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Nebel verschluckte beinahe alle Geräusche und hüllte die Welt in eine Wand aus düsterem Schweigen.

      Es waren kaum Menschen auf der Straße.

      Sie schlug den Mantelkragen hoch, vergrub die Hände in den Taschen, ehe sie Richtung Fluss lief …

      Paul Schuster konnte zwei Dinge nicht ausstehen – wenn er in seiner Sonntagsruhe gestört wurde und wenn es eine Leiche gab, wenn er Bereitschaft hatte.

      Und nun kam an diesem diesigem Sonntag, an dem es überhaupt nicht hell wurde, den man am liebsten auf dem Sofa verbrachte, beides zusammen.

      Er zog seine heiß geliebte alte graue Gammelhose aus, zog sich eine ordentliche an. Seinen Pulli vertauschte er gegen ein frisches Hemd und ein Sakko.

      Das musste sein!

      Auch wenn er es seit vielen Berufsjahren andauernd mit Toten zu tun hatte, die an seinem Aussehen nicht mehr herummäkeln konnten, hatten sie doch seinen Respekt verdient.

      Er mochte seinen Job bei der Mordkommission gern.

      Er hatte nie etwas anderes machen wollen.

      Und genau das war der Grund, warum er auf der Karriereleiter nicht höher geklettert war.

      Gelegenheiten hatte es viele gegeben.

      Hauptkommissar reichte ihm. Und jetzt, da er sich mehr oder weniger auf der Zielgeraden befand und das Ende seiner beruflichen Laufbahn absehbar war, fühlte es sich für ihn so richtig gut an.

      Alles hatte seine Zeit.

      Er sehnte nichts herbei, arbeitete auf nichts hin.

      Er würde am Tag X auch nicht zusammenbrechen.

      Er würde alles wieder ganz genauso machen.

      Nun ja, das meiste.

      Das eine oder andere hätte er sich ersparen können. Das wusste man allerdings leider immer erst hinterher.

      Insgeheim amüsierte er sich über seinen jungen Assistenten Mike Bär, der glaubte, die Welt aus den Angeln heben zu können, aus den Angeln heben zu müssen.

      Immer cool. Immer Lederjacke. Immer Sonnenbrille.

      Paul fragte sich so manches Mal, wen der Bursche da aus welchem Film kopierte.

      War halt jung. Er war schon ganz in Ordnung, der gute Mike. Irgendwann würde auch der begreifen, dass überall nur mit Wasser gekocht wurde. Und irgendwann würde er begreifen, worauf es im Leben wirklich ankam.

      Er hatte in seinem Team auch noch Jenny …, Jenny Müller. Bildhübsch. Blitzgescheit. Die war sich noch nicht sicher, wo sie letztlich landen wollte – Mordkommission oder Sitte.

      Paul war froh, sie im Augenblick in seinem Team zu haben.

      Sie war, im Gegensatz zum coolen Mike, eine echte Hilfe, keine Selbstdarstellerin, wie der junge Mann einer war, sondern eine gute Teamplayerin.

      Als Paul Schuster zum Fundort der Leiche kam, sah er, dass beide bereits da waren. Es war Verlass auf sie. Paul stieg aus seinem Auto, holte aus dem Kofferraum seine Gummistiefel, die er aus Erfahrung klug geworden immer dabei hatte. Dann watete er durch den matschigen Boden. Es hatte in den letzten Tagen unaufhörlich geregnet.

      »Moin.«

      Paul schob Mike beiseite, der sofort ganz wichtig anfangen wollte zu reden. Dann wandte er sich der Leiche zu. Es war eine Frau.

      Jenny stand daneben, verfolgte interessiert das Geschehen.

      Dr. Ambrosius Klatt war ein sehr erfahrener, umsichtig arbeitender Pathologe. Er befand sich ebenfalls, genau wie Paul, auf der Zielgeraden. Sie arbeiteten gern zusammen. Im Laufe der vielen Jahre hatte sich zwischen ihnen so etwas wie eine Freundschaft entwickelt.

      Dr. Klatt richtete sich ein wenig auf. »Ehe du jetzt anfängst zu fragen … Sie kann drei, vier, aber auch fünf oder sechs Tage im Wasser gelegen haben … Also, wie immer, mehr nach der Obduktion …, und was das Alter anbelangt? Da kann ich mich auch nicht festlegen, bei dem Zustand der Leiche.«

      Paul trat näher an die Leiche heran.

