alle Patientinnen davongelaufen sind.« Er brachte ein zaghaftes Lächeln zustande. »Stell dir vor, die meisten haben sogar den Weg von Steinhausen nach München in Kauf genommen, nur um sich von mir behandeln zu lassen.«

      »Und du hast dich kopfüber in die Arbeit gestürzt, um zu vergessen«, vermutete Dr. Sommer.

      Dr. Daniel nickte. »Nur in der Praxis war die Sehnsucht nach Christine einigermaßen erträglich. Und jetzt…« Er senkte den Kopf. »Irene hilft mir so gut sie kann, und ich habe das Haus größtenteils anders eingerichtet, aber…« Er zuckte die Schultern.

      »Es war doch zu früh«, wiederholte Dr. Sommer. »Du gehörst nicht zu der Sorte von Menschen, die schnell vergessen können. Das zeigt sich auch am Beispiel deiner Kinder. Stefan ist vor vier Jahren von zu Hause ausgezogen, aber du leidest noch immer darunter. Und mit Christine ist es tausendmal schlimmer. Ihr beide seid ein Traumpaar gewesen, ihr habt euch ideal ergänzt, und als ich von Christines Tod erfuhr, da… da hatte ich schreckliche Angst um dich. Ich fürchtete, du würdest daran zugrunde gehen.«

      Noch immer hielt Dr. Daniel den Kopf gesenkt. Es erstaunte ihn ein wenig, daß Dr. Sommer ihn so gut kannte und seine Reaktionen und Empfindungen nahezu perfekt einschätzen konnte.

      »Ich wäre auch daran zugrunde gegangen«, gestand er leise. »Wenn Karina und Stefan nicht gewesen wären… ich weiß nicht, was ich getan hätte. Meine Kinder waren mein einziger Halt. Und als Stefan ausgezogen ist…« Er winkte ab. »Bitte, Schorsch, laß uns von etwas anderem sprechen.«

      Doch Dr. Sommer schüttelte den Kopf. »Hilft nichts, mein Freund, da mußt du schon durch. Seit fünf Jahren verdrängst du alles,

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