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ich gleich gesund«, beharrte Ursula. »Du wolltest ihn doch holen, Tante Leonore! Warum hast du ihn denn nicht mitgebracht?«

      Leonore nahm mitleidig die matten Fingerchen in die ihren.

      »Sieh mal an, Ursel. Dein großer Freund ist weit fort gelaufen. So schnell kann er da nicht zurück sein. Vielleicht hat er auch meine Nachricht noch gar nicht bekommen. Er weiß sicher noch nicht, daß du krank bist.«

      Die Augen des Kindes strahlten auf.

      »Sonst wäre er auch sicher schon bei mir gewesen, nicht?« fragte sie, und ihr gläubiges Vertrauen erschütterte Leonore. »Ich werde brav warten, bis er kommt, und inzwischen gesund werden.«

      Matt legte sie das Köpfchen in die Kissen zurück und schloß die Augen.

      Seltsam bewegt, setzten sich Brigitte und Leonore an den Tisch.

      »Fragt Ursel immer so viel nach Rudolf Strantz?« erkundigte Leonore sich.

      »Immer!« Leidenschaftlich brach es aus Brigitte heraus: »Ich weiß mir keinen Rat mehr! Wenn ich nicht um die Gesundheit des Kindes fürchten müßte, würde ich schnellstens nach Hause fahren.«

      Scheu tastete sich Leonores Hand über den Tisch. Und wie schon so oft bat sie herzlich:

      »Brigitte, lassen Sie mich doch zu Rudolf Strantz fahren!«

      »Niemals!« wehrte diese entschieden ab.

      »Dann werde ich es ohne Ihre Erlaubnis tun müssen. Es ist vor allem wegen Ursula.«

      »Ursula wird ihn vergessen«, wehrte Brigitte ängstlich ab.

      Leonore schwieg, und Brigitte fuhr leidenschaftlich fort:

      »Bitte, verurteilen Sie mich nicht, Leonore. Ich hätte schon längst selbst an Rudolf Strantz geschrieben, nur wegen Ursula. Aber was ist schon ein kurzes Wiedersehen! Ursula würde doch immer wieder nach ihm verlangen. Ganz unbegreiflich ist mir das, Leonore. Eine geradezu unheimliche Macht übt Rudolf Strantz auf Ursula aus. Bin ich etwa selbstsüchtig? Können Sie sich nicht denken, daß alles in mir nach einem Wiedersehen drängt, selbst wenn er mich mit Verachtung strafen würde. Was habe ich denn begangen –«

      »Sie vergessen das Schreiben.«

      »Ach ja, das Schreiben! Heute bin ich gottlob ruhiger geworden und denke vernünftig über uns beide nach. Selbst wenn er sein Unrecht einsähe – ich könnte ihm das Leid der durchlittenen Zeit nicht verzeihen. Weiß ich denn, ob er mir nicht bei nächster Gelegenheit wieder voll Mißtrauen begegnen würde?«

      »Brigitte!« Leonore weinte auf und barg den Kopf in den Händen. »Seien Sie doch nicht so unversöhnlich! Ich werde ja die Vorwürfe Tag und Nacht nicht wieder los.«

      »Unversöhnlich?« fragte Brigitte erstaunt. »Ich bin nicht unversöhnlich, nur gleichgültig. Ich habe es aufgegeben, an mich zu denken.«

      Leonore dachte an ihr eigenes, heißes Herz, das sie nur um Brigittes willen so festhielt.

      »Ich könnte das nicht, Brigitte, nein, ich könnte einfach nicht verzichten, ich müßte kämpfen!«

      Ein schattenhaftes Lächeln huschte um Brigittes Mund. Ganz sachte fuhr ihre Hand über den gesenkten Kopf Leonores.

      »Sie sind auch keine Mutter, Leonore!« sagte sie gütig. Dabei suchten die Augen das stille Kindergesicht in den Kissen.

      Wenn nur das Kind recht bald wieder gesund würde!

      *

      Zwei Tage später stand Leonore Grunert vor Rudolf Strantz’ Sekretärin.

      »In zehn Minuten ungefähr wird die Sitzung zu Ende sein. Dann kann ich Sie melden.«

      »Danke!« erwiderte Leonore und ließ sich in einen der bequemen Sessel fallen.

      Zehn Minuten waren eine kurze Zeit, wenn man soviel zu überdenken hatte wie Leonore. Sie erinnerte sich des fiebernden Kindes, das immer nach seinem »großen Freund« verlangte, und an Brigittes hoffnungslose Augen.

