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– ›The Little Minister‹ hätte ein schlechtes Ende nehmen müssen; wir alle wissen, daß er es in Wahrheit tat, und sind Ihnen unendlich dankbar für die Anmut und den Takt, mit dem Sie darüber lügen. Hätten Sie die Wahrheit gesagt, ich persönlich würde Ihnen verziehen haben. So wie Sie die Anfänge des Buches konzipiert und geschrieben haben, wäre die Wahrheit über das Ende, obwohl den Tatsachen absolut entsprechend, dennoch eine Lüge oder, was schlimmer ist, ein künstlerischer Mißklang gewesen. Will man, daß ein Buch unglücklich endet, so muß es von Anfang an unglücklich enden. Ihr Buch jedoch hat gleich zu Anfang schon ein glückliches Ende. Sie duldeten es, daß Sie sich selbst in Ihre Figuren verliebten, sie liebkosten und anlächelten. Sobald Sie das taten, war Ihre Ehre verpfändet –. Sie waren verpflichtet, sie auf Kosten der Lebenstreue zu retten. Das gerade ist der Flecken an ›Richard Feverel‹, zum Beispiel; das Buch ist auf ein glückliches Ende hin angelegt und hält dann den Leser durch ein unglückliches Ende zum Narren. In diesem Falle steckt sogar noch Schlimmeres dahinter, denn das unglückliche Ende folgt nicht logisch aus der ganzen Handlung – die Erzählung hatte in Wahrheit nach der großen Unterredung zwischen Richard und Lucy bereits ein glückliches Ende erreicht –, die blinde, unlogische Kugel, die alles zertrümmert, hat auf dem Schauplatz der Handlung nicht mehr zu suchen als eine Fliege, die summend durch ein offenes Fenster ins Zimmer fliegt. Es hätte so kommen können; es hätte aber auch nicht so kommen können; und wo keine Notwendigkeit vorliegt, haben wir auch kein Recht, unseren Lesern wehe zu tun. Ich erlebe gerade einen schweren Gewissenskonflikt anläßlich meines Braxfield-Romans. Braxfield – nur lautet sein Name Hermiston – besitzt einen Sohn, der zum Tode verurteilt ist; offenbar liegt in den gegebenen Tatsachen eine große Versuchung – und ich beabsichtigte auch, ihn henken zu lassen. Bei Betrachtung meiner Nebenfiguren jedoch erkannte ich, daß es fünf Personen gab, die dazu neigen – ja gewissermaßen sogar sich gezwungen fühlen würden –, in das Gefängnis einzubrechen und ihn zu retten. Es sind tüchtige, energische Leute obendrein, die sehr gut Erfolg haben könnten. Weshalb sollten sie’s also nicht? Weshalb sollte der junge Hermiston nicht außer Landes fliehen? Und, wenn möglich, glücklich werden mit seiner – jetzt aber halt! Ich will weder mein Geheimnis noch meine Heldin verraten …«

      Gehen wir jedoch von der Frage, wie der Roman geendet haben würde, zu der Frage über, wie der Gedanke dazu in dem Autor Wurzel schlug und reifte. Der Charakter des Helden, Weir von Hermiston, fußt eingestandenermaßen auf der historischen Persönlichkeit Robert Macqueens, Lord Braxfields. Dieser berühmte Richter ist Generationen hindurch Gegenstand von hundert Edinburger Geschichten und Anekdoten gewesen. Wer Stevensons Essay über die Raeburn-Ausstellung in »Virginibus Puerisque« gelesen hat, wird sich erinnern, wie sehr ihn Raeburns Porträt Braxfields fesselte, so wie Lockhart sechzig Jahre zuvor durch ein anderes Portrait des nämlichen Ehrenmannes (s. Peter’s Letters to his Kinsfolk) fasziniert wurde; und das Interesse, das er an jener Persönlichkeit nahm, ließ auch in späteren Jahren nicht nach. Wiederum hatte der Fall des Richters, der durch die Gebote seines Amts in einen starken Konflikt zwischen seiner Pflicht gegenüber der Öffentlichkeit und seinen privaten Interessen und Neigungen gerissen wird, von jeher Stevensons Phantasie gefesselt und angeregt. In den Tagen, als er und Mr. Henley noch zusammen Bühnenstücke verfaßten, schlug Mr. Henley einmal ein Stück vor, das sich auf die Geschichte des Richters Harbottle in Sheridan Le Fanus’ »In a Glass Darkly« aufbaute, darin der böse Richter blindlings per fas et nefas das Ziel verfolgt, den Gatten seiner Mätresse an den Galgen zu bringen. Etwas später schrieb Stevenson zusammen mit seiner Frau ein Stück, genannt »Der Henker-Richter«. Hierin fühlt sich der Titelheld zum erstenmal in seinem Leben versucht, in den Gang der Justiz einzugreifen, um seine Frau vor den Verfolgungen eines früheren Gatten, der, totgeglaubt, unerwartet wiederauftaucht, zu schützen. Bulwers Roman »Paul Clifford«, mit der entscheidenden Situation, in welcher der weltlich gesinnte Richter, Sir William Brandon, über der Nachricht stirbt, daß der Straßenräuber, den er zu Tode verurteilt, sein eigener Sohn ist, war Stevenson ebenfalls bekannt und hat zweifellos dazu beigetragen, das vorliegende Buch zu beeinflussen.