      Wenn die Leute wüssten, wie sie hinterher aussähen, würden sie vermutlich eine andere Art zu sterben wählen und nicht ins Wasser gehen.

      Er ging erst mal von einem Selbsttötungsdelikt aus. Das war bei den meisten Wasserleichen der Fall.

      Mike prüfte den Sitz seiner Sonnenbrille, räusperte sich, um seinem Chef ganz wichtig zu berichten, dass man bei der Leiche eine Handtasche gefunden hatte, die allerdings leer gewesen sei und man sich doch fragen müsse, warum jemand eine leere Tasche wie einen kostbaren Schatz an sich gepresst hielt und sie selbst im Tod nicht losließ. Darauf würden sie keine Antwort mehr bekommen. Deswegen war es auch müßig, darüber zu reden.

      Paul starrte auf die Leiche – Lederhaut, aufgedunsen und dadurch beinahe bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

      Eine leere Handtasche. Keine Papiere. Nichts. Eine Unbekannte also. Jemand, der keinen Wert darauf legte, identifiziert zu werden. Selbstmord … Vielleicht doch Mord?

      Der Fall würde so oder so an ihnen hängen bleiben, dabei hatten sie noch genug andere unerledigte Fälle auf ihren Schreibtischen.

      Warum hatte er heute Bereitschaft, und warum war die Leiche ausgerechnet heute entdeckt worden. Warum nicht morgen?

      Dann hätte er es nicht an der Backe gehabt.

      Eine Möwe flog kreischend über sie hinweg, und Jenny sagte: »Wenn es ein Suizid war …, ist es nicht so, dass man schon sehr verzweifelt sein muss, um diesen Weg zu wählen?«

      Er warf ihr einen kurzen Blick zu.

      Sie war noch sehr jung, noch nicht lange genug beim Verein, um zu wissen, dass man keine Mutmaßungen anstellte, dass nur Fakten zählten und man sich keine Gedanken über die Beweggründe von Toten machte, über deren Befindlichkeiten nachdachte.

      Sie würde es lernen.

      Paul beschloss, ihren Einwand zu ignorieren.

      Was sollte er dazu auch sagen?

      Paul warf einen letzten Blick auf die Leiche, den aufgedunsenen Körper, das nicht mehr erkennbare Gesicht. Das rechte Bein war zerfetzt. Vermutlich war es mit einer Schiffsschraube in Berührung gekommen.

      Alles, was sie wissen mussten, würde der Doc herausfinden.

      Paul gab ein paar Anweisungen, plauderte noch ein bisschen mit dem Pathologen.

      Dann verabschiedete er sich.

      Umständlich zog er seine Gummistiefel aus, bemühte sich, in dem zähen Morast nicht auszurutschen. Dann stieg er in sein Auto.

      Es war noch früh.

      Dennoch war der Sonntag für ihn gelaufen.

      Auch wenn er sich die Frage bereits gestellt hatte, wiederholte er sie insgeheim – warum hatte man die Leiche nicht morgen finden können oder an einem anderen Tag!

      Er fuhr los. Ein bisschen zu rasant, denn Dreck spritzte hoch, die Räder drehten durch.

      Auch das noch. Es war wirklich nicht sein Tag.

      *

      Das Café war sehr gut besucht. Klar, es war Sonntag. Er hätte sich denken können, dass da viele Leute auswärts frühstückten. Er gehörte nicht dazu. Er machte es sich lieber zu Hause gemütlich.

      Ein ordentliches Frühstück mit Schinken, Ei, Käse und so. Dazu ein paar Tassen Kaffee.

      Nicht zu vergessen seine Zeitung, die er dann genüsslich von vorn bis hinten las. Selbst das Kreuzworträtsel ließ er nicht aus. Warum war er nicht sofort nach Hause gefahren, sondern hierhergekommen? Eine Schnapsidee! Das Café war rappelvoll.

      Er hatte jetzt wirklich keine Lust, sich zu irgendwelchen Leuten an den Tisch zu setzen und sich zutakten zu lassen. Der Appetit war ihm vergangen, auch die Lust auf einen guten starken

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