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noch durch ein anatomisches Organ, in dem sie äußerlich sichtbar lokalisiert ist, abheben von einer nichtsexuellen Sphäre. Darum weiß der Mann um seine Sexualität, während die Frau sich ihrer Sexualität schon darum gar nicht bewußt werden und sie somit in gutem Glauben in Abrede stellen kann, weil sie nichts ist als Sexualität, weil sie die Sexualität selbst ist, wie in Antizipation späterer Darlegungen gleich hinzugefügt werden mag. Es fehlt den Frauen, weil sie nur sexuell sind, die zum Bemerken der Sexualität wie zu allem Bemerken notwendige Zweiheit; indessen sich beim stets mehr als bloß sexuellen Manne die Sexualität nicht nur anatomisch, sondern auch psychologisch von allem anderen abhebt. Darum besitzt er die Fähigkeit, zur Sexualität selbständig in ein Verhältnis zu treten; er kann sie, wenn er sich mit ihr auseinandersetzt, in Schranken weisen oder ihr eine größere Ausdehnung einräumen, er kann sie negieren oder bejahen: zum Don Juan wie zum Heiligen sind die Möglichkeiten in ihm vorhanden, er kann die eine oder die andere von beiden ergreifen. Grob ausgedrückt: der Mann hat den Penis, aber die Vagina hat die Frau.

      Es ist hiemit als wahrscheinlich deduziert, daß der Mann seiner Sexualität sich bewußt werde und ihr selbständig gegenübertrete, während der Frau die Möglichkeit dazu abzugehen scheint; und zwar beruft sich diese Begründung auf eine größere Differenziertheit im Manne, in dem Sexuelles und Asexuelles auseinandergetreten sind. Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, einen bestimmten einzelnen Gegenstand zu ergreifen, liegt aber nicht in dem Begriffe, den man mit dem Worte Bewußtsein gewöhnlich verbindet. Dieser scheint vielmehr zu inkludieren, daß, wenn ein Wesen Bewußtsein hat, es jedes Objekt zu dessen Inhalt machen könne. Es erhebt sich also hier die Frage nach der Natur des weiblichen Bewußtseins überhaupt, und die Erörterungen über dieses Thema werden uns erst auf einem langen Umweg zu jenem hier so flüchtig gestreiften Punkte wieder zurückführen.

       Männliches und weibliches Bewußtsein.

       Inhaltsverzeichnis

      Bevor auf einen Hauptunterschied des psychischen Lebens der Geschlechter, soweit dieses die Dinge der Welt zu seinen Inhalten macht, näher eingegangen werden kann, müssen einige psychologische Sondierungen vorgenommen und einige Begriffe festgelegt werden. Da die Anschauungen und Prinzipien der herrschenden Psychologie ohne Rücksicht auf dieses spezielle Thema sich entwickelt haben, so wäre es ja nur zu verwundern, wenn ihre Theorien ohne weiteres auf dessen Gebiet sich anwenden ließen. Zudem gibt es heute noch keine Psychologie, sondern bis jetzt nur Psychologien; und der Anschluß an eine bestimmte Schule, um, nur unter Zugrundelegung ihrer Lehrmeinungen, das ganze Thema zu behandeln, trüge wohl viel mehr den Charakter der Willkür an sich als das hier einzuschlagende Verfahren, welches, in möglichstem Anschluß an bisherige Errungenschaften, doch die Dinge, soweit als nötig, von neuem in Selbständigkeit ergründen will.

      Die Bestrebungen nach einer vereinheitlichenden Betrachtung des ganzen Seelenlebens, nach seiner Zurückführung auf einen einzigen Grundprozeß haben in der empirischen Psychologie vor allem in dem Verhältnis sich geoffenbart, das von den einzelnen Forschern zwischen Empfindungen und Gefühlen angenommen wurde. Herbart hat die Gefühle aus den Vorstellungen abgeleitet, Horwicz hingegen aus den Gefühlen erst die Empfindungen sich entwickeln lassen. Die führenden modernen Psychologen haben die Aussichtslosigkeit dieser monistischen Bemühungen hervorgehoben. Dennoch lag diesen ein Wahres zu Grunde.

       Man muß, um dieses Wahre zu finden, eine Unterscheidung zu treffen nicht unterlassen, welche, so nahe sie zu liegen scheint, in der heutigen Psychologie merkwürdigerweise gänzlich vermißt wird. Man muß das erstmalige Empfinden einer Empfindung, das erste Denken eines Gedankens, das erste Fühlen eines Gefühles selbst auseinanderhalten von den späteren Wiederholungen desselben Vorganges, bei welchen schon ein Wiedererkennen erfolgen kann. Für eine Anzahl von Problemen scheint diese Distinktion, obgleich sie in der heutigen Psychologie leider nicht gemacht wird, von bedeutender Wichtigkeit.