      Wiederum hatten die Schwierigkeiten, die häufig auch im wirklichen Leben aus den Beziehungen zwischen Vater und Sohn erwachsen, in seiner Jugend Stevensons Gewissen und Gemüt schwer bedrückt, als er, dem Gesetz seiner eigenen Natur folgend, seinem eigenen Vater, den er mit Recht aus tiefstem Herzen liebte und bewunderte, Enttäuschung und Kummer bereiten mußte und von ihm selbst eine Zeitlang mißverstanden wurde. Schwierigkeiten dieser Art hatte er bereits ein-oder zweimal in humoristischerem Tone behandelt – wie z. B. in der »Geschichte einer Lüge« und in »The Wrecker«, bevor er sich mit ihnen in dem akuten und tragischen Stadium wie in der vorliegenden Erzählung auseinandersetzte.

      Diese drei Elemente: das Interesse an der historischen Persönlichkeit Lord Braxfields, die Probleme und Gefühle, die einem Richter aus einem heftigen Konflikt zwischen Pflicht und Natur erwachsen, und die Differenzen, die der Verschiedenheit der Veranlagung sowie Mißverständnissen zwischen Vater und Sohn entspringen, liegen unserem Roman zugrunde. Um geringe Faktoren nicht außer acht zu lassen, lohnt es sich, vielleicht noch auf eine Tatsache hinzuweisen, an die Mr. Henley mich erinnert hat, nämlich daß der Name Weir für Stevensons Phantasie einen ganz besonderen Klang besaß dank der berüchtigten historischen Edinburger Persönlichkeit von Major Weir, der samt seiner Schwester unter besonders grausigen Umständen als Zauberer verbrannt wurde. Ein anderer Name – der einer episodisch auftretenden Figur, des Geistlichen Mr. Torrance – ist, wie die ganze Gestalt überhaupt, samt ihrer Umgebung: Kirchhof, Kirche und Pfarrhaus, bis hinab zu den schwarzen Zwirnhandschuhen – direkt dem Leben entlehnt. Als Beweis diene folgende Stelle eines Briefes aus dem Anfang der siebziger Jahre: »Ich war in der Kirche und nicht einmal deprimiert – ein großer Schritt vorwärts. Es war jene wunderschöne Kirche zu Glencorse in den Pentlands« (drei Meilen abseits von seines Vaters Landhaus in Swanston). »Sie ist ein winziger, in Kreuzform ausgeführter Bau mit einem steilen Schieferdach. Der kleine Friedhof ist voll alter Grabsteine; darunter befindet sich einer eines Franzosen aus Dünkirchen, der wahrscheinlich als Gefangener des in der Nähe befindlichen Militärgefängnisses gestorben ist. Ein anderer ist wohl das rührendste Grabmonument, das ich je gesehen: eine alte Schulschiefertafel in einem hölzernen Rahmen mit einer Inschrift, offenbar von des Vaters eigener Hand. In der Kirche predigte der alte Mr. Torrance, ein Greis über achtzig, eine Reliquie vergangener Zeiten, mit schwarzen Zwirnhandschuhen und einem milden, alten Gesicht.« Ein Seitenlicht auf einen besonderen Charakterzug Mrs. Weirs werfen gewisse Familientraditionen des Autors, laut denen seine eigene Großmutter bei ihren Dienstboten mehr Wert auf Frömmigkeit als auf Tüchtigkeit gelegt haben soll. Die anderen weiblichen Charaktere sind meines Wissens nach rein aus der schöpferischen Phantasie geboren, insbesondere die neue und vorzüglich gelungene Verkörperung des ewig Weiblichen in der älteren Kirstie. Das wenige, das er selbst über sie sagt, steht in einem Brief, den er einige Tage vor seinem Tode an Mr. Gosse richtete. Er spricht bei dieser Gelegenheit von den Stimmungen und Standpunkten verschiedener Menschen gegenüber dem nahenden Alter, eine Anregung, die er durch Mr. Gosses Gedichtband »In Russet and Silver« erhielt. »Es ist doch recht komisch«, schreibt er, »daß jene Angelegenheit gerade in diesem Augenblick zur Sprache kommt, da ich selbst im Begriff bin, in einer meiner Erzählungen, ›Der Lord Oberrichter‹, einen ziemlich harten Fall von herannahendem Alter zu behandeln. Es ist der einer Frau, und ich glaube, ich werde ihr gerecht. Es wird Sie vermutlich interessieren, den Unterschied in der Art unserer Behandlung zu sehen. ›Secreta Vitae‹ (der Titel eines Gedichtes von Mr. Gosse) kommt dem Fall meiner armen Kirstie schon näher.« Aus der wunderbaren mitternächtlichen Szene zwischen ihr und Archie vermögen wir zu schließen, was uns in jenen späteren Szenen verlorengegangen ist, in denen sie ihm seine vermeintliche Schuld vorwerfen sollte – nur um seine Unschuld von den Lippen seines angeblichen Opfers zu erfahren – ihn ihrer Sippe gegenüber rechtfertigt und diese zu seiner Rettung anfeuert und begeistert. Die von Stevenson geplante Szene der Gefängniserstürmung hätte (wie die Leser ohne Zweifel selbst schon erkannt haben werden) durch den Vergleich mit zwei berühmten Präzedenzfällen: dem Porteous-Mob und der Erstürmung des Potanferry-Gefängnisses bei Scott, noch an Interesse gewonnen. Die beste Schilderung von Stevensons Schaffensmethoden findet sich in den folgenden Sätzen eines Briefes von ihm an Mr. W. Craibe Angus aus Glasgow: »Ich bin immer noch ein langsamer Arbeiter und brüte stets längere Zeit schweigend über meinen Eiern. Unbewußtes Denken, das ist die einzige

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