      Ja – und dann lauschte sie auf das ängstliche Pochen ihres Herzens, und versuchte, sich immer wieder einzureden: Nicht für mich – nur für Brigitte!

      »Herr Strantz erwartet Sie«, rieß sie die Stimme der blonden Sekretärin aus ihrem Nachdenken. Da wurde auch schon die Tür zum Nebenzimmer geöffnet, und Rudolf Strantz kam, ein Willkommen auf den Lippen, auf sie zu.

      »Frau Grunert – Leonore!«

      Mit einem unsicheren Lächeln sah sie zu ihm auf. Ihre Hand bebte leicht in der seinen.

      »Dürfte ich Sie vielleicht ein paar Minuten sprechen?«

      Ihr ernster, fast feierlicher Ton machte ihn stutzig.

      »Ist etwas mit Brigitte – mit dem Kind?« fragte er erschrocken.

      Für wie selbstverständlich er es hält, daß ich nicht meinetwegen komme, dachte sie nun doch ein wenig eifersüchtig. Aber da hatte er schon die Tür geöffnet und folgte ihr. In seinem Zimmer, einem weiten Raum mit tiefen Fenstern, schob er ihr einen Sessel an den runden Tisch.

      »Haben Sie meinen Brief nicht erhalten?«

      Etwas wie Verlegenheit stieg in seine Augen, als er hinter seinen Schreibtisch trat.

      »Doch, Leonore!« sagte er. »Ich habe Ihren Brief erhalten.« Er griff in das mittlere Fach seines Schreibtisches und kam wieder zu ihr, legte etwas vor sie hin. »Und hier – meine Antwort darauf!«

      Leonores Augen irrten über die Adresse des Briefes, den sie zaghaft an sich nahm.

      »Frau Brigitte Markhoff!« las sie. Da lächelte sie nachsichtig und überlegen. Jetzt war sie die Stärkere. Sie wußte genau, was dieser Brief enthielt. Sie nahm ihn zwischen ihre schlanken Finger und riß ihn kurzerhand entzwei.

      »Leonore – was tun Sie da!« rief Strantz entsetzt.

      Sie aber griff in ihre Tasche und reichte ihm ein Blatt Papier.

      »Sie dürfen Brigitte nicht eher antworten, bevor Sie nicht das Geständnis Markhoffs gelesen haben«, sagte sie tapfer.

      Er las, einmal, zweimal. Lautlose Stille war in dem Zimmer. Von irgendwoher drang gedämpft das Dröhnen von Hammern, das Stampfen von Maschinen.

      »Mein Gott!« entfuhr es ihm. Dann trat er an eines der großen Fenster. Leonore rührte sich nicht. Sie ahnte, was in dem Mann vorging, der nicht nur wahrheitsliebend, sondern auch gerecht war. Endlich – endlich kam Bewegung in ihn. Sein Gang war beschwingt. Seine Augen leuchteten.

      »Ja, dann… dann hätte ich Brigitte ja bitteres Unrecht getan«, murmelte er und glich in diesem Augenblick einem Jungen, der einen dummen Streich eingestehen muß.

      »Allerdings«, stimmte sie ihm bei. »Und nun wird es höchste Zeit, dieses Unrecht wiedergutzumachen. Ich habe meinen Teil schon dazu beigesteuert.« Sie sah zu ihm auf. Zwei Tränen glänzten in ihren Augen. »Jetzt ist die Reihe an Ihnen. Brigitte ist eine wundervolle Frau, und ich behaupte, die einzige Frau, die wert ist, an Ihrer Seite gehen zu dürfen. Und das Kind – es ist sehr, sehr krank – vor Sehnsucht nach seinem ›großen Freund‹.«

      Da fühlte Leonore ihre Hände ergriffen und mit so kräftigem Druck gepreßt, daß sie schmerzhaft den Mund verzog.

      »Leonore! Was sind Sie für ein prächtiger Mensch! Erzählen Sie, schnell, wir dürfen nicht viel Zeit verlieren. Ich lasse meinen Reisewagen inzwischen vorfahren. Wir müssen sofort zu Brigitte.«

      Sie sah mit einem Lächeln zu ihm auf. »Dann lassen Sie uns lieber sofort gehen! Im Wagen kann ich Ihnen alles viel ruhiger und der Reihe nach erzählen!«

      *

      Soeben hatte der Arzt Brigitte verlassen. Er hatte nur den Kopf geschüttelt. »Ich stehe vor einem Rätsel«, hatte er gemeint. »Ich kann keine organische Erkrankung feststellen. Ich sagte es Ihnen bereits. Bringen Sie das Kind in andere Umgebung, damit es die Eindrücke

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