      Jeder deutlichen, klaren, plastischen Empfindung läuft ursprünglich, ebenso jedem scharfen, distinkten Gedanken, bevor er zum ersten Male in Worte gefaßt wird, ein, freilich oft äußerst kurzes, Stadium der Unklarheit voran. Desgleichen geht jeder noch nicht geläufigen Assoziation eine mehr oder minder verkürzte Spanne Zeit vorher, wo bloß ein dunkles Richtungsgefühl nach dem zu Assoziierenden hin, eine allgemeine Assoziationsahnung, eine Empfindung von Zugehörigkeit zu etwas anderem vorhanden ist. Verwandte Vorgänge haben besonders Leibniz sicherlich beschäftigt und gaben, mehr oder weniger gut beschrieben, Anlaß zu den erwähnten Theorien von Herbart und Horwicz.

      Da man als einfache Grundformen der Gefühle insgemein nur Lust und Unlust, eventuell noch mit Wundt Lösung und Spannung, Beruhigung und Erregung ansieht, ist die Einteilung der psychischen Phänomene in Empfindungen und Gefühle für die Erscheinungen, die in das Gebiet jener Vorstadien der Klarheit fallen, wie sich bald deutlicher zeigen wird, zu eng und darum zu ihrer Beschreibung nicht verwendbar. Ich will daher, um hier scharf zu umgrenzen, die allgemeinste Klassifikation der psychischen Phänomene benützen, die wohl getroffen werden konnte: es ist die von Avenarius in »Elemente« und »Charaktere« (der »Charakter« hat in dieser Bedeutung nichts mit dem Objekte der Charakterologie gemein).

      Avenarius hat den Gebrauch seiner Theorien weniger durch seine, bekanntlich vollständig neue, Terminologie erschwert (die sogar viel Vorzügliches enthält und für gewisse Dinge, die er zuerst bemerkt und bezeichnet hat, kaum entbehrlich ist); was der Annahme mancher seiner Ergebnisse am meisten im Wege steht, ist seine unglückliche Sucht, die Psychologie aus einem gehirnphysiologischen Systeme abzuleiten, das er selbst nur aus den psychologischen Tatsachen der inneren Erfahrung (unter äußerlicher Zuziehung der allgemeinsten biologischen Kenntnisse über das Gleichgewicht zwischen Ernährung und Arbeit) gewonnen hatte. Der psychologische zweite Teil seiner »Kritik der reinen Erfahrung« war die Basis, auf der sich in ihm selbst die Hypothesen des physiologischen ersten Teiles aufgebaut hatten; in der Darstellung kehrte sich das Verhältnis um, und so mutet dieser erste Teil den Leser an wie eine Reisebeschreibung von Atlantis. Um dieser Schwierigkeiten willen muß ich den Sinn der Avenariusschen Einteilung, die für meinen Zweck sich am geeignetsten erwiesen hat, hier kurz darlegen.

      »Element« ist für Avenarius das, was in der Schulpsychologie »Empfindung«, »Empfindungsinhalt« oder »Inhalt« schlechtweg heißt (und zwar sowohl bei der »Perzeption« als bei der »Reproduktion«), bei Schopenhauer »Vorstellung«, bei den Engländern sowohl die »impression« als die »idea«, im gewöhnlichen Leben »Ding, Sache, Gegenstand«: gleichviel, ob äußere Erregung eines Sinnesorganes vorhanden ist oder nicht, was sehr wichtig und neu war. Dabei ist es, für seine wie für unsere Zwecke, recht nebensächlich, wo man mit der sogenannten Analyse Halt macht, ob man den ganzen Baum als »Empfindung« betrachtet oder nur das einzelne Blatt, den einzelnen Stengel, oder (wobei meistens stehen geblieben wird) gar nur deren Farbe, Größe, Konsistenz, Geruch, Temperatur als wirklich »Einfaches« gelten lassen will. Denn man könnte ja auf diesem Wege noch weiter gehen, sagen, das Grün des Blattes sei schon Komplex, nämlich Resultante aus seiner Qualität, Intensität, Helligkeit, Sättigung und Ausdehnung, und brauchte erst diese als Elemente gelten zu lassen; ähnlich wie es den Atomen oft geht: schon einmal mußten sie den »Ameren« weichen, jetzt wieder den »Elektronen«.

       Seien also »grün«, »blau«, »kalt«, »warm«, »hart«, »weich«, »süß«, »sauer« Elemente, so ist Charakter nach Avenarius jederlei »Färbung«, »Gefühlston«, mit dem jene auftreten; und zwar nicht nur »angenehm«, »schön«, »wohltuend« und ihre Gegenteile, sondern auch, was Avenarius zuerst als psychologisch hieher gehörend erkannt hat, »befremdend«, »zuverlässig«, »unheimlich«, »beständig«, »anders«, »sicher«, »bekannt«, »tatsächlich«, »zweifelhaft« etc. etc. Was ich z. B. vermute, glaube, weiß, ist »Element«; daß es just vermutet wird, nicht geglaubt, nicht gewußt, ist psychologisch (nicht logisch)